Die Unternehmen des deutschen Marineschiffbaus verfügen gegenwärtig über gut gefüllte Auftragsbücher. Zuletzt sind im vergangenen Jahr weitere Fregatten der Klasse 126 sowie U-Boote bestellt worden. Projekte wie die neuen Flottendienstboote und Betriebsstoffversorger befinden sich in der Umsetzung.
Trotz dieser auf den ersten Blick guten Ausgangslage sieht Reinhard Lüken, Hauptgeschäftsführer des Verbandes für Schiffbau und Meerestechnik (VSM), die Voraussetzungen noch nicht gegeben, die allen Branchenunternehmen ermöglichen, umfangreiche Investitionen in Fertigungsanlagen auf den Weg zu bringen, weil die Langfristperspektiven insbesondere auch hinsichtlich der Exportbedingungen als ungewiss wahrgenommen werden. Investitionen seien aber erforderlich, um die sicherheitspolitischen Anforderungen schnell und umfänglich bedienen zu können, betont Lüken.
Er weist darauf hin, dass beim Marineschiffbau die gesamte Industrie, also auch das zivile Werftgeschäft und das mit der Branche verbundene „Ökosystem“, zu dem die gesamte Wertschöpfungskette sowie Bildungs- und Forschungseinrichtungen gehören, berücksichtigt werden muss. „Nur so behalten wir eine funktionierende kritische Masse, um hochkomplexe militärische Projekte erfolgreich für und aus Deutschland abliefern zu können.“
Zudem wirken sich Geschwindigkeit und Preisdruck im zivilen Geschäft seiner Einschätzung nach positiv auf die Leistungsfähigkeit der gesamten Branche und damit auch auf den Marineschiffbau aus.
Was passiert, wenn der zivile Schiffbau fehlt, wird an den Beispielen USA und Großbritannien deutlich. Dort sind die Schiffbaukosten für militärische Projekte sehr hoch und es bestehen Probleme, Kapazitäten und Know-how hochzufahren. Exemplarisch dafür steht der U-Boot-Bau für die U.S. Navy.
Europa sollte zudem seine Bau- und Instandsetzungskapazitäten im militärischen Schiffbau künftig auch offensiv der U.S. Navy anbieten, so dass es gelinge, die bestehenden Bedarfe der USA decken zu können, sagt Lüken.
Seiner Ansicht nach hat die Politik alle nötigen Mittel in der Hand, um der militärischen und zivilen Werftindustrie, die in den vergangenen Jahren in Deutschland und Europa immer mehr Kapazitäten abbauen musste, das Bestehen im verzerrten internationalen Wettbewerb zu ermöglichen. Zu den Instrumenten zählt er unter anderem Finanzierungshilfen aber auch Anreize und regulatorische Auflagen wie sie bereits vielfach auf der Welt zu beobachten sind. Mit solchen Praktiken habe unter anderem China in den vergangenen Jahrzehnten seine dominante Marktposition ausgebaut.
Grundsätzlich sieht der VSM-Hauptgeschäftsführer aufgrund der angespannten sicherheitspolitischen Situation und der Fokussierung der USA auf Asien einen wachsenden Markt für den Marineschiffbau in Europa. „Europa wird deutlich mehr für sich selbst einstehen müssen“, sagt er und fügt an: „Aus meiner Sicht ist eine europäische Konsolidierung unausweichlich.“ Denn nur dadurch könne Europa eine größere Vereinheitlichung der Systeme und damit Skaleneffekte realisieren. Quasi als „Eintrittskarte“ in das europäische Konzert hält Lüken eine nationale Konsolidierung von Werftkapazitäten für sinnvoll.
Frühe Einbindung der Industrie erwünscht
Entscheidend ist für den VSM-Hauptgeschäftsführer im Marineschiffbau ein besseres Miteinander zwischen Amtsseite und Industrie. Durch Einbindung bereits in der frühen Projektphase könne das Know-how der Industrie optimal genutzt und erhebliche Kosteneinsparungen erzielt werden.
Wie unsinnig manchmal die Anforderungen sind, zeigt er mit einem einfachen Beispiel: Die Marine verlange für handelsübliche Küchen-Mikrowellengeräte an Bord eines Unterstützungsschiffes eine Explosionszeichnung in deutscher Sprache. Diese ist aufgrund der Produktion solcher Geräte in Asien jedoch nicht erhältlich. In der Folge habe ein Ingenieurbüro beauftragt werden müssen, ein Gerät zu zerlegen und eine entsprechende Zeichnung anzufertigen. Die Rede sei von Kosten im fünfstelligen Bereich. „Damit wird Geld verbrannt“, kritisiert Lüken.
