Anzeige

Verlust des nuklearen Schutzschirms der USA: Kann Europa einen Ausstieg der USA kompensieren?

Fabian Hoffmann

Anzeige

Die ersten Wochen der Trump-Regierung haben die Vereinigten Staaten und Europa auf Konfrontationskurs gebracht. Sollte sich die USA aus der NATO zurückziehen oder offiziell erklären, dass sie Europa nicht mehr schützen wird, könnten die europäischen NATO-Staaten den Zugang zum US-Atomwaffenarsenal verlieren, das derzeit der erweiterten nuklearen Abschreckung dient.

Dieser Beitrag befasst sich mit den Auswirkungen eines Abzugs des US-Kernwaffenarsenals auf die Sicherheitsarchitektur Europas.

Anzeige

Das US-Atomwaffenarsenal

Die Vereinigten Staaten stellen derzeit den Großteil der strategischen und nicht-strategischen (oder „taktischen“) nuklearen Fähigkeiten der NATO. Schätzungen zufolge verfügen sie über etwa 1.700 stationierte nukleare Sprengköpfe.

Anzeige

Dazu gehören (Sprengkopfleistung in Klammern):

  • ICBMs: 200 W78 (335 kT) und 200 W87 (300 kT) Sprengköpfe auf silobasierten LGM-130G Minuteman III Interkontinentalraketen.
  • SLBMs: 384 W88 (455 kT), 561 W76-1 (90 kT) und 25 W76-2 (8 kT) Sprengköpfe auf UGM-133A Trident II D5/LE U-Boot-gestützten ballistischen Raketen.
  • ALCMs: 200 W80-1 (5-150 kT) Gefechtsköpfe auf AGM-86 luftgestützten Marschflugkörpern.
  • Freifallbomben: 100 B61 (50-170 kT) und B83 (1-1.200 kT) nukleare Freifallbomben für den Einsatz durch designierte B-2A Spirit-Bomber.

Darüber hinaus haben die USA rund 100 B61 (50-170 kT) nukleare Freifallbomben in Europa stationiert, von denen 60 für den Einsatz im Rahmen der Nuklearen Teilhabe durch NATO-Mehrzweckkampfflugzeuge (für konventionelle und nukleare Missionen) in Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden und der Türkei vorgesehen sind.

Atomwaffeneinsätze

Das US-Kernwaffenarsenal erfüllt zwei Funktionen, die die europäischen Nuklearstreitkräfte derzeit nicht in vollem Umfang übernehmen können: Schadensbegrenzung und nukleare Kriegsführung unterhalb der strategischen Ebene.

Schadensbegrenzung

Schadensbegrenzung beschreibt präventive Nuklearschläge gegen gegnerische Nuklearstreitkräfte, Führungsinfrastruktur und Trägersysteme, um deren Fähigkeit zu einem umfassenden Erst- oder Gegenschlag zu verringern. Solche Operationen erfordern fortschrittliche Aufklärungsfähigkeiten, ein ausreichend großes Arsenal zur Sättigung der feindlichen Ziele sowie hochpräzise Trägersysteme zur Maximierung der Erfolgswahrscheinlichkeit einzelner Sprengköpfe.

Obwohl dies nicht offiziell zugegeben wird – auch wenn die USA gelegentlich mehr oder weniger direkt darauf hinweisen – ist das amerikanische Nukleararsenal in vielerlei Hinsicht für Schadensbegrenzungszwecke optimiert, insbesondere im Vergleich zu den französischen und britischen nuklearen Abschreckungsinstrumenten.

Letztere sind insbesondere in ihrer Größe unzureichend. Frankreich und Großbritannien verfügen zusammen über etwa 515 stationierte Sprengköpfe, was kaum ausreichen würde, um Russlands landgestützte Nuklearstreitkräfte im Rahmen eines Schadensbegrenzungsschlags zu neutralisieren. Hinzu kommt, dass Frankreich und das Vereinigte Königreich im Bereich der U-Boot-Bekämpfung deutlich hinter den USA zurückliegen. Selbst wenn ein Schadensbegrenzungsschlag an Land erfolgreich wäre, könnten Russlands seegestützte Nuklearwaffen wahrscheinlich weiterhin weitgehend unbehelligt operieren.

Nukleare Kriegsführung

Die nukleare Kriegsführung unterhalb der strategischen Ebene umfasst den gezielten Einsatz von Kernwaffen in regionalen oder lokalen Konflikten, meist mit geringer Sprengkraft und selektiven Zieloptionen. Ziel ist es, militärische und politische Vorteile in einem nuklearen Konflikt zu erzielen, ohne einen umfassenden Atomkrieg auszulösen.

Derzeit scheint nur die USA eine Doktrin für nukleare Konflikte auf niedrigeren Eskalationsstufen zu verfolgen und gleichzeitig über ein ausreichend diversifiziertes Arsenal an Trägersystemen und Sprengköpfen zu verfügen, um solche Operationen umzusetzen.

Frankreich hat zwar erklärt, dass der nukleare luftgestützte Marschflugkörper ASMP-A einem anderen Zweck dient als sein strategisches SLBM-Arsenal – als „vorstrategische Abschreckung“, die eine letzte Warnung vor einer möglichen Eskalation zu einer umfassenden strategischen nuklearen Antwort liefern soll –, doch unterscheidet Paris in seiner Doktrin nicht zwischen strategischen und nicht-strategischen Kernwaffen.

