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Polen weitet Beschaffung des Führungssystems IBCS aus – Blaupause für Deutschland?

Lars Hoffmann

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Die USA und Polen haben gestern einen Letter of Offer & Acceptance (LOA) für den Kauf des Integrated Battle Command System (IBCS) von Northrop Grumman für das polnische Luftverteidigungsprojekt kurzer Reichweite „Narew“ unterschrieben. Wie das Unternehmen in einem Post auf X (früher Twitter) schreibt, wird Polen damit das Command-and-Control-System sowohl bei „Narew“ für die kurze Reichweite als auch beim Programm „Wisla“ für ein Luftverteidigungssystem mittlerer Reichweite verwenden. Nach Angaben des polnischen Verteidigungsministeriums hat der gestern gezeichnete Vertrag, der auch Anteile für „Wisla“ enthält, einen Wert von rund 2,5 Milliarden US-Dollar.

Bei „Narew“ handelt es sich um ein mobiles Luftverteidigungssystem, das in der Lage sein soll, Bedrohungen mit einer Reichweite von mehr als 40 km zu bekämpfen. Als Effektor wird dabei der vom europäischen Rüstungskonzern MBDA in Großbritannien und Italien entwickelte Flugkörper CAMM-ER genutzt. Im Rahmen von „Wisla“ beschaffen die polnischen Streitkräfte Patriot-Batterien, das neue Überwachungs- und Feuerleitradar „Lower Tier Air and Missile Defense Sensor“ (LTAMDS) sowie IBCS als C2-System zur Führung. Die Verträge dafür wurden bereits vor geraumer Zeit unterschrieben. Polen ist damit der erste ausländische Nutzer von IBCS nach der U.S. Army.

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Dem Vernehmen nach hat IBCS-Hersteller Northrop Grumman auch großes Interesse, IBCS an die Bundeswehr zu verkaufen. Laut Hersteller handelt es sich um ein „revolutionäres“ Command-and Control-System, das aufgrund seiner offenen Architektur Sensoren und Effektoren unterschiedlicher Hersteller integrieren kann, um ein umfassendes Lagebild darzustellen und eine schnelle Bekämpfung zu ermöglichen. Beobachter gehen davon aus, dass Northrop Grumman bereits in Gesprächen mit potenziellen deutschen Kooperationspartnern ist, die den US-Konzern bei seinem Auftritt in Deutschland unterstützen sollen. Dafür würden sich unter anderem die beiden Unternehmen Diehl Defence und Rheinmetall mit ihrer Kompetenz bei der bodengebundenen Luftverteidigung anbieten.

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In den USA wird IBCS das bisher von Raytheon gelieferte Führungssystem für Patriot ersetzen. Damit dürften die US-Streitkräfte vermutlich auch als Partner der aus zahlreichen Nutzerstaaten bestehenden Patriot-Community ausfallen, die sich die Kosten für das Upgrade der C2-Software teilen. Während des Wettbewerbs um die Beschaffung des Taktischen Luftverteidigungssystems (TLVS) in Deutschland vor einigen Jahren hatte Raytheon für sein Angebot mit der umfassenden „Threat Library“ geworben, in der Steckbriefe möglicher Bedrohungen abgelegt sind. Wie diese in Zukunft aktualisiert werden kann, bleibt abzuwarten.

Während nun Polen im Rahmen des „Narew“-Programms den europäischen Flugkörper CAMM-ER anbinden will, wird in Deutschland das Luftverteidigungssystem Nah- und Nächstbereichsschutz (NNbS) vorangetrieben, mit wesentlicher Beteiligung von Diehl, Rheinmetall, Airbus Defence and Space und Hensoldt. NNbS nutzt die Führungssoftware IBMS von Airbus, die mit Unterstützung des BMVg entwickelt wurde. Damit dürfte bei der Luftverteidigung der kurzen Reichweite ein wesentlicher Eckpunkt gesetzt sein.

Bei der Luftverteidigung in den Entfernungsbändern darüber setzt Deutschland weiterhin auf das US-System Patriot und will offenbar in Kürze die Beschaffung von vier Feuereinheiten der Konfiguration C3+ einleiten. Langfristig soll auch das 360-Grad-fähige LTAMDS-Radar gekauft werden, das kürzlich von der U.S. Army in Kombination mit IBCS getestet wurde und den zukünftigen Standard-Sensor darstellen wird.

Ob die Bundeswehr einfach dem US-Pfad folgt und sich auch für das der US-Exportkontrolle gemäß ITAR unterliegende IBCS für die Luftverteidigung entscheidet, dürfte noch zu klären sein. Neben allen Vorteilen, die ein solches Vorgehen mit sich bringt, würde man auf die nationale Souveränität bei einem Kernelement der integrierten Luftverteidigung verzichten. Vor dem Hintergrund der jüngsten Äußerungen von Ex-US-Präsident Trump zum Thema Beistand in der NATO dürfte ein solcher Schritt nicht unumstritten sein.

Lars Hoffmann