Besonders wichtig für die heimischen Marineschiffbau seien überdies verlässliche Exportregeln, „die in allen europäischen Ländern gleich sein müssen“. Weitere Themen sind für den VSM vor dem Hintergrund der EU-Taxonomie-Debatte die Finanzierungskonditionen für die Branche sowie die überkommenen Zivilklauseln von Hochschulen, die eine Forschung für militärische Zwecke untersagen.
Mehr Mittel für Forschung & Entwicklung
Im Bereich Forschung sieht auch der CEO von Naval Vessels Lürssen (NVL), Tim Wagner, Handlungsbedarf für eine zukünftige Bundesregierung. Denn damit der Marineschiffbau eine Schlüsseltechnologie bleibe, müssten die Mittel für Forschung und Entwicklung wieder aufgebaut werden, sagte Wagner am Rande der Handelsblatt-Tagung Sicherheit & Verteidigung in der vergangenen Woche in Berlin. Er kenne im Augenblick kein Vorhaben, bei dem Forschungs- und Entwicklungsmittel in einer Überwasserschiff-Projekt fließen.
Nach Aussage von Wagner wird sein Unternehmen im Frühjahr das erste autonome Boot, einen Demonstrator im 12-Meter-Bereich, vorstellen. „Für mich ist das eine Frage, wie wir in Zukunft große Schiffe und große Boote kombinieren mit kleinen, unbemannten oder Remote-Piloted-Booten“, sagt der NVL-CEO. Deshalb erforsche NVL das Thema Manned-Unmanned-Teaming mit eigenen Mitteln.
„Im Moment ist es ein eigenfinanzierter Demonstrator und ich würde mir natürlich wünschen, mit der Marine enger in Kontakt zu kommen, damit der Nutzer auch mitdiskutiert“, so der NVL-CEO. Perspektivisch werden seinen Worten zufolge aber externe Mittel für die Forschung benötigt, „damit die Technologie dann auch weiterentwickelt werden kann“.
Ein weiteres Handlungsfeld für eine neue Bundesregierung sei der Umgang mit Exportgenehmigungen. „Wir wollen und wir müssen auch weiter im Export tätig sein“, betont Wagner. Bei Ausfuhranträgen sei es jedoch wichtig, schnell eine Rückmeldung zu erhalten. Vor einiger Zeit habe sein Unternehmen über anderthalb Jahre keine Antwort auf eine Anfrage erhalten. „So lange will kein Kunde mehr warten.“ Man könne mit einem Nein leben. Aber es sei seine Bitte, „dass die Prozesse einfach schneller werden“.
Auch hinsichtlich der Finanzierung von Projekten macht Wagner Vorschläge: Wenn ein Kunde eine Finanzierung bei einem Projekt erwarte, könne ein Government-to-Government-Regularium hilfreich sein. Eine andere Möglichkeit sei, dass die staatliche KfW Bankengruppe eine Finanzierung anbiete.
Vor einigen Jahren hatten thyssenkrupp Marine Systems und NVL der Bundesregierung einen Vorschlag für einen Zusammenschluss der Werften unter Beteiligung des Staates gemacht, der in Berlin jedoch nicht aufgegriffen wurde. Dennoch ist das Thema weiter aktuell.
„Eine Konsolidierung ist sinnvoll“, sagt Wagner. Sie müsse aber für alle Parteien passen und die Rahmenbedingungen stimmen. Insofern gebe es Gespräche auf allen Ebenen, um diese Rahmenbedingungen abzustecken. „Und wir werden sehen, was im nächsten halben oder Dreivierteljahr passiert. Aber technologisch halte ich das für richtig und für sinnvoll, dass es in Deutschland einen Schiffbauchampion gibt.“
CDU sieht ebenfalls Konsolidierungsbedarf
Auch die CDU, die laut den augenblicklichen Umfragen nach dem 23. Februar voraussichtlich mit der Regierungsbildung beauftragt wird, sieht den Bedarf für eine Stärkung der Werftstruktur hierzulande. „Wir werden einer Konsolidierung der Schiffbauindustrie nicht aus dem Weg gehen“, sagt Bastian Ernst, Bundestagskandidat der CDU. Der Politiker tritt für den Wahlkreis Delmenhorst – Wesermarsch – Oldenburg-Land an, in dem die maritime Wirtschaft mit Häfen und Marinewerften stark vertreten ist. „Wir streben natürlich immer auch eine nationale Lösung an, also eine deutsche Lösung“, sagt Ernst. Aufgrund der Größe einer solchen Marinewerft habe diese das notwendige Gewicht auf dem europäischen Markt.
CDU-Politiker Ernst, der seit 15 Jahren in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie beschäftigt ist, kennt die Finanzierungsprobleme für Firmen aus dem Bereich Verteidigung aus eigener Erfahrung. „Es gibt immer noch Banken, die Rüstungsunternehmen nicht finanzieren und das ist meiner Meinung nach genauso falsch, wie der Umstand, dass mitunter keine militärische Forschung an Hochschulen zugelassen wird. Das ist nicht unsere Philosophie“, sagt er.