Im Gegensatz dazu erkennt das Vereinigte Königreich eine „substrategische“ Rolle seines Nukleararsenals an und hält sich prinzipiell die Option eines begrenzten Nuklearschlags offen. Das Hauptproblem ist jedoch die begrenzte Arsenaltiefe an Sprengköpfen mit geringer Sprengkraft sowie die mangelnde Vielseitigkeit des britischen Nukleararsenals, wodurch es praktisch nur begrenzt Optionen für nicht-strategische nukleare Einsätze bietet.

Ohne das US-Nukleararsenal würde die NATO wahrscheinlich ihre Fähigkeit verlieren, mit Russland auf der substrategischen nuklearen Ebene wirksam zu konkurrieren.

Auswirkungen auf die Abschreckungsposition der NATO

Traditionell hielten die Vereinigten Staaten als Teil des Konsenses über die erweiterte nukleare Abschreckung aus der Zeit des Kalten Krieges eine Fähigkeit zur Schadensbegrenzung aufrecht. Dieser Ansatz trug dazu bei, die europäischen Verbündeten davon abzuhalten, eigene Atomwaffen zu entwickeln, indem man glaubhaft signalisierte, dass die USA das sowjetische Atomwaffenarsenal notfalls präventiv angreifen könnten, bevor es eingesetzt werden könnte – auch gegen europäische Städte.

Angesichts der Unsicherheit über den künftigen Bestand der US-Erweiterungsabschreckung haben europäische Atommächte, insbesondere Frankreich, ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt, ihre nukleare Abschreckung auf andere europäische Staaten auszudehnen. Im Gegensatz zum Nuklearschirm der USA verfügt das französische Nukleararsenal jedoch nicht über eine glaubwürdige Fähigkeit zur nuklearen Schadensbegrenzung. Im Grunde genommen bietet Frankreich seinen Verbündeten lediglich Vergeltung an, sobald deren Existenz als souveräne Staaten unmittelbar bedroht ist.

Diese Zusage mag für Staaten in der Nähe Frankreichs, wie Deutschland, Belgien oder die Niederlande, einigermaßen glaubwürdig sein, da eine existenzielle Bedrohung ihrer Hauptstädte wahrscheinlich auch Paris bedrohen würde. Für Länder wie Finnland oder die baltischen Staaten, die geografisch weit von Frankreichs Grenzen entfernt sind, ist dies jedoch sehr viel schwieriger zu vermitteln.

Sowohl für Frankreich als auch das Vereinigte Königreich ist der kurz- oder mittelfristige Erwerb einer Schadensbegrenzungsfähigkeit unrealistisch – und vermutlich auch nicht erstrebenswert. Ob der Verlust des Zugangs zu einer solchen Fähigkeit die Abschreckung der NATO insgesamt schwächt, ist umstritten. Doch klar ist, dass dies die Architektur der erweiterten Abschreckung in Europa verändern würde.

Die Auswirkungen des Verlusts des Zugangs zu den nicht-strategischen amerikanischen Kernwaffen sind womöglich einfacher zu ermessen.

Analysten diskutieren häufig darüber, ob ein nicht-strategisches Nukleararsenal notwendig ist, um die nicht-strategischen Nuklearstreitkräfte eines Gegners abzuschrecken. Auch hier würde eine Lösung dieser Debatte den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Klar ist jedoch, dass Russland im Gegensatz zu den europäischen Kernwaffenstaaten sowohl in seiner Doktrin als auch in seinen Beschaffungsprioritäten nicht-strategischen nuklearen Optionen einen hohen Stellenwert einräumt.

Ein Szenario, in dem Russland mehrere Optionen für das Eskalationsmanagement auf der substrategischen nuklearen Ebene behält, während die europäischen NATO-Staaten über keine oder nur sehr begrenzte Optionen verfügen, könnte zu gefährlichen „Abschreckungslücken“ führen. Wenn Russland glaubt, dass es seine europäischen Gegner ausmanövrieren kann, indem es zu einem nichtstrategischen Nukleareinsatz übergeht, während die europäischen Kernwaffenstaaten über keine praktikablen Reaktionsmöglichkeiten verfügen, könnte es versucht sein, diese Asymmetrie auszunutzen. Russische Publikationen zu diesem Thema deuten darauf hin, dass diese Denkweise nicht nur hypothetisch ist.

Um dem entgegenzuwirken, müssten die europäischen Kernwaffenstaaten möglicherweise in ihre eigenen nicht-strategischen nuklearen Optionen investieren und ihre Doktrinen entsprechend anpassen, insbesondere wenn das US-Atomwaffenarsenal vom Kontinent verschwinden sollte. Gegenwärtig scheinen jedoch sowohl Frankreich als auch das Vereinigte Königreich nicht motiviert zu sein, solche Schritte zu unternehmen.

Autor: Fabian Hoffmann ist Doktorand am Oslo Nuclear Project an der Universität Oslo. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Verteidigungspolitik, Flugkörpertechnologie und Nuklearstrategie. Der Beitrag erschien erstmalig am 15.02.2025 in englischer Sprache im „Missile Matters“ Newsletter auf Substack.