Die omnipräsente Bedrohung durch FPV-Kampfdrohnen und Loitering Munition auf dem Gefechtsfeld in der Ukraine hat dazu geführt, dass die Kampfpanzer beider Kriegsparteien mit zusätzlichen improvisierten Schutzelementen – wie beispielsweise Störsystemen sowie Käfig- und Reaktivpanzerung – nachgerüstet wurden. Eine Maßnahme, die zwar den Schutz erhöht, aber „teuer“ erkauft werden muss.
Egal ob T-64, T-72, T-80, T-84, T-90, Abrams, Challenger, Leopard 1 oder 2, Kampfpanzer jeglichen Typs werden seitens ukrainischer bzw. russischer Soldaten mit diesen improvisierten Schutzsystemen „nachgerüstet“. Bilder dieser Kampfpanzer sind zahlreich im Netz zu finden. Einige davon werden mit zusätzlichen Reaktivschutzelementen am Turm und Wanne nachgerüstet. Einige verfügen über aufklappbare Drohnenschutznetze, bei anderen wird der ganze Turm oder der ganze Panzer durch zusätzliche Käfigpanzerung oder Metallplatten geschützt.
Im Falle der besonders skurril anmutenden „Turtle-Tanks“ (Schildkrötenpanzer) geht es sogar so weit, dass die Kampfpanzer gänzlich hinter nachträglich angeschweißten Panzerplatten oder Käfigelementen verschwinden.
Auch die israelischen Streitkräfte sind im Rahmen des Gaza-Krieges dazu übergegangen, einige ihrer Merkava-Kampfpanzer mit nachträglich angebrachter Käfigpanzerung gegen Drohnenangriffe von oben zu schützen.
Wirkprinzip
Die Idee hinter der Käfigpanzerung – unabhängig davon ob aus Metalldraht, Textilnetzen, Kettengliedern oder ganzen Gummi- bzw. Panzerplatten – liegt darin, dass die anfliegenden Drohnen sich darin verfangen bzw. abgelenkt werden oder noch vor der eigentlichen Panzerung zur Detonation gebracht werden können und so nicht die komplette zerstörerische Wirkung auf den Kampfpanzer entfalten. So improvisiert und skurril die einzelnen Schutzlösungen auch aussehen mögen, scheinen sie doch geeignet dafür zu sein, den Kampfpanzerbesatzungen einen gewissen zusätzlichen Schutz gegen die dringlichsten Bedrohungen des Gefechtsfeldes zu bieten. Andernfalls würden die mit dem Anbringen dieser improvisierten Schutzelemente einhergehenden Nachteile durch die Besatzungen sicherlich nicht toleriert werden.
Eine ähnliche Wirkung, wenn auch aufgrund eines andren Wirkmechanismus, wird mittels des Anbringens von Reaktivpanzerelementen erreicht, die die Wirkung von Loitering Munition bzw. mit zumeist PG-7-Granaten bewaffneten FPV-Kampfdrohnen nachweislich signifikant verringern können. Ein solches Reaktivpanzerelement besteht im Wesentlichen aus einer Schicht Sprengstoff, die mit Metall oder einem anderen Verbundwerkstoff ummantelt ist. Wird dieses zumeist schräg angeordnete Reaktivpanzerelement durch einen Hohlladungsstrahl einer anfliegenden Granate getroffen, löst der Sprengstoff aus und schleudert die Metall- bzw. Verbundwerkstoffummantelung dem anfliegenden Hohlladungsstrahl entgegen. Dadurch wird die Wirkung der Granate signifikant verringert, so dass die verbleibende Restenergie zumeist nicht ausreicht, um die reguläre Panzerung des Kampfpanzers zu durchdringen.
Die beabsichtigte Wirkung von nachträglich angebrachten Störsystemen ist eine andere. Diese Systeme sollen die Kampfpanzer insbesondere davor bewahren, von funkgesteuerten FPV-Drohnen getroffen zu werden. Die Systeme wirken dahingehend, dass die Telemetrie-Übertragung der Drohnen auf den letzten Anflugmetern dermaßen gestört wird, dass die Drohnen das Ziel entweder gänzlich verfehlen oder zumindest präzise Treffer auf Schwachstellen in der Panzerung vermieden werden können.
