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Liebesgrüße aus Paris: Ausdehnung von Frankreichs nuklearem Schutzschirm über Europa

Fabian Hoffmann

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Europäischer Bedarf an erweiterter Abschreckung, französische Nuklearfähigkeiten und Herausforderungen für die Glaubwürdigkeit

Der Rückzug der Vereinigten Staaten aus der europäischen Verteidigung hat erhebliche Auswirkungen auf die nukleare Abschreckung in Europa.

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Die Vereinigten Staaten verfügen über das größte, vielfältigste und leistungsfähigste Atomwaffenarsenal unter den NATO-Nuklearmächten. Seit den Anfängen des Kalten Krieges haben sie dieses Arsenal genutzt, um die nukleare Abschreckung auf Europa auszuweiten und nichtnukleare NATO-Staaten zu schützen.

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Ohne die Vereinigten Staaten ist diese erweiterte Abschreckung in ihrer bisherigen Form nicht mehr gegeben. Präsident Emmanuel Macron hat nun angeboten, diese Lücke zu schließen, indem er Frankreichs nuklearen Schutzschirm auf europäische Staaten ausdehnt. Dieser Beitrag analysiert, inwieweit Frankreich und seine Nuklearstreitkräfte diese Rolle übernehmen können und welche Glaubwürdigkeitsprobleme damit verbunden sind.

Das Konzept der erweiterten Abschreckung durch die Vereinigten Staaten

Um zu beurteilen, ob Frankreich den nuklearen Schutzschirm der Vereinigten Staaten ersetzen kann, ist es wichtig zu verstehen, was die Vereinigten Staaten ihren europäischen Verbündeten im Rahmen ihrer erweiterten nuklearen Abschreckung bieten konnten.

Die Vereinigten Staaten konnten ihren nuklearen Schutzschirm über Europa glaubwürdig ausdehnen, indem sie sicherstellten, dass ihr Nukleararsenal drei zentrale Funktionen erfüllte:

  1. Schadensbegrenzung
  2. Nukleare Kriegsführung
  3. Nukleare Zwangsmassnahmen, um einer konventionellen Niederlage zu entgehen (im Englischen, „Coercive Nuclear Use“)

Erstens konnten die Vereinigten Staaten ihren Verbündeten glaubhaft versichern, dass sie im Ernstfall nicht nur Vergeltung in ihrem Namen üben, sondern auch das sowjetische und später das russische Atomwaffenarsenal in einem präventiven Gegenschlag angreifen und neutralisieren könnten.

Ermöglicht wurde dies durch die Größe des US-amerikanischen nuklearen Abschreckungspotenzials – sowohl in Bezug auf die Anzahl der Sprengköpfe als auch auf die Vielfalt der Trägersysteme – sowie durch dessen fortschrittliche Fähigkeiten. Die Vereinigten Staaten investierten erheblich in hochpräzise Trägersysteme, die nukleare Sprengköpfe mit weit größerer Genauigkeit ins Ziel bringen konnten, als es für einfache „City-Busting“-Vergeltungsschläge erforderlich wäre.

Unabhängig von der tatsächlichen Machbarkeit einer solchen Schadensbegrenzungsstrategie spielte allein die Möglichkeit ihrer Umsetzung eine entscheidende Rolle, um die Verbündeten davon zu überzeugen, dass die Vereinigten Staaten im Falle eines Abschreckungsversagens nicht vor einem nuklearen Konflikt zurückschrecken würden.

Zweitens signalisierten die Vereinigten Staaten ihren Verbündeten glaubhaft, dass sie einen Atomkrieg mit der Sowjetunion und später mit Russland auf allen Ebenen führen könnten, einschließlich der nicht-strategischen (manchmal als „taktisch“ bezeichneten) nuklearen Ebene.

Dies war möglich, weil die Vereinigten Staaten Optionen für die nukleare Kriegsführung unterhalb der strategischen Ebene beibehielten, auch wenn die Vielfalt ihres nicht-strategischen Nukleararsenals nach dem Kalten Krieg deutlich abnahm – eine Entwicklung, die in den letzten Jahren in Politik- und Expertenkreisen intensiv diskutiert wurde.

Nicht-strategische nukleare Fähigkeiten spielten eine zentrale Rolle in der erweiterten Abschreckungsstrategie der Vereinigten Staaten. Sie vermittelten den europäischen Verbündeten die Gewissheit, dass die USA über Eskalationsoptionen verfügten, die weder eine Unterwerfung unter sowjetische oder russische nicht-strategische Nuklearangriffe – was inakzeptabel gewesen wäre – noch eine sofortige Eskalation zu strategischem Nuklearwaffeneinsatz – was als unglaubwürdig galt – erforderten.

