Am 10. Mai gegen 14:00 Uhr MEZ verkündete Donald Trump über soziale Medien, dass Pakistan und Indien einem sofortigen Waffenstillstand zugestimmt hätten – womit ein gefährlich eskalierender Konflikt in Südasien zumindest vorläufig gestoppt wurde.
Die Kampfhandlungen begannen am 7. Mai mit einer Serie indischer Luftangriffe – codiert als Operation Sindoor – als Vergeltung für Terroranschläge im Vormonat, bei denen 26 Menschen getötet wurden – eine Bewertung der Operation ist hier verfügbar. In den darauffolgenden Tagen kam es zu wechselseitigem Beschuss, darunter weitere Luftangriffe und Drohnenattacken auf militärische Infrastruktur. Ziele waren unter anderem bodengestützte Luftverteidigungssysteme, mutmaßlich mit dem Ziel, die gegnerische Luftverteidigung zu unterdrücken und eine breitere Luftkampagne zu ermöglichen.
In der Nacht zum 10. Mai führte Indien eine größere Angriffswelle auf pakistanische Militäreinrichtungen durch und traf dabei drei Luftwaffenstützpunkte: Nur Khan (nahe Islamabad), Murid und Shorkot. Pakistan reagierte mit der Operation Bunyan Ul Marsoos und griff indische Militärziele an, darunter Luftwaffenstützpunkte in Pathankot und Udhampur sowie, laut pakistanischen Angaben, ein Lager für indische BrahMos-Marschflugkörper. Beide Seiten setzten offenbar Drohnen und Marschflugkörper ein; Bildmaterial deutet zudem auf den Einsatz pakistanischer Fateh-1-kurzstreckenballistischer Raketen hin. In den frühen Morgenstunden des 10. Mai wurde berichtet, dass Pakistan die Nationale Kommandobehörde einberufen habe, die für operationelle Entscheidungen im Nuklearbereich zuständig ist. Der pakistanische Verteidigungsminister dementierte dies jedoch später.
Noch am selben Tag wurde ein Waffenstillstand verkündet, nachdem die US-Regierung unter Trump Vermittlungsversuche unternommen hatte. Die USA sollen ihre diplomatischen Bemühungen beschleunigt haben, nachdem sie angeblich „alarmierende Geheimdienstinformationen“ erhalten hatten. Deren Inhalt ist bislang unklar, dürfte sich jedoch auf nukleare Signale Pakistans bezogen haben – möglicherweise auf Verlegungen mobiler Abschussvorrichtungen, die sowohl konventionelle als auch nukleare Raketen tragen können. Binnen drei Stunden nach dem Waffenstillstand griff Pakistan dennoch mit Drohnen indisches Territorium an. Die Nacht des 11. Mai verlief hingegen ohne größere Angriffe, und Politiker beider Seiten bemühten sich seither zumindest rhetorisch um Deeskalation (unter anderem durch einseitige Siegeserklärungen). Ob der Waffenstillstand Bestand hat und ob substanzielle Verhandlungen über eine Beilegung des Konflikts stattfinden, bleibt derzeit offen.
Zum Zeitpunkt des Schreibens ist der genaue Ablauf des Konflikts, einschließlich überwundener Eskalationsschwellen und Angriffschronologie, unklar. Auch das operationelle Lagebild ist diffus, belastbare Schadensanalysen fehlen. Klar ist lediglich, dass es sich – unabhängig vom weiteren Verlauf – um einen beispiellosen militärischen Schlagabtausch zwischen zwei Atommächten gehandelt hat, der ein ernsthaftes Risiko nuklearer Eskalation mit sich brachte. Diese Analyse bietet eine erste Einschätzung der beobachteten Eskalationsdynamik und skizziert einige weiterreichende Implikationen.
Operationelle Einschätzung
Der Informationsraum um den Konflikt bleibt überlagert – nicht zuletzt durch bewusste Versuche beider Seiten, eigene Verluste zu verschleiern und behauptete Erfolge hervorzuheben. Diese Informationslage zu durchdringen, bleibt schwierig.
Auffällig war der wiederholte Einsatz konventioneller Langstreckenflugkörpersysteme beider Seiten gegen militärische Infrastruktur tief im gegnerischen Hinterland, einschließlich Zielen in der Nähe der jeweiligen Hauptstädte. Diese Angriffe erfolgten ohne erkennbare Zurückhaltung, zumindest im Hinblick auf militärische Ziele. Bestätigte Hinweise auf vorsätzliche Angriffe auf kritische zivile Infrastruktur liegen bislang nicht vor, auch wenn Pakistan zeitweise mit solchen Angriffen gedroht haben soll, sollte Indien nicht deeskalieren (möglicherweise handelt es sich dabei jedoch um Desinformation).
Ob die Kampfhandlungen nun tatsächlich beendet sind oder eine neue Welle von Drohnen- und Raketenangriffen bevorsteht, ist ungewiss. Bis zur Verkündung des Waffenstillstands konnte jedenfalls keine der beiden Seiten einen klaren militärischen Vorteil erzielen. Aus Sicht des Eskalationsmanagements könnte gerade diese Unsicherheit Spielraum für Deeskalation geschaffen haben.