Preis
Mobilität, Schutz und Wirkung sind die wesentlichen Parameter, die die Leistungsfähigkeit von Kampfpanzern bestimmen. Das Zusammenwirken dieser sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren wird als „Iron Triangle“ – auf Deutsch „eisernes Dreieck“ – bezeichnet. Es ist grundsätzlich so, dass sich diese Parameter gegenseitig beeinflussen. Höherer Schutz erfordert zumeist mehr Panzerung oder andere Maßnahmen, was wiederum in einem höheren Gewicht und einem größeren Volumen mündet und damit maßgeblichen Einfluss auf die Mobilität der Kampfpanzer hat. Gewichtsreserven können somit nicht mehr für den Parameter Wirkung (bspw. Waffensysteme) genutzt werden.
Mit dem nachträglichen Anbringen der provisorischen Schutzelemente wird die Erhöhung des Parameters Schutz auf Kosten der Parameter Mobilität und Wirkung erkauft. Je nach Sichtweise wird sogar der Parameter Schutz ebenfalls – zumindest in bestimmten Aspekten – ebenfalls negativ beeinflusst. Weitere Nachteile sind eine höhere Verschleißrate sowie geringeres Situations- oder Lagebewusstsein bis hin zur Störung der eigenen Führungsfähigkeit.
Wirkung
Das Anbringen der zusätzlichen Panzerungselemente, insbesondere bei Systemen wie dem Turtle Tank, führt dazu, dass die Funktionsweise praktisch aller am Panzer verfügbaren Sichtmittel signifikant eingeschränkt wird. Das damit einhergehende schlechtere Situations- bzw. Lagebewusstsein – besonders dann, wenn die Beobachtungssektoren der Periskope „verbaut“ werden – führt dazu, dass möglich Ziele, die sich im eingeschränkten Sichtbereich befinden, später oder gar nicht entdeckt und dementsprechend auch nicht bekämpft werden können.
Zudem kann das zusätzliche Turmgewicht dafür sorgen, dass die Richtgeschwindigkeit des Turmes verringert wird, weil die Turmtriebe nicht für diese Lasten optimiert sind. Es dauert somit länger bis aufgeklärte Ziele ins Ziel genommen werden können.
Die Nutzung der nachträglich angebrachten Störsysteme kann zu unerwünschten Wechselwirkungen mit den eigenen Kommunikationsmitteln führen, was die Führungsfähigkeit einschränkt und die Interaktion des einzelnen Kampfpanzers mit anderen Gefechtsteilnehmern verringert. Das Führen eines beweglichen Gefechtes wird somit erschwert. Gleichwohl sei darauf hingewiesen, dass die negativen Aspekte der Störsysteme signifikant verringert werden können, wen die Integration der Störer in Zusammenarbeit mit den Systemherstellern erfolgt. Ungewünschte Wechselwirkungen können so einfacher identifiziert und verhindert werden.
Schutz
Beide beschriebenen Aspekte Situations- bzw. Lagebewusstsein sowie Richtgeschwindigkeit haben gleichzeitig auch negative Eigenschaften auf den Parameter Schutz, da neben Zielen auch Gefahren später oder gar nicht erkannt werden können und Kampfpanzer in Duellsituationen den Feuerkampf langsamer als der Feindpanzer aufnehmen können.
Die ausgeprägte Käfigpanzerung sorgt zudem dafür, dass die Funktion von Nebelmittelwurfanlage beeinträchtigt wird. Was dieses Schutzsystem quasi gänzlich unbrauchbar macht. Bei plötzlich auftretender Bedrohung wird der Besatzung somit die Möglichkeit verwehrt bleiben die Sichtlinie zum Feind zu unterbrechen und sich so einem gezielten Feindfeuer zu entziehen.
Würden die russischen oder ukrainischen Kampfpanzer über abstandsaktive Schutzsysteme verfügen, wäre auch die Funktionsweise dieser Systeme durch die ausgeprägten Käfigkonstruktionen erheblich eingeschränkt bis gänzlich verhindert.
Mobilität
Das zusätzliche Gewicht der nachträglich angebrachten Schutzelemente haben auf unterschiedliche Art und Weise eine negative Wirkung auf den Parameter Mobilität. Das zusätzliche Gewicht erhöht den Spritverbrauch und verringert die Geschwindigkeit des Kampfpanzers. In bestimmten einzelnen Grenzbereichen kann es sogar dazu kommen, dass das zusätzliche Gewicht passieren bestimmter Brücken verhindert. Die zusätzliche Gewichtsbelastung wirkt sich auch negativ auf die Lebensdauer einzelner Verschleißbaugruppen im Antrieb und Fahrwerk aus.
