Unzählige Videos des Drohneneinsatzes im Ukraine-Krieg haben zu einem regelrechten Hype um die Drohnenkriegsführung geführt, einem Feld, auf dem die Bundeswehr vor mehreren Jahrzehnten weltweit führend war, es aber seit rund 20 Jahren nicht mehr ist. Da verwundert es nicht, dass ein großer Personenkreis – vom militärischen Laien in den sozialen Netzen bis hin zu erfahrenen Verteidigungspolitikern – den Mangel erkannt hat und Lösungsvorschläge präsentiert, wie dieser möglichst schnell und einfach zu beheben wäre. Hilfreich sind viele dieser Lösungsvorschläge nicht, denn allzu oft wird zwar „eine“, aber nicht unbedingt „die“ Ursache des Problems erkannt, so dass entsprechende Lösungsvorschläge gar nicht erst fruchten würden. Ein besonders prominentes Beispiel dafür ist die aktuelle Forderung von Florian Hahn – Mitglied im Verteidigungsausschuss für die CDU/CSU-Fraktion – nach der sofortigen Beschaffung von 100.000 Drohnen für die Bundeswehr.
Alleine der Umstand, dass in dem gesamten Interview, in dem die Forderung erhoben wird, weder die Zahl noch die Art der Drohnen erklärt wird, die die Bundeswehr nun dringend beschaffen soll, lässt Zweifel aufkommen, ob es sich um einen tragfähigen Lösungsansatz für das „Drohnenproblem“ der Bundeswehr handelt. Schließlich ist es ein Unterschied, ob die Bundeswehr 100.000 handelsübliche Kameradrohnen, taktische Aufklärungsdrohnen, Einweg-Kampfdrohnen oder Kampfdrohnen der MALE/HALE-Kategorie beschaffen soll.
Man kann sich die einfache Nennung der bloßen Zahl sicherlich dadurch erklären, dass in einem Interview kein oder wenig Platz für längere und tiefgehende Ausführungen zu einem einzelnen Aspekt vorhanden ist und möglichst viele Punkte auf möglichst plakative und einfache Art und Weise transportiert werden müssen, damit diese beim Leser verfangen.
So verdeutlicht die Forderung nach einem Sofortkauf von 100.000 Drohnen auf anschauliche Weise den beklagenswerten Ausstattungsstand der deutschen Streitkräfte. Dennoch handelt es sich dabei um keinen praktikablen Lösungsbeitrag für die tatsächliche Drohnenproblematik der Bundeswehr.
Denn die raschen Innovationszyklen der Drohnenkriegsführung – die sich teilweise monatlich und wöchentlich grundlegend weiterentwickelt – , würden bereits einige Monate nach Zulauf der 100.000 Drohnen diese nutzlos machen, selbst wenn sie den Bedarfsmix der Bundeswehr abdecken würden.
Kernelemente der Drohnenproblematik in der Bundeswehr liegen nicht in der Anzahl der verfügbaren Drohnen – dies ist eher ein Symptom – sondern in dem grundsätzlichen Umgang mit der Drohnentechnologie in Deutschland im Allgemeinen und in der Bundeswehr im Speziellen. Wie bereits beschrieben, handelt es sich bei Produktion und Einsatz militärischer Drohnen um ein sehr dynamisches Technologiefeld, welches sich praktisch monatlich weiterentwickelt. Damit dies möglich ist, werden sowohl von der russischen als auch ukrainischen Seite jede Menge Risiken eingegangen. Allzu oft gehen damit auch ungewollte Schäden auf der eigenen Seite einher. Gleichzeitig sind wir eine Gesellschaft mit einem überaus ausgeprägten Absicherungsdenken, die jegliche Risiken in der Beschaffung und oder Nutzung ausschließen möchte. Die Folgen davon sind beispielsweise Beschaffungszyklen, die länger dauern als die aktuellen Innovationszyklen der Drohnenkriegsführung. Allein der Zertifizierungsanteil im Luftfahrtamt, welcher Grundbestandteil einer Nutzung in den Streitkräften ist, dauert länger als ein derzeitiger Innovationszyklus. Wird beispielsweise ein für die Steuerung der Drohne relevantes Bauteil – beispielsweise Funksystem – geändert, verliert die Drohne die Zulassung, bis eine neue Zertifizierung vorliegt.
Danach folgt dann die Ausbildung der Piloten an dem Gerät, welche allein schon aufgrund der aktuellen Ausbildungsstruktur (lehrgangsgebundene Ausbildung) oftmals mehrere Monate brauchen würde. Bürokratische Hürden gepaart mit den Sicherheitsvorschriften der Drohnennutzung in der Ausbildung nehmen die Kreativität und Spontanität aus einem möglichen Drohneneinsatz und ersticken somit jegliche eigene Innovation im taktischen Einsatz der Systeme im Keim.
Schritt 1 zur Lösung wäre somit nicht die sofortige Beschaffung von 100.000 Drohnen, sondern die Herstellung von entsprechenden Rahmenbedingungen, die eine zügige und einfache Beschaffung, Nutzung und stetige Weiterentwicklung von unbemannten Systemen auch im Friedensbetrieb der Streitkräfte ermöglichen. In einem zweiten Schritt müsste dann ein entsprechendes industrielles Ökosystem geschaffen werden, das es den Herstellern erlauben würde, stetig am technologischen Puls der Zeit zu bleiben. Verbunden mit der Fähigkeit, Produktionskapazitäten bei Bedarf schnell skalieren zu können. Erst in einem nächsten Schritt wäre es ratsam, 10.000, 100.000 oder 1.000.000 Drohnen für die Bundeswehr zu beschaffen und diese permanent technologisch auf der Höhe zu halten, so dass sie im Falle des Falles auch die gewünschte Wirkung entfalten könnten.
Waldemar Geiger