Das Stabilitäts-Instabilitäts-Paradoxon auf dem Prüfstand
Aus analytischer Sicht stellt dieser Konflikt wohl die bislang härteste Probe für das Stabilitäts–Instabilitäts-Paradoxon dar.
Das Paradoxon beschreibt die paradoxe Logik, dass strategische Stabilität im Nuklearbereich – üblicherweise durch gesicherte Zweitschlagsfähigkeit beider Seiten gewährleistet – Instabilität auf niedrigeren Eskalationsstufen begünstigen kann. Wenn Atommächte davon ausgehen, dass ein großangelegter Atomkrieg durch gegenseitige Abschreckung verhindert wird, erscheinen begrenzte konventionelle oder subkonventionelle Konflikte als kalkulierbar. Gerade die Angst vor nuklearer Katastrophe senkt damit paradoxerweise die Hemmschwelle für kleinere militärische Auseinandersetzungen.
Das Paradoxon wurde häufig zur Erklärung der Stellvertreterkriege zwischen den USA und der Sowjetunion im Kalten Krieg herangezogen. Archivmaterial zeigt zudem, dass US-Entscheidungsträger tatsächlich befürchteten, übermäßige nukleare Stabilität könne sowjetische Aggressionen auf konventioneller Ebene in Europa begünstigen. Daraus entwickelte sich die Idee, dass ein gewisses Maß an „optimaler Instabilität“ innerhalb strategischer Stabilität notwendig sei, um solchen Dynamiken entgegenzuwirken.
Auch im indisch-pakistanischen Kontext wurde das Paradoxon regelmäßig bemüht, um das Fortbestehen sub-konventioneller und konventioneller Feindseligkeiten trotz etablierter nuklearer Zweitschlagsfähigkeit zu erklären.
Die aktuelle Krise stellt womöglich die bislang gravierendste Prüfung dieses Modells dar – nicht nur in Südasien, sondern grundsätzlich. Zwei Atommächte führten direkte Kampfhandlungen und setzten sowohl Einzelschläge als auch koordinierte Salven gegen militärische hochwertziele tief im gegnerischen Hinterland ein. Im Vergleich zu den Konfrontationen von 1999 und 2019 ist ein deutlicher Rückgang an Zurückhaltung zu erkennen, sowie eine klare Abkehr vom Versuch, militärische Auseinandersetzungen geografisch zu begrenzen. Dennoch blieb eine nukleare Eskalation aus, und öffentliche Signale im Nuklearbereich waren kaum bis gar nicht zu beobachten.
Warum sich die Entscheidungsträger weniger Zurückhaltung auferlegt haben, bleibt derzeit unklar. Möglicherweise trug das Vertrauen in überlebensfähige strategische Nukleararsenale beider Seiten dazu bei, die Eskalationsbereitschaft zu erhöhen — im Sinne des Paradoxons. Politische Faktoren, insbesondere Führungsstile und Bedrohungswahrnehmungen, dürften ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Ein weiterer zentraler Erklärungsfaktor ist technologischer Natur: In den letzten Jahren haben sowohl Indien als auch Pakistan zunehmend ausgereifte konventionelle Langstreckenwaffen erworben, die es erlauben, Ziele in operativer und strategischer Tiefe zu bekämpfen, ohne vorher Luftherrschaft zu sichern. Das Tempo und die Intensität der Eskalation im aktuellen Konflikt wurden also zumindest zum Teil maßgeblich durch die verfügbare Technologie begünstigt.
Weiterreichende Implikationen
Für die europäischen Entscheidungsträger unterstreicht dieses Szenario zwei zentrale Punkte:
Erstens: Auch wenn die Wahrscheinlichkeit eines nuklearen Einsatzes während der Krise relativ gering blieb, war sie vermutlich höher als zu jedem Zeitpunkt im Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Der Konflikt liefert damit ein eindrückliches Beispiel für eine reale nukleare Krise, im Gegensatz zu Russlands Versuchen, durch wenig glaubwürdige nukleare Drohgebärden eine solche künstlich herbeizuführen.
Zweitens: Aus der NATO-Perspektive verdeutlicht die Krise die Bedeutung sowohl einer glaubwürdigen nuklearen Abschreckung als auch leistungsfähiger konventioneller Streitkräfte, die in hochintensiven zwischenstaatlichen Konflikten einsatzfähig sind. Ein nicht-nuklearer Schlagabtausch wie er zwischen Indien und Pakistan zu sehen war, wäre in Zukunft auch zwischen der NATO und Russland nicht undenkbar. Wie in Südasien gilt auch hier: Ein nuklearer Einsatz ist nicht zwangsläufig, aber jederzeit im Bereich des Möglichen. Europas Hauptstädte müssen dieses Szenario ernst nehmen und sich entsprechend vorbereiten.
Autor: Fabian Hoffmann ist Doktorand am Oslo Nuclear Project an der Universität Oslo. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Verteidigungspolitik, Flugkörpertechnologie und Nuklearstrategie. Der aktualisierte Beitrag erschien erstmalig am 10.05.2025 in englischer Sprache im „Missile Matters“ Newsletter auf Substack.