Mit der Operation „Spiderweb“ ist der Ukraine am Wochenende ein wahres Husarenstück gelungen, bei dem womöglich ein großer Teil der strategischen Bomberflotte Russlands zerstört oder erheblich beschädigt wurde. Neben der Aktion an sich ist insbesondere die Kommunikation nach dem Angriff bemerkenswert, da sie offenbar als Teil der Operation Spiderweb angelegt war.
Der Rauch der brennenden Bomberflotte war noch nicht verzogen, da übernahmen der ukrainische Präsident sowie sein für den Angriff verantwortlicher Nachrichtendienst SBU nicht nur die Verantwortung für den erfolgreichen Angriff auf die strategische Bomberflotte – dem Stolz der russischen Luftwaffe –, sondern man legte auch Details der Angriffsvorbereitung und -durchführung offen, was sowohl bei Geheimdienstoperationen als auch beim Einsatz von Spezialkräften üblicherweise nicht erfolgt. Der Zeitpunkt der Kommunikation und die Nutzung vorbereiteter Schaubilder sowie Videosequenzen des Drohnenangriffes deuten darauf hin, dass die Kommunikation nicht spontan erfolgt ist, sondern ebenfalls orchestriert wurde, um bei unterschiedlichen Adressaten Wirkung zu erzielen und zusätzlichen Schaden in Russland anzurichten.
Sollte diese Annahme zutreffen, dann ließe sich die Operation Spiderweb, deren Vorbereitung und Ausführung nach Angabe des ukrainischen Präsidenten 18 Monate gedauert hat, in folgende grobe Phasen unterteilen.
- Planung und Vorbereitung: Während dieser Phase wurden beispielsweise das notwendige Personal und Material auf unterschiedlichen Wegen nach Russland gebracht und dort für den Einsatz vorbereitet, beziehungsweise zusammengebaut. Zudem wurde diese Phase dazu genutzt, die möglichen Ziele sowie die dort anwesenden Schutzvorkehrungen auszukundschaften. Auch die Exfiltration der ukrainischen Agenten ist nach Aussage des ukrainischen Präsidenten in dieser Phase, also noch vor dem eigentlichen Angriff, erfolgt.
- Ausführung: In dieser Phase wurden russische Spediteure angeheuert, um die Drohnen-tragenden Container an vorbestimmte Orte zu verbringen und so die Voraussetzung für den verheerenden Drohnenangriff starten zu können.
- Kommunikation: Die Art und Weise, wie und was kommuniziert wurde, deutet darauf hin, dass bei erfolgreicher Ausführung der Operation aktiv kommuniziert werden sollte. Jedoch nicht um sich mit den Lorbeeren des Erfolgs zu schmücken, sondern um weitere Wirkung zu erzielen.
Kommunikation als Waffe nach innen und außen
Die Johann Wolfgang von Goethe zugesprochene Aussage „tue Gutes und rede darüber“ ist heutzutage ein tief verankertes Credo der Public Relations Community. Für das Wirken der Geheimdienste – die den Schatten und das Verborgene suchen – stellt dieser Leitspruch eher eine Ausnahme dar. Kommuniziert werden üblicherweise nur Ergebnisse, nicht aber der Weg zum Erreichen der Ergebnisse, was insbesondere zum Schutz der sogenannten Operational Security dient. Der Hauptgrund dafür liegt in der Absicht, eingesetzte Methoden, Wege, Technologien oder Personen nicht zu enttarnen, um sie möglicherweise zukünftig wieder nutzen zu können.
Die Ukraine hat jedoch offiziell und mit voller Absicht Details über Wege – beispielsweise Einschleusung über Kasachstan – zeitliche Abläufe und eingesetzte Methoden – doppelte Dächer in den Containern, Training der KI anhand vorhandener Flugzeugexponate in der Ukraine, Anzahl der eingesetzten Drohnen – bekanntgegeben. Der ukrainische Präsident hat sogar offengelegt, dass sich das „Büro der Operation auf russischem Territorium direkt neben dem FSB-Hauptquartier in einer ihrer Regionen befand“.