Dies war auch ein wesentlicher Grund dafür, dass die NATO unter Führung der Vereinigten Staaten in den 1960er Jahren ihre Militärdoktrin änderte: Sie löste sich von der Strategie der „Massiven Vergeltung“ – dem Konzept, dass jeder sowjetische Angriff in Europa einen sofortigen umfassenden nuklearen Gegenschlag auslösen würde – und führte das Konzept der „Flexiblen Reaktion“ ein. Diese neue Doktrin gewährleistete, dass die Vereinigten Staaten auf allen Konfliktebenen, von der konventionellen über die nicht-strategische bis hin zur strategisch-nuklearen Ebene, über abgestufte Kriegsführungsoptionen verfügten.

Drittens trug das amerikanische Nukleararsenal zur Glaubwürdigkeit der erweiterten Abschreckung bei, indem es Optionen für nukleare Zwangsmaßnahmen („Coercive Nuclear Use“) als Mittel zur Vermeidung einer konventionellen Niederlage bot.

In einem Konflikt mit der Sowjetunion oder Russland, in dem die NATO am Verlieren war, konnten die Vereinigten Staaten zusammen mit ihren europäischen Verbündeten glaubhaft damit drohen, von einem groß angelegten konventionellen Krieg zu einem begrenzten nuklearen Konflikt überzugehen.

Diese Eskalation erfüllte zwei wesentliche Zwecke. Erstens konnte der Einsatz von Kernwaffen die Dynamik auf dem Schlachtfeld verändern, indem sowjetische oder russische Vorstöße gestoppt oder zurückgedrängt wurden. Zweitens würde ein begrenzter nuklearer Einsatz sofort das Risiko einer unkontrollierten Eskalation erhöhen, die letztlich in einem umfassenden Atomkrieg und gegenseitig zugesicherter Zerstörung enden könnte – ein Szenario, das die Fortsetzung der Feindseligkeiten für beide Seiten unklug machen würde.

Die Glaubwürdigkeit dieser Bedrohung wurde durch die Stationierung amerikanischer Atomwaffen in den Frontstaaten des Kalten Krieges, insbesondere in Westdeutschland, weiter verstärkt. Zwar hätte kein europäischer Staat leichtfertig die Entscheidung getroffen, Atomwaffen in einen Konflikt einzubringen – insbesondere, wenn der Krieg auf eigenem Boden stattfand –, doch hätte ein deutscher Bundeskanzler diese Option möglicherweise in Betracht gezogen, wenn die Alternative eine vollständige konventionelle Niederlage gewesen wäre.

Indem die Vereinigten Staaten diese drei Funktionen erfüllten, konnten sie ihren europäischen Verbündeten durch ihr Nukleararsenal glaubwürdige Verpflichtungen zur erweiterten nuklearen Abschreckung geben. Natürlich war diese Sicherheitsgarantie nicht ohne Schwächen, und die grundlegende Frage, ob die Vereinigten Staaten letztendlich bereit wären, „Hamburg gegen New York zu tauschen“, blieb während und nach dem Kalten Krieg ein zentrales Problem.

Dennoch lässt sich kaum bestreiten, dass dieser nukleare Schutzschirm gut konzipiert und sorgfältig in den Rahmen der erweiterten Abschreckung eingebettet war. Auch wenn er nicht perfekt war, trug er zweifellos dazu bei, die sowjetische und später die russische Militärplanung erheblich zu erschweren.

Kann das französische Atomwaffenarsenal die erweiterte nukleare Abschreckung der USA ersetzen?

Die Schlüsselfrage ist also, ob Frankreich seinen europäischen Verbündeten ein besseres oder zumindest gleich gutes „Produkt“ der erweiterten nuklearen Abschreckung anbieten kann. Höchstwahrscheinlich ist dies nicht der Fall – zumindest solange das französische Nukleararsenal und die Doktrin nicht grundlegend geändert werden und der wahrgenommene Umfang des nuklearen Schutzschirms unverändert bleibt.

Das französische Nukleararsenal ist von der Größe und den Fähigkeiten her unzureichend, um im Falle eines nuklearen Konflikts eine sinnvolle Schadensbegrenzung zu bieten. Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten kann Frankreich im Wesentlichen nur im Namen seiner Verbündeten Vergeltungsmaßnahmen ergreifen, nicht aber Präventivmaßnahmen ausführen.

Für Belgien, Deutschland oder die Niederlande – Länder, die geografisch eng mit Frankreich verbunden sind – mag das kein Problem darstellen. Wenn ihr Überleben bedroht wäre, würde Frankreich wahrscheinlich auch eine existenzielle Bedrohung erfahren, wenn nicht sofort, dann in naher Zukunft. In einem solchen Szenario ist ein groß angelegter Einsatz von Atomwaffen in ihrem Namen zumindest einigermaßen glaubwürdig.

