Die mittlerweile über drei Jahre andauernde Vollinvasion Russlands in die Ukraine hat die Entwicklung der Drohnenkriegsführung vorangetrieben wie kaum ein anderer Konflikt oder Krieg zuvor. Auf jeden Entwicklungsschritt des Einsatzes von Drohnen als Aufklärungs- oder Wirkmittel folgte kurze Zeit später eine Entwicklung im Bereich der Drohnenabwehr. Die jüngste Ausprägung davon ist die drohnengestützte Drohnenabwehr, welche langsam, aber sicher in die nächste Evolutionsstufe geht. Ein deutsches Start-Up arbeitet nun daran, die drohnengestützte Drohnenabwehr weiter zu verbessern und auf ein neues Niveau zu heben.
Der stetig zunehmende Einsatz von kostengünstigen Drohnen unterschiedlicher Größe und Ausprägung hat bereits in den ersten Monaten des Krieges offenbart, dass klassische Flieger- und Flugabwehrsysteme und -methoden in puncto Effektivität und Effizienz keine probate Antwort auf die unbemannte Bedrohung aus der Luft darstellen.
Für die Abwehr von Kampfflugzeugen und Marschflugkörpern konzipierte Luftverteidigungssysteme sind zwar qualitativ dazu geeignet, taktische Aufklärungsdrohnen der NATO- Klassifizierung Class I (<150 kg) oder Langstrecken-Einwegdrohnen der NATO-Klassifizierung Class II (<600 kg) – wie beispielsweise des iranischen Typs Shahed-136 – in Russland als Geran-2 bezeichnet – abzuwehren, quantitativ sind sie es nicht. Während die beschriebenen Drohnen zumeist nur einen mittleren fünfstelligen (Einwegdrohnen) bzw. geringen sechsstelligen (taktische Aufklärungsdrohnen) Euro-Betrag kosten, kosten selbst schultergestützte Flugabwehrraketen (MANPADS) je nach Typ 500.000 bis 1.000.000 Euro. Weiterreichende Wirkmittel kosten gerne mal das Zwei- oder Dreifache. Eine dauerhafte Drohnenabwehr – die über Jahre hinweg täglich rund 100 Class-II-Drohnen abwehren muss – ist mit einem solchen Ansatz selbst für reiche Nationen nicht darstellbar. Daher ist es nicht verwunderlich, dass weltweit nach kostengünstigeren Ansätzen gesucht wird.
Der Einsatz von Mitteln der Elektronischen Kriegsführung ist ein solcher Ansatz, der jedoch nicht gegen jede Art von Drohne wirkt, da unterschiedliche Mechanismen – Härtung der Kommunikation, Drahtsteuerung, Einsatz von Künstlicher Intelligenz für Navigation und Endzielanflug – genutzt werden können, um die Leistungsfähigkeit von Jammern zu konterkarieren.
Drohne gegen Drohne
Seit Mitte 2024 kann zunehmend der Einsatz von sogenannten Jagddrohnen als neues Drohnenabwehrmittel beobachtet werden. Nach Angaben der ukrainischen Streitkräfte konnten bis Ende Februar 2025 insgesamt 1.676 russische Drohnen mittels zu Jagddrohnen modifizierter FPV-Drohnen erfolgreich bekämpft werden.
Der taktische Einsatz der zu Jagddrohnen modifizierten FPV-Drohnen ist eigentlich einfach erklärt: Sobald eine feindliche Aufklärungsdrohne – zumeist über eigenem Gebiet – aufgeklärt wurde, wird eine in der Nähe befindliche FPV-Jagddrohne gestartet und in die grobe Nähe der Aufklärungsdrohne gesteuert. In dem „Einsatzraum“ angekommen, muss der Bediener der FPV-Jagddrohne dann die eigentliche Aufklärungsarbeit übernehmen und die Aufklärungsdrohne finden, was angesichts der eigenen – oftmals unkoordinierten – Drohnenabwehr mittels der elektronischen Kriegsführung gar nicht so einfach ist. Ist die Aufklärungsdrohne jedoch gesichtet, wird die FPV-Drohne meist so im Raum platziert, dass ein Zielanflug von hinten und oben erfolgt. Ist die Jagddrohne nah genug an der Aufklärungsdrohne, wird der Sprengsatz entweder per Berührung oder Fernzündung zur Detonation gebraucht und die feindliche Aufklärungsdrohne vom Himmel geholt.