Um dies zu ändern, müsse der politische Druck erhöht werden, auch auf Brüssel. Wenn die Hochschulen wieder offener seien, auch im militärischen Schiffbau zu forschen, werde man spürbare technologische Schritte nach vorne machen, ist der CDU-Politiker überzeugt. Jeder der an den für die Marine relevanten Themen forsche, sei für die Industrie auch ein potenzieller Mitarbeiter, gibt er zu bedenken.
Die CDU strebt nach Aussage von Ernst an, sogenannte maritime Cluster für Defence und kritische Infrastruktur aufzubauen, etwa in Wilhelmshaven oder in der Gegend Jade und Wesermarsch. Die dortigen Häfen, der Bundeswehrstandort Wilhelmshaven, die Industrie und Hochschulen sollen vernetzt werden, um bestehende Ressourcen zu nutzen. „Wenn da ein Player wie eine Hochschule nicht mitspielen darf, ist das natürlich immer sehr mühselig.“
Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag hat sich in den vergangenen Monaten intensiv mit dem Thema Rüstung befasst und kürzlich einen Reformplan mit 70 Punkten für das Beschaffungswesen der Bundeswehr bis 2029 vorgelegt. Mit diesem Positionspapier will die Union nach Aussage von Ernst in mögliche Koalitionsverhandlungen gehen. Darin sind einige Punkte, die auch für den Marineschiffbau relevant sind. So schlägt die Union vor, erstmals ein Planungsgesetz einführen. „Beim Planungsgesetz soll es darum gehen, dass wir personell, materiell und strukturell sowie in Berücksichtigung der NATO und EU-Ebene die Bundeswehr auf parlamentarischer Ebene planen und aufstellen“, erläutert Ernst den Vorschlag.
Momentan werden nach seiner Aussage im Bundestag eher Finanzzahlen und weniger Forderungen und Bedarfsplanungen betrachtet. Überdies sei damit eine überjährige Planung von Projekten, etwa dem Bau von Marineschiffen, vorgesehen. Nicht abgeflossene Haushaltsmittel müssten dann nicht mehr an das Finanzministerium zurückgegeben werden, sondern bleiben für ein Projekt erhalten. „Wir haben nun mal auch länger laufende Themen und deswegen würde das neue Gesetzt die Realität viel besser abbilden.“
In dem Positionspapier wird auch auf das Thema Schlüsseltechnologien und Schlüsselressourcen eingegangen, wie der CDU-Politiker hervorhebt: „Wir sehen ja gerade, dass China zum Beispiel massiv Rohstoffe einkauft und einlagert.“ Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage, wie Deutschland und seine Industrie in Krisen und Spannungssituationen noch Zugriff auf bestimmte Ressourcen haben, um Produkte hierzulande herzustellen zu können. „Ich glaube, der Weg ist gut, den wir für die Schlüsseltechnologien damals gewählt haben. Aber das müssen wir jetzt ausweiten, um strategisch im Bereich der Schlüsselressourcen zu planen“, sagt Ernst. Die konkrete Umsetzung müsse die Politik festlegen. „Da wird man sich natürlich eng der Industrie abstimmen müssen, weil das die Experten sind, die wissen, was sie brauchen und was in welchem Umfang irgendwie vorhanden sein muss. Aber ich glaube, da müssen wir strategischer denken.“ Neben der Verfügbarkeit von Rohstoffen, müssten auch die Unternehmen im Land gehalten werden, die diese verarbeiten können. Dafür sei eine hinreichende Auslastung und eine konkurrenzfähige Kostensituation – etwa bei den Energiepreisen – erforderlich.
Beim Thema Beschaffung will die Union nach Aussage des CDU-Politikers die Wertgrenze für Direktvergaben „spürbar anheben“. Dadurch soll auch der komplexe Vergabeprozess ein Stück weit vereinfacht werden. Man könne dann auf gelisteten Lieferanten zurückgreifen und eine Direktvergabe machen.
„Es gibt ja zum Beispiel das Kaufhaus des Bundes, wo man auch gelistete Produkte etwa im Softwarebereich hat. Das ist ein Instrument, um handelsübliche Dinge schneller zu beschaffen. Gerade für den Bereich Software Defined Defense ist das wichtig.“ Gerade im Bereich Digitalisierung, der in Zukunft noch deutlich wachsen werde, müssen nach Einschätzung von Ernst die Kompetenzen des Bundeswehr-Beschaffungsamtes BAAINBw weiter ausgebaut werden, denn „das Thema wird ja querschnittlich in allen Beschaffungsvorhaben noch stärker werden“.
Lars Hoffmann