Diese Glaubwürdigkeit erstreckt sich jedoch nicht auf Staaten, die weiter von Frankreich entfernt sind, darunter die baltischen Staaten, die nordischen Länder, Polen und Rumänien. Hier stellt sich unweigerlich die Frage, ob ein französischer Präsident „Tallinn gegen Paris“ tauschen würde.

In Gesprächen mit französischen Offiziellen und anhand von Macrons Äußerungen entsteht der Eindruck, dass Frankreich glaubt, die Glaubwürdigkeitslücke seiner nuklearen Abschreckung durch seine langjährige Politik der strategischen Ambiguität überbrücken zu können – die Idee, keine klare Aussage darüber zu treffen, wann und wie es auf einen nuklearen Einsatz zurückgreifen würde. Macrons Verweise auf „unabdingbare europäische Interessen“ ohne weitere Konkretisierung spiegeln diesen Ansatz wider. Es ist jedoch fraglich, ob solche nuklearen Sicherheitsgarantien nördlich und östlich von Deutschland als glaubwürdig wahrgenommen werden.

Frankreich ist derzeit zudem nicht in der Lage, seinen Verbündeten glaubhaft zu signalisieren, dass es einen Atomkrieg mit Russland auf der substrategischen Ebene führen und möglicherweise gewinnen könnte. Es fehlt sowohl an der Tiefe als auch an der Vielfalt seines Arsenals, um in einem nicht-strategischen Nuklearkriegsszenario effektiv mit Russland konkurrieren zu können.

Dies könnte Frankreich und seine europäischen Verbündeten in eine Situation bringen, in der sie gezwungen wären, entweder einem russischen nicht-strategischen Nukleareinsatz beizugeben oder direkt auf die strategische Nuklearebene zu eskalieren – eine Option, die von den Verbündeten wahrscheinlich nicht als glaubwürdig angesehen würde.

Ein zentrales Problem liegt auch in der französischen Nukleardoktrin. Derzeit erkennt Frankreich die Existenz einer eigenständigen nicht-strategischen nuklearen Ebene nicht an und betrachtet jeden nuklearen Einsatz in seinen Konsequenzen als strategisch. Diese doktrinäre Haltung verhindert effektiv, dass Frankreich neue nicht-strategische nukleare Optionen in seine Abschreckungsplanung integriert. Während dies kein Problem darstellte, solange die französische Nukleardoktrin ausschließlich auf den Schutz der eigenen vitalen Interessen ausgerichtet war, wird es zu einer erheblichen Herausforderung, wenn Frankreich versucht, seinen nuklearen Schutzschirm auf andere europäische Staaten auszuweiten.

Schließlich könnte das französische Nukleararsenal mit einigen Anpassungen gut positioniert sein, um nukleare Zwangsmaßnahmen zu unterstützen und einer konventionellen Niederlage zu entgehen, ähnlich der Rolle, die das amerikanische Nukleararsenal spielt. Dies würde insbesondere dann gelten, wenn französische Atomwaffen in Länder verlegt würden, die unmittelbar von einer russischen Invasion bedroht sind, ähnlich wie Westdeutschland während des Kalten Krieges.

Das bedeutet jedoch, dass Diskussionen über die Vorverlegung von Rafale-Kampfjets und nuklear bestückten ASMPA-R-Marschflugkörpern nach Deutschland weitgehend überflüssig sind und wenig zur Glaubwürdigkeit der erweiterten französischen Abschreckung beitragen. Deutschland ist bereits relativ gut durch Frankreichs strategisches Nukleararsenal abgedeckt, wie zuvor beschrieben.

Stattdessen sollte der Fokus auf der Vorverlegung französischer Nuklearkapazitäten nach Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien liegen – den neuen Frontstaaten in der Konfrontation mit Russland. Sollte dies geschehen und könnten sich die französischen Entscheidungsträger mit der Führung dieser Länder auf gemeinsame Genehmigungsverfahren für den Nukleareinsatz einigen, könnte dies die russische Einsatzplanung erheblich erschweren und die nukleare Abschreckung in Europa angesichts des Rückzugs der USA stärken.

Wie kann die französische Abschreckung auf eine erweiterte Abschreckung ausgerichtet werden?