Besonders dieser Hinweis auf die Nähe der Operationszentrale – hier ist es auch irrelevant, ob diese Aussage wahr ist oder nicht – zu einem russischen FSB-Hauptquartier macht die Absicht der Kommunikation gegenüber dem Adressat Russland deutlich. Sie soll vor allem destabilisierend wirken und das Vertrauen in die russischen Sicherheitsorgane unterminieren, welche offensichtlich nicht in der Lage sind, selbst strategisch wichtige Kriegsmittel – die Bomber sind Bestandteil der nuklearen Triade Russlands – vor großangelegter Sabotage zu schützen. Der Umstand, dass der Anschlag quasi direkt vor der Haustür des für die Spionageabwehr in Russland zuständigen Geheimdienstes vorbereitet wurde, setzt der „Folgeoperation“ (Destabilisierungsabsicht) eine Krone auf. Offenkundig soll der FSB – der aus ukrainischer Perspektive als einer der Hauptakteure für die Invasion in der Ukraine verantwortlich ist – als blind und unfähig dargestellt werden. Frei nach dem Motto: Wenn die russischen Sicherheitsorgane nicht mal den Spion in der Nachbarschaft erkennen und strategisch wichtige Mittel schützen können, dann ist nichts und niemand vor potenziellen zukünftigen Sabotageakten, Angriffen oder auch Attentaten der Ukraine sicher.
Die Wirkung dieser Botschaft konnte bereits wenige Stunden später in Russland beobachtet werden, als erste Videos in den Netzen auftauchten, die lange Lkw-Staus vor Kontrollpunkten zeigen sollen. Schließlich kann jeder Lkw die Drohnen für die nächste Angriffswelle transportieren und jeder Fahrer ein potenzieller Kollaborateur sein.
Ob die Saat am Ende langfristig Früchte tragen wird, bleibt abzuwarten. Zumindest aber werden die Kontrollen sicherlich kurzfristig zunehmen, weil die russischen Sicherheitsorgane versuchen werden, durch eine höhere Präsenz verlorengegangenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Dies alles wird kosten. Neben den Kosten für die Sicherheitsorgane werden die Kontrollen auch Auswirkungen auf die Lieferketten im Land haben. Mittels der proaktiven Kommunikation wird also nicht nur psychologischer, sondern auch zusätzlicher wirtschaftlicher Schaden angerichtet.
Zudem entfaltet die Kommunikation eine positive Wirkung auf die Verbündeten der Ukraine. Nach dem überraschenden Angriff auf die Region Kursk im letzten Jahr, ist der Ukraine nun wieder etwas gelungen, was ihr nur wenige zugetraut haben. Wieder einmal haben die an der Operation beteiligten Kräfte der Ukraine bewiesen, dass die Initiative aktuell nicht gänzlich nur bei den langsam aber stetig vorrückenden Streitkräften Russlands liegt. Die Operation Spiderweb zeig den Verbündeten, dass man die Ukraine nicht abschreiben sollte und sich ein Engagement weiter lohnt. Die Zerschlagung eines großen Teils der russischen Bomberflotte – welche nicht ohne weiteres wiederhergestellt werden kann – hat für die westlichen Nationen den positiven Nebeneffekt, dass das russische Bedrohungspotenzial gegenüber der NATO, zumindest in einem Teil der nuklearen Triade, entscheidend geschwächt wurde.
Schlussendlich wirkt die Kommunikation auch nach Innen in die Ukraine. Eine solche Operation weckt Hoffnung auf weitere, ähnliche Aktionen. Wenn schon Siege auf dem Gefechtsfeld rar geworden sind, liefert eine solche Operation der eigenen Bevölkerung einen wichtigen Moral-Booster.
Resümee
Die Operation Spiderweb zeigt erneut, dass Kommunikation ein Teil der modernen Kriegsführung darstellt. Sicherlich wären einige der offensiv kommunizierten Details mit der Zeit ans Tageslicht gekommen. Ob diese verzögert aufkommende Information dann aber eine ähnliche Wirkung entfaltet hätte, kann bezweifelt werden.
Mit der proaktiven und gezielten Kommunikation hat die Ukraine die psychologische Wirkung der Operation Spiderweb maximiert und den Boden für ein Klima der Angst bereitet, wonach ukrainische Agenten jederzeit und überall zuschlagen können.
Waldemar Geiger