Was sich einfach anhört, ist in der Praxis ein äußerst komplexes Unterfangen. So erfordert diese Art des Einsatzes ein besonders hohes Können von den FPV-Piloten. Berichten zufolge bringen nur besonders erfahrene und gute Piloten die für die drohnengestützte Drohnenabwehr notwendigen Flugfähigkeiten mit. Um die für den Einsatz notwenigen hohen Geschwindigkeiten erreichen zu können, sind die FPV-Jagddrohnen zudem sehr leicht ausgelegt, was sich in einer vergleichsweise kurzen Einsatzdauer widerspiegelt. Der Frontabschnitt, den ein „Jagdpilot“ abdecken kann, ist somit vergleichsweise gering.
Berichten aus der Ukraine zufolge kommt erschwerend dazu, dass eine beträchtliche Anzahl an Jagddrohnen durch eigene Störmaßnahmen am erfolgreichen Jagdeinsatz gehindert wird. Je nach Frontabschnitt und Zeitraum wird von bis zu 60 Prozent „Eigenabschuss“ berichtet. Weiterhin ist dies keine besonders „schnelle“ Art der Drohnenbekämpfung, da zwischen Aufklärung und Bekämpfung der Drohne mehrere Minuten vergehen.
Zudem kann ein Pilot immer nur eine Drohne jagen, was man anhand der Abschusszahlen sehr gut sehen kann. 1.676 abgeschossene russische Drohnen hört sich auf den ersten Blick nach sehr viel an, bedenkt man aber, dass diese Zahl innerhalb von mehr als 200 Tagen erzielt wurde, ergibt sich ein durchschnittliches tägliches Abschussergebnis von etwa 8 bis 9 Drohnen pro Tag. Keine besonders große Zahl, angesichts des über 1.000 km langen Frontabschnittes. Sicherlich ist jede abgeschossene Drohne ein Erfolg, sicherlich verfälscht an eine Durchschnittsbetrachtung auch den Umstand, dass die Erfolgszahlen in bestimmten Einsatzräumen um das Vielfache größer sind, die Rechnung zeigt aber die Grenzen dieser Art von drohnengestützter Drohnenabwehr.
Je nach Geschwindigkeit der feindlichen Drohne sind Abfangmanöver mittels FPV-Jagddrohnen, die im Endeffekt nur zur Abwehr von im Raum kreisenden Drohnen geeignet sind, gänzlich unwirksam. Für eine großräumige, vom Können des einzelnen Piloten unabhängige und gegen eine breite Palette unterschiedlicher Drohnen effektive Drohnenabwehr bedarf es daher eines anderen Ansatzes.
KI-gesteuerte Interceptor-Drohnen
Genau bei diesem Problem setzt der Ansatz der KI-gesteuerten Interceptor-Drohnen des Münchener Start-Ups TYTAN Technologies an. Obwohl erst im September 2023 gegründet, konnte das junge Unternehmen bereits mehrere unterschiedliche Testkampagnen – darunter auch mit der Bundeswehr – erfolgreich abschließen und zudem Systeme in die Ukraine liefern, die dort im Fronteinsatz getestet werden, wie die beiden TYTAN-Gründer Balázs Nagy und Batuhan Yumurtaci in einem Gespräch mit hartpunkt erklären.
Die Idee der beiden Gründer liegt darin, eine günstige, effiziente und skalierbare Drohnenabwehr auf Basis von kinetisch wirkenden Abfangdrohnen – mit oder ohne Gefechtskopf – zu entwickeln, die Tag und Nacht einsetzbar ist und abhängig vom Airframe der Abfangdrohne gegen ein breites Zielspektrum wirken kann.
Kernstück der TYTAN-Drohnenabwehrlösung ist die Software, bei der die darin genutzte KI wesentliche Aufgaben des Abfangprozesses übernimmt und die kognitive Last der Nutzer minimiert. Der Mensch muss nur einzelne Entscheidungen – wie beispielsweise den Start der Abfangdrohne oder die Freigabe des Endanfluges – treffen.
Den beiden Gründern zufolge ist das System „airframeunabhängig“, sprich es kann auf unterschiedliche Typen von Abfangdrohnen aufgespielt werden. Für den ersten Anwendungsfall haben die beiden Jungunternehmer eine Abfangdrohne für die Abwehr von Class-II-Drohnen – wie beispielsweise die bereits angesprochene Shahed – entwickelt. Diese kann nach Aussage von Nagy entweder als Hit-to-Kill-Wirkmittel feindliche Drohnen im Rammverfahren vom Himmel holen oder auf Wunsch mit einer Wirkpayload versehen werden. Die Abfanggeschwindigkeit von rund 300 km/h soll laut Yumurtaci hoch genug sein, um Ziele auch bei ungünstigen Anflugwinkeln abfangen zu können und dabei noch über genügend Restenergie zu verfügen, um selbst Flugzellen aus Verbundwerkstoffen zerstören zu können.
