Bislang schien es, als ob die deutsche Industrie an der Fertigung und der späteren Instandhaltung der für die Bundeswehr bestimmten F-35-Kampfflugzeuge nicht oder nur in geringem Maß beteiligt würde. So hatten noch im vergangenen Jahr deutsche Unternehmen der Luftfahrtbranche zusammen mit dem Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) an die Politik und das Verteidigungsministerium appelliert, die nationale Wirtschaft frühzeitig – also vor Unterschrift des Kaufvertrages – in die Betreuung des Kampfjets vertraglich einzubinden. Dies lehnte die Bundesregierung jedoch ab und präferierte stattdessen, erst später dazu Verhandlungen mit dem Hersteller Lockheed Martin aufzunehmen. Mittlerweile ist die Tinte unter dem Vertrag getrocknet und die deutschen Firmen warten mit Spannung auf die Ausrichtung eines Industrie-Tages, bei dem Lockheed Martin mit der hiesigen Branche über eine zukünftige Zusammenarbeit diskutieren will.
Dessen ungeachtet könnte die deutsche Luftfahrtindustrie womöglich in deutlich größerem Umfang als von vielen erwartet an dem F-35-Projekt teilhaben – und dabei geht es nicht nur um die deutschen Maschinen. Wie aus gut informierten Kreisen zu vernehmen ist, sollen das Luftfahrt-Zulieferunternehmen Premium AEROTEC sowie Airbus auf der einen und F-35-Hersteller Lockheed Martin, beziehungsweise Northrop Grumman auf der anderen Seite bereits seit geraumer Zeit über die Übertragung von bedeutenden Fertigungsanteilen nach Deutschland verhandeln. Konkret geht es offenbar um Teile für oder gar das gesamte Rumpfmittelteil der F-35. In diesem Technologiefeld verfügt Premium AEROTEC über eine umfangreiche Expertise. So baut das Unternehmen, das sich zu 100 Prozent in Besitz von Airbus befindet, auch die Rumpfmittelteile für die 38 kürzlich bestellten Eurofighter des deutschen Quadriga-Programms. Ende vergangenen Jahres lieferte Premium AEROTEC nach eigenen Angaben das erste in Augsburg produzierte Rumpfmittelteil für einen Quadriga-Eurofighter aus. In einer Pressemitteilung bezeichnet das Unternehmen dieses Rumpfmittelteil – bestehend aus einer Aluminium-Integralstruktur mit einer Außenschale aus CFK – als das strukturelle „Herzstück“ des europäischen Mehrzweck-Kampfflugzeugs.
Den Angaben zufolge werden die verschiedenen bei Premium AEROTEC hergestellten Eurofighter-Komponenten, wie beispielsweise Teile der in Varel hergestellten Rumpfsektion, in Augsburg zum Rumpfmittelteil integriert. Hinzu komme die Herstellung der gesamten elektrischen, pneumatischen, hydraulischen und kraftstoffversorgenden Systeme. Nach erfolgter Teilintegration liefert Augsburg das gesamte Rumpfmittelteil an Airbus Defence and Space nach Manching. Von dort aus erfolge die weitere Belieferung der Endmontagelinien. Bis zum November 2022 wurden dem Unternehmen zufolge in Augsburg 628 Rumpfmittelteile produziert und zur Ausrüstung nach Manching geliefert.
Beobachter vermuten, dass sich die Amerikaner nicht nur für eine Fertigung in Deutschland interessieren, um möglichen Kompensationsforderungen für die rund 10-Milliarden-Euro teure Beschaffung von F-35-Maschinen entgegenzukommen, sondern vor allem auch, weil Premium AEROTEC für eine hohe Fertigungsqualität steht. So soll es denn auch nicht nur um lediglich 35 Rumpfmittelteile für die deutschen F-35 gehen. Wie es heißt, könnten womöglich bis zu 300 dieser Schlüsselkomponenten für das F-35-Programm in Deutschland produziert werden.
Damit einhergehen dürfte das Interesse von Lockheed Martin und Northrop Grumman als zuständiger Unterauftragnehmer, auf einen weiteren Zulieferer für die Rumpfkomponenten zurückgreifen zu können, nachdem die türkische Luftfahrtindustrie durch den Ausstieg des Landes aus dem F-35-Programm nicht mehr zur Verfügung steht.
Für Premium AEROTEC würde ein solcher Auftrag für die F-35 in den kommenden Jahren vermutlich für stabile Umsätze sorgen. Vor dem Hintergrund, dass Airbus den Zulieferer mit seinen rund 5.000 Mitarbeitern und Standorten in Augsburg, Varel sowie im rumänischen Brasov noch bis Anfang vergangenen Jahres aus Kostengründen abstoßen wollte, dürfte dem Konzern an einer Beauftragung ebenfalls gelegen sein. Wie realistisch dies ist, lässt sich im Augenblick jedoch schwer beurteilen. Lockheed Martin wollte sich auf Nachfrage nicht zum dem Sachverhalt äußern. Auch Airbus lehnt eine Stellungnahme dazu ab.
Nun bleibt abzuwarten, ob die Verhandlungen auch zum Erfolg führen und wie viele Rumpfteile in einem solchen Fall dann tatsächlich hierzulande gebaut würden. Die im vergangenen Jahr binnen sehr kurzer Zeit umgesetzte Beschaffung der deutschen F-35-Flieger dürfte dabei sicher nicht von Nachteil für das Gesprächsklima sein.
lah/20.1.2023