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Video zeigt ersten Verlust einer Panzerhaubitze 2000 und wichtige Erkenntnisse der artilleristischen Gefechtsführung

Waldemar Geiger

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Nach nunmehr rund zwei Jahren Einsatz im Ukraine-Krieg könnte ein jüngst von russischer Seite veröffentlichte Video den ersten Verlust einer Panzerhaubitze 2000 zeigen.

Zu sehen ist eine feuernde Panzerhaubitze 2000, die im Anschluss in einem unmittelbar benachbarten Waldstück – Luftlinie vielleicht 100 m – in eine sogenannte Gedeckte Aufstellung (GA) unterzieht. Der gesamte Vorgang wird von einer Aufklärungsdrohne beobachtet und mit russischer Artilleriebekämpfung beantwortet.

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Die Zerstörung der Panzerhaubitze 2000 an sich, ist auf dem Video aufgrund des Blätterdachs nicht erkennbar. Es ist jedoch deutlich eine Brandentwicklung an der Einschlagsstelle sichtbar, die auf einen Munitionsbrand hinweist. Träfe dies zu, wäre die Panzerhaubitze in der Tat zerstört. Wenn auch nicht zweifelsfrei belegt, deutet doch vieles darauf hin, dass es sich bei dem Video somit um den ersten dokumentierten Abschuss einer Panzerhaubitze handelt.

Dem Vernehmen nach basiert das Video auf einem Video-Feed einer taktischen Aufklärungsdrohne vom Typ Orlan-30, welche die Panzerhaubitze aufgeklärt und das Feuer einer schweren 203mm-Haubitze vom Typ 2S7 Malka auf die GA der Panzerhaubitze gelenkt hat.

Beide Angaben lassen sich nicht überprüfen, wären aber nicht untypisch für die Bekämpfung gegnerischer Artillerie (im Englischen Counterbattery Fire) durch die russischen Streitkräfte. Beide Systeme werden nachweislich zu diesem Zweck eingesetzt.

Die 2S7 Malka ist eine schwere 203mm-Artilleriehaubitze auf einem Kettenfahrgestell mit einer Reichweite von bis zu 50 km. (Bild: Russisches Verteidigungsministerium)

Hochwertziel Artillerie

Der Krieg in der Ukraine wird allen verfügbaren Erkenntnissen nach aktuelle auf beiden Seiten vornehmlich durch den massiven Einsatz klassischer Feuerunterstützung – Artillerie und Mörser – geführt, welche das Vorgehen kleinerer Infanteriegruppierungen, teilweise nur Gruppenstärke, ermöglicht. Drohnen, sowohl in der Rolle als Aufklärungs- oder Wirkmittel, liefern dabei eine wertvolle Unterstützung. Gepanzerte Fahrzeuge kommen oftmals nur einzeln zum Einsatz, größere Verbände werden umgehend mittels einer Feuerzusammenfassung aus Artillerie, Panzerabwehrlenkflugkörpern, drohnengestützten Wirkmitteln und sonstigen Panzerabwehrmitteln zerschlagen.

Vieles – zumindest in den öffentlich zugänglichen Informationen – deutet darauf hin, dass ein quasi gläsernes Gefechtsfeld, resultierend aus dem Masseneinsatz von Drohnen, in Verbindung mit weitreichenden Präzisionswaffen den Einsatz geschlossener Panzerformationen erheblich erschwert bis gänzlich unmöglich macht. Das Video zeigt dies exemplarisch.

Im rückwertigen Raum der Front operierende taktische Aufklärungsdrohnen können – wenn unerkannt – selbst einzelne Kampffahrzeuge aufklären und in Verbindung mit weitreichender Artillerie bekämpfen. Ukrainische Artilleriesysteme gelten als besonders wertvolle Ziele. Seit spätestens Sommer 2023 ist es hinlänglich bekannt, dass die russischen Streitkräfte ihre Fähigkeiten zur Bekämpfung gegnerischer Artillerie signifikant verbessert haben. Dem Vernehmen nach ist Russland seither in der Lage ukrainische Artilleriesysteme innerhalb von nur zwei Minuten nach dem ersten Schuss mit Gegenfeuer zu erwidern. Zu Beginn des Krieges waren es noch 5 bis 20 Minuten gewesen.

Ableitungen

Bei der Bewertung des Vorganges, der zu der vermutlichen Zerstörung der Panzerhaubitze führte, muss beachtet werden, dass das Video nur einen Ausschnitt des Geschehens wiedergibt. Es ist beispielsweise unklar, was genau zur Aufklärung der Panzerhaubitze 2000 geführt hat. Es könnte sein, dass die Drohne das Geschütz per Zufall entdeckt hat, genau so kann es aber auch sein, dass die Drohne gezielt in den Raum geschickt wurde, nachdem die Panzerhaubitze immer wieder oder zu lange aus der gleichen Stellung geschossen hat oder weil der Feuerkampf mittels eines anderen Mittels (Radar- oder Schallmessaufklärung) aufgeklärt wurde. Denkbar wäre auch, dass die Drohne im Rahmen der aktiven Artilleriebekämpfung „Jagd“ auf ukrainische Artilleriesysteme gemacht hat und die Panzerhaubitze 2000 auf diese Weise entdeckt wurde.