Der Abfangprozess wird seitens der Entwickler wie folgt beschrieben:
- Eine feindliche Drohne aus der Zielkategorie wird mittels eines im Einsatz befindlichen Aufklärungssensors – beispielsweise Radar, Optronik, Akustik… – erkannt und das Drohnenabwehrsystem gemeldet.
- Das Drohnenabwehrsystem berechnet dann anhand des Flugprofilen der Zieldrohne autonom einen optimalen Abfangkurs und schlägt dem Drohnen-Lenker den Einsatz der Interceptor-Drohne vor.
- Einmal gestartet, fliegt die Abfangdrohne das Ziel an und holt dieses vom Himmel, dabei wird der Interceptor durchgehend autonom gesteuert, auch im Ziel-End-Anflug.
Die Einsatzreichweite der aktuellen Interceptor-Drohne, die für die Abwehr von Class-II-Drohnen entwickelt wurde, wird von TYTAN mit 20 km angegeben. Je nach Bedarf kann ein Nutzer eine Vielzahl von im Raum platzierten Interceptordrohnen gleichzeitig einsetzen und führen, so dass auch Sättigungsangriffe, bei denen mehrere Drohnen gleichzeitig angreifen, erfolgreich abgewehrt werden können. Über den Preis eines Einzelsystems wollten die Entwickler keine genauen Angaben machen und nur so viel verraten, dass dieser unterhalb der Zieldrohnen liegt.
Angesprochen auf die Einsatzreife des Systems verweisen die Gründer auf die erfolgreichen Testkampagnen und geben zudem zu bedenken, dass ein Drohnenabwehrprodukt wie das ihre „niemals fertigentwickelt sein wird, da es kontinuierlich dem sich stetig weiterentwickelnden Zielspektrum anpassen muss“. Schließlich sehe man in der Ukraine, dass praktisch wöchentlich oder monatliche neue Feinddrohnen am Himmel auftauchen könnten, die dann durch die eingeführten Drohnenabwehrsysteme erfolgreich bekämpft werden müssen.
Genau hier sieht Nagy Vorteile des eigenen Ansatzes und der Technologie. Flugprofile und Designmerkmale neuer Zieldrohnen können schnell und effizient in ein Simulationsumfeld eingepflegt werden und deren Abwehr mittels der Interceptor-Drohnen so kostengünstig getestet und optimiert werden. Sind für erfolgreiche Abfangmanöver erforderliche Softwareanpassungen nötig, können diese dann schnell wieder auf die physisch im Raum ausgebrachten Abfangsysteme aufgespielt werden.
Wirkmittel für die Drohnenabwehr im Krieg und Frieden
Wie man anhand der Medienberichte der letzten Wochen gut vernehmen konnte, stellen Drohnen nicht nur im Krieg eine Gefahr für die Truppe und die Zivilbevölkerung dar. So wird seit Beginn 2025 vermehrt über Spionagedrohnen im Luftraum über militärischen Liegenschaften der Bundeswehr oder sonstiger kritischer Infrastruktur berichtet, deren Herkunft unbekannt ist und die mittels der verfügbaren Drohnenabwehrmittel nicht erfolgreich bekämpft werden konnten.
Genau hier könnte der oben beschriebene Ansatz erfolgversprechend zum Schutz der Bundesrepublik Deutschland im Allgemeinen und der Bundeswehr im Speziellen eingesetzt werden. Der Einsatzprozess erlaubt es zum Beispiel, dass die Entscheidung über den Einsatz der Abfangdrohnen abhängig vom Standort der Zieldrohne dezentral durch die jeweilige zuständige Stelle – Bundeswehr, Landespolizei oder Bundespolizei – erfolgen kann.
Die hohe Fluggeschwindigkeit der Drohne sowie die vergleichsweise große Reichweite erlaubt einen kosteneffizienten Einsatz. Die Möglichkeit, die Interceptor-Drohne auch ohne Gefechtskopf nutzen zu können, erleichtert zudem den innerdeutschen Einsatz, da die Gefahr auf abstürzende Trümmer reduziert wird. Um die Gefahr weiter zu senken, könnte der Abfangvorgang zudem so vorgegeben werden, dass das Abfangmanöver ausschließlich über unbebautem und unbesiedeltem Raum stattfinden muss. Der airfraimeunabhängige Ansatz bietet zudem Potenzial zur Entwicklung von weiteren Abfangmethoden, die auch die Trümmergefahr eliminieren.
Waldemar Geiger