Ein großer Teil der zusätzlichen Schutzelemente werden – teilweise sogar nicht ausbalanciert – am Turm angebracht, was auf längere Sicht dazu führen kann, dass Drehkränze brechen können. Wann oder ob das passieren wird, kann die jeweilige Besatzung auf jeden Fall nicht vor Ort antizipieren. Das Risiko besteht also, dass dies noch während des Krieges passiert und der Panzer somit gänzlich verloren gehen kann.
Mehrfach modernisierte Kampfpanzer der T-72 Reihe oder der Leopard 1 A5 bzw. Leopard 2 A6, können besonders anfällig – was die erhöhte Verschleißproblematik angeht – auf zusätzliches Gewicht reagieren, da die Gewichtsreserven dieser Kampfpanzertypen im Rahmen der erfolgten Kampfwertsteigerungen ausgereizt wurden.
Schlussfolgerungen
Die improvisierten Zusatzschutzelemente bieten durchaus zusätzlichen Schutz gegen spezifische Bedrohungsarten, was dazu führt, dass die täglich im Kampf stehenden Besatzungen damit einhergehende negative Aspekte willentlich in Kauf nehmen. Aus Sicht der Besatzung, die in erster Linie das Überleben des nächsten Gefechtes im Fokus hat, ist diese Vorgehensweise voll und ganz nachvollziehbar. Der kürzlich bekannt gewordene Fall eines nachträglich mit Schutzsystemen aufgerüsteten Leopard 1 A5 der ukrainischen Streitkräfte, welcher Videoaufnahmen zufolge neun Treffer mit FPV-Drohnen überstanden haben soll, zeigt, dass diese Maßnahmen in aktuellen Situationen des Krieges überaus zweckmäßig erscheinen.
Gleichwohl können daraus auf längere Sicht betrachtet verheerende Nachteile für die jeweiligen Streitkräfte entstehen, da die höheren Verschleißraten – die ja nicht nur im akuten Feuergefecht, sondern permanent auftreten – auf Dauer zu höheren Ausfallraten bei den Kampfpanzern führen werden.
Je nachdem wie viele Leistungsreserven in dem jeweiligen Kampfpanzer oder Subsystem schlummern, kann es zwar sein, dass die jeweilige Kampfpanzerbesatzung zwar eine gewisse Zeit über ein höheres Schutzniveau verfügen kann, danach aber gar keinen Panzer mehr hat. Ein beschädigter Drehkranz lässt eben nicht einfach so durch den Instandsetzungstrupp vor Ort reparieren. Skaliert man diese „Einzelproblematik“ auf die komplette Panzerflotte, würden die jeweiligen Streitkräfte nach einiger Zeit im schlimmsten Fall über längere Zeit über keine einsatzbereiten Panzer mehr verfügen.
Darüber hinaus muss bedacht werden, dass die oben beschriebenen Nachteile zur Unterlegenheit in Duellsituationen führen können. Zudem bieten die nachträglich angebrachten Schutzsysteme keinen Schutz gegen moderne Panzerabwehrlenkflugkörpersysteme sowie Panzerabwehrhandwaffen mit Tandemhohlladung.
Sowohl die ukrainischen als auch russischen Streitkräfte scheinen zu dem Entschluss gekommen sein, dass es das Risiko wert ist, die Nachteile in Kauf zu nehmen, um das höhere Schutzniveau zu erreichen. Für westliche Streitkräfte kann dies jedoch nicht als Vorbild gelten. Unabhängig von der Zulassungsproblematik vieler dieser Systeme, muss der Frieden dazu genutzt werden, das entsprechend benötigte Schutzniveau zu erreichen, ohne die damit einhergehenden Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Die jüngst vermeldete Ergänzung des abstandsaktiven Schutzsystems Trophy um die Fähigkeit zur Drohnenabwehr zeigt, dass es durchaus Wege gibt, die gewünschte Steigerung des Schutzniveaus zu erreichen, ohne Einbußen bei Mobilität oder Wirkung in Kauf nehmen zu müssen.
Waldemar Geiger