Es ist wichtig zu betonen, dass es sich bei den obigen Ausführungen um eine Beobachtung und nicht um eine Kritik an der französischen nuklearen Abschreckung handelt. Das französische Nukleararsenal und die Nukleardoktrin wurden über Jahrzehnte hinweg mit einem klaren Ziel entwickelt: die Gewährleistung der Unabhängigkeit und territorialen Integrität Frankreichs. In dieser Hinsicht hat sich die französische nukleare Abschreckung bewährt und bleibt nach wie vor voll funktionsfähig.

Dies steht jedoch in starkem Gegensatz zur amerikanischen nuklearen Abschreckung, die seit mindestens den 1960er Jahren mit einem zusätzlichen zentralen Ziel verfolgt wird: die erweiterte Abschreckung auf dem europäischen Kontinent glaubwürdig zu machen.

Damit das französische Nukleararsenal eine glaubwürdige Rolle in der erweiterten Abschreckung spielen kann, muss es sich gezielt in diese Richtung weiterentwickeln. Dieser Punkt wird in der Debatte nach wie vor oft übersehen. Häufig konzentrieren sich die Diskussionen darauf, was Frankreich seinen Verbündeten derzeit bieten kann und wie aufnahmefähig europäische Staaten für eine erweiterte Abschreckung unter französischer Führung sind. Doch damit ein glaubwürdiger französischer Nuklearschirm entstehen kann, muss sich zunächst das Nukleararsenal und die Nukleardoktrin an diese neue Rolle anpassen – Entscheidungen, die allein in Paris getroffen werden können.

Eine Weiterentwicklung der französischen Nuklearwaffen in Richtung Schadensbegrenzung wäre politisch umstritten und wahrscheinlich auch finanziell nicht realisierbar. Frankreich könnte jedoch sein Nukleararsenal und seine Doktrin anpassen, um zusätzliche Optionen auf der nicht-strategischen nuklearen Ebene zu schaffen und einige seiner nuklearen Mittel gezielt in Frontstaaten zu verlagern.

In Bezug auf materielle Fähigkeiten würde dies wahrscheinlich die Entwicklung von Nuklearsprengköpfen mit geringerer Sprengkraft, eine Erhöhung der Zahl der Trägersysteme für nicht-strategische Nuklearsprengköpfe und idealerweise eine Diversifizierung der Trägersysteme erfordern. Dazu könnten Fliegerbomben und im Idealfall ballistische Kurz- und Mittelstreckenraketen gehören.

Natürlich erfordert all dies Zeit und kann nicht von heute auf morgen umgesetzt werden, sodass es keine schnelle Lösung gibt. Zudem stellt sich die Frage, wer eine solche Erweiterung finanziert – Staaten wie Deutschland, Italien oder Polen könnten möglicherweise einen Beitrag leisten. Die endgültige Entscheidung, in diese Fähigkeiten zu investieren, liegt jedoch allein in Paris.

Was die Doktrin betrifft, so müsste Frankreich von der strategischen Ambiguität abrücken. Ein britischer Diplomat formulierte es einmal so: „Man braucht nur fünf Prozent Sicherheit, um seine Gegner abzuschrecken, aber 95 Prozent Sicherheit, um seine Verbündeten zu beruhigen.“ An dieser Aussage ist viel Wahres dran.

Um auf der nicht-strategischen nuklearen Ebene glaubwürdig agieren zu können, müsste Frankreich zudem zunächst anerkennen, dass eine solche Ebene überhaupt existiert. In der Praxis dürfte dies nicht schwierig sein, da Frankreich – auch wenn einige Analysten, insbesondere aus Frankreich, anderer Meinung sind – bereits innerhalb dieses Rahmens operiert. Sein ASMPA-R-Einsatz als „letzte Warnung“ dient effektiv nicht-strategischen Zwecken. Es ginge also letztlich darum, das zu formalisieren, was faktisch bereits existiert.

Schließlich könnte argumentiert werden, dass die bloße Verlegung einer begrenzten Anzahl von ASMPA-R- und Rafale-Flugzeugen nach Deutschland auch ohne eine Anpassung der Doktrin oder eine Weiterentwicklung des Arsenals gewisse Vorteile bringen könnte, insbesondere aus politischer Sicht. Dies mag zutreffen, doch wenn der französische Nuklearschirm mehr als eine symbolische Geste sein und tatsächlich zu einer glaubwürdigen Abschreckung außerhalb Frankreichs beitragen soll, ist es schwer vorstellbar, dass er dies in seiner derzeitigen Form leisten kann.

Autor: Fabian Hoffmann ist Doktorand am Oslo Nuclear Project an der Universität Oslo. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Verteidigungspolitik, Flugkörpertechnologie und Nuklearstrategie. Der Beitrag erschien erstmalig am 9.03.2025 in englischer Sprache im „Missile Matters“ Newsletter auf Substack.