Für die sich aus dem Video ergebenden Ableitungen ist es im Grunde egal, welcher Aspekt, ob Pech oder falsches taktisches Verhalten der Besatzung, zur Entdeckung und daher zur Bekämpfung des Artilleriesystems geführt hat. Es ist auch unerheblich, dass der geringe Abstand der GA zur Feuerstellung jeglichen artilleristischen Einsatzgrundsätzen moderner Artilleriesysteme widerspricht. Denn es wurde nicht die Feuerstellung, sondern die Haubitze gezielt und punktgenau in der Gedeckten Aufstellung bekämpft. In diesem Fall ist es also nicht relevant, ob die GA einhundert Meter oder zwei Kilometer von der Feuerstellung entfernt ist. Entscheidend ist eher der Umstand, dass die Drohne das Artilleriesystem in dem kleinen Waldstück trotz des Blätterdaches weiterverfolgen konnte. Gleichzeitig ist unklar, ob die ukrainische Besatzung Kenntnis darüber hatte, dass eine russische Aufklärungsdrohne im Raum war. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass die Besatzung sich der Gefahr nicht bewusst war, andernfalls wäre sicherlich eine andere Reaktion angebracht gewesen. Denn auch den ukrainischen Kräften sind die artilleristischen Fähigkeiten Russlands nicht im Verborgenen geblieben.

Obgleich das Video nur einen Ausschnitt eines einzelnen Vorfalls zeigt, kann es als Beleg für eine generelle Gefahr von Artilleriesystemen auf dem zukünftigen Gefechtsfeld herangezogen werden. Eine weiträumige gegnerische Luftaufklärung, in Verbindung mit schnellen Zielaufklärungs- und Zielbekämpfungsprozessen gefährdet selbst modernste Shoot & Scoot Artilleriesysteme wie die Panzerhaubitze 2000. In einer solchen Bedrohungslage ist es unerheblich, wo man „zu lange steht“ – ob Feuerstellung, Gedeckte Aufstellung oder Munitionsaufnahmepunkt – entscheidend ist nur der Umstand, ob man dabei gesehen werden kann und ob der Aufenthalt in Reichweite der feindlichen Artillerie stattfindet.

Um einer solchen Bedrohung wirksam begegnen zu können, gäbe es mindestens zwei unterschiedliche Ansätze.

Die erste Möglichkeit besteht darin, dem Feind den Blick auf die eigenen Systeme zu verwehren. Dies könnte beispielsweise dadurch erfolgen, dass Gedeckte Aufstellungen, Munitionsaufnahmepunkte oder sonstige artilleristische Einrichtungen von hoher Relevanz mittels einer effektiven Drohnenabwehrfähigkeit geschützt werden. Könnte man eine Drohnenbedrohung gänzlich ausschalten, wären selbst auf der Freifläche abgestellte Fahrzeuge nur durch feindliche Spähaufklärung aufklärbar, welche deutlich aufwendiger, langsamer und risikoreicher ist.

Lässt sich die Drohnenbedrohung hingegen nicht ausschließen, müssen die „Abstellflächen“ so gewählt werden, dass eine Rückverfolgen der genauen Positionierung der Artilleriesysteme nicht mehr möglich ist. Kleinere Waldstücke oder Waldflächen mit lichtem Blätterdach fallen als mögliche Orte für Gedeckte Aufstellungen somit gänzlich raus. Hier wäre es zudem überlegenswert die eigene Artillerie beim Beziehen der Räume durch eigene Drohnen aufklären zu lassen. Denn wenn man durch die eigene Drohne gesehen werden kann, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch feindliche Drohnen erfolgreich aufklären können.

Der zweite mögliche Ansatz liegt in noch mobileren Einsatzgrundsätzen der Artillerie. Wenn man sich nicht mittels Abschusses oder Deckung vor feindlichen Drohnen schützen kann, bliebe einem so die Möglichkeit sich der feindlichen Waffenwirkung zu entziehen. Projiziert auf den Einsatzraum würde dies bedeuten, dass die Gedeckten Aufstellungen noch weiter in den rückwertigen Raum verlegt werden müssten. In einem solchen Fall müssten die Artilleriesysteme zum Ausführen von Feuerkommandos mehrere Kilometer Anmarschweg auf sich nehmen, ebenso für die Rückverlegung. Dem Vernehmen nach wendet die Ukraine diese Taktik beim Einsatz des Raketenartilleriesystems HIMARS an. Gleichwohl ist diese Taktik für Rohrartilleriesysteme nicht so einfach umsetzbar, da diese generell mehr Feuerkommandos als Raketenartilleriesysteme schießen und daher eine höhere Präsenz im Raum notwendig ist.

Die Dauer zwischen Feueranforderung und Bereitstellung des Feuers wird bei einer solchen Taktik automatisch um die Zeitbedarf des Anmarsches verlängert. Zudem würden die ständigen Fahrten Kettenfahrzeuge besonders schnell verschleißen. Gleichwohl könnte Zeitfaktor verringert werden, wenn der artilleristische Feuerkampf gänzlich mobil geführt werden würde. In einem solchen Fall müsste die im Einsatzraum befindliche Haubitze stetig in Bewegung bleiben und nur für kurze Momente des Feuerkampfes anhalten. Der ungewünschte Nebeneffekt dieser Taktik wäre ein noch größerer technischer Verschleiß der Artilleriesysteme. Radgestützte Artilleriesysteme böten hier zwar aufgrund des geringeren Verschleißes gewisse Vorteile – genauso wie bei dem Ansatz der weiteren Anmarschwege für die GA – würden aber auch über kurz oder lang an ihre Grenzen kommen.

Waldemar Geiger