Drohnen, unabhängig davon ob für kommerzielle oder militärische Zwecke entwickelt, gelten als vergleichsweise günstige Systeme, welche dadurch selbst von weniger wohlhabende Staaten oder sogar nichtstaatlichen Akteuren in größeren Stückzahlen effektiv zu Aufklärungs- oder Wirkzwecken eingesetzt werden können. Begründet durch die große Heterogenität der unbemannten Systeme – welche sich sowohl in Größe als auch in der Art der Steuerung erheblich unterscheiden können – gestaltet sich der Schutz vor Drohnen selbst für moderne Streitkräfte als besonders herausfordernd.
Daraus resultierend wird auch eine Drohnenabwehr erforderlich, die der Heterogenität der Drohnenbedrohung gewachsen ist. Es gilt als Konsens, dass eine solche Drohnenabwehr mehrschichtig aufgebaut sein und ein breites Spektrum an Sensoren und Effektoren beinhalten muss. Ein Beispiel dafür liefert die aktuelle Drohnenabwehr-Modernisierungsübersicht des Air and Missile Defense Cross Functional Team der U.S. Army. Neben „ausgewachsenen“ Luftverteidigungssystemen für die Abwehr von großen Drohnen sind demnach auch leichtere Effektoren für den mobilen bzw. abgesessenen Einsatz notwendig.
Ein wesentlicher Baustein dieses Effektor-Mixes bilden speziell für die Drohnenabwehr optimierte Flugkörper. So berichtet beispielsweise Oberst Scott Wence, Kommandeur des 2nd Brigade Combat Teams, 10th Mountain Division der U.S. Army im Rahmen einer Podcast-Folge des Moder War Institute (Defending against Drones) von den jüngsten Einsatzerfahrungen seines Großverbandes, bei der die flugkörpergestützte Drohnenabwehr einen wesentlichen Beitrag zum Schutz seines Großverbandes beigetragen hat. Wences Gefechtsverband war in der zweiten Jahreshälfte 2023 und in den ersten vier Monaten 2024 auf insgesamt acht Stützpunkte in Syrien und im Irak disloziert und musste in diesem Zeitraum über 100 Drohnenangriffe – und damit mehr als jeder US-Verband vor ihnