Vor wenigen Jahren sah es so aus, als ob der deutsche Marineschiffbauer thyssenkrupp Marine Systems (tKMS) mit der Militärsparte des italienischen Staatskonzerns Fincantieri zusammengehen könnte. Es hieß, es solle eine Fusion „unter gleichen Partnern“ sein. Vermutet wurde jedoch, dass die Führung bei den Italienern liegen würde. Gegenwärtig scheint die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung zu gehen. Gut informierten Kreisen zufolge sollen sich die neuen Manager an der Spitze von Fincantieri mittlerweile auch vorstellen können, unter Führung von tkMS mit den Deutschen zu fusionieren. Wobei es offenbar nur um die heimische Marineschiffsparte der Italiener geht, ohne das Nordamerika-Geschäft.
Dem Vernehmen nach will tkMS mit seinen Kapitalgebern prüfen, ob ein solcher Zusammenschluss sinnvoll ist. Wenn ja, müsste tkMS ein Angebot nach Italien schicken. Ob dies geschehen wird und wie dies aufgenommen würde, scheint ungewiss.
Neben der Bewertung der finanziellen und wirtschaftlichen Perspektive eines Mergers durch die Unternehmen dürfte auch den beiden betroffenen Regierungen eine wichtige Rolle zukommen, da sie das letzte Wort haben. Während die Bundesregierung das Lied der europäischen Konsolidierung singt, halten rechte Regierungen – eine solche ist ja im Augenblick in Rom in der Verantwortung – in der Regel an ihren nationalen Assets fest.
Beide Werftkonzerne arbeiten bereits seit Jahrzehnten im Bereich des U-Boot-Baus eng zusammen, bei dem tkMS eine internationale Spitzenposition einnimmt. So basieren die gegenwärtig für Italiens Marine bei Fincantieri im Bau befindlichen Unterwasserschiffe des Typs 212 NFS auf dem tkMS-Entwurf U212 A, der in den Marinen beider Länder im Einsatz ist. Das deutsche Unternehmen dürfte vermutlich auch wichtige Unterstützung beim Bau der italienischen Boote leisten.
Die Auftragsbücher von tkMS sind augenblicklich gut gefüllt. So hat das Unternehmen unter anderem den Auftrag zur Fertigung von sechs identischen U-Booten für Norwegen und Deutschland erhalten. Überdies müssen absehbar auch die deutschen Boote der Klasse U212A ersetzt werden. Und hier ist ein Neubau und kein Midlife-Upgrade geplant, wie es aus Insider-Kreisen heißt. Darüber hinaus will die Marine Luftverteidigungsfregatten der Klasse 127 einführen. Hier arbeitet tkMS bereits an Entwürfen und spricht mit potenziellen Partnern wie Lockheed Martin.
Thyssenkrupp, der Mutterkonzern der Kieler Schiffbauer, verfolgt seit geraumer Zeit die Strategie, Partner für seine verschiedenen Konzerngesellschaften zu suchen, was allerdings bislang im Bereich Stahlerzeugung nicht erfolgreich war. Medienberichten zufolge soll dieser Ansatz auch nach dem überraschenden Rücktritt von Vorstandschefin Martina Merz vor wenigen Tagen fortgesetzt werden. Erstaunlicherweise hatte der Konzern unmittelbar nach Bekanntwerden des Rückzugs von Frau Merz mit Miguel Angel Lopez Borrego einen Nachfolger präsentiert.
Den Kreisen zufolge sollen Private-Equity-Geber gegenwärtig ein hohes Interesse am Einstieg bei tkMS haben, sollte die Werft aus dem Mutterkonzern herausgelöst werden. Offenbar ist dies eine Option von Werft-CEO Oliver Burkhard, der gleichzeitig als Arbeitsdirektor im Vorstand von thyssenkrupp sitzt – eine der wenigen personellen Konstanten in der Führungsspitze des Mutterkonzerns. Dass die Diskussionen über ein Zusammengehen mit den Italienern im Augenblick laufen, könnte darauf zurückzuführen sein, dass eine Neuaufstellung von tkMS außerhalb des Essener Mutterkonzerns Chancen für ein neues Konstrukt mit zwei Partnern bietet. Wobei die Deutschen einen Schwerpunkt im Unterwasser- und die Italiener einen im Überwasser-Bereich einbringen würden.
Ein Vorbild für eine deutsch-italienische Rüstungskooperation gibt es bereits: den Sensorhersteller Hensoldt. Nachdem das Unternehmen 2017 aus dem Airbus-Konzern herausgelöst und an die Beteiligungsgesellschaft Kohlberg Kravis Roberts & Co (KKR) veräußert worden war, erwarb Italiens wichtigster Rüstungskonzern Leonardo beim späteren Börsengang 25,1 Prozent der Anteile und fungiert seitdem als wichtiger Ankerinvestor. Der andere Ankerinvestor ist die Bundesrepublik Deutschland mit ebenfalls 25,1 Prozent.
Auch wenn eine Fusion von tkMS und Fincantieri noch in den Sternen steht, zeigt die Aufnahme eines alten Gesprächsfadens durch das neue Fincantieri-Management zumindest, dass es offenbar eine industrielle Logik für einen Zusammenschluss gibt.
lah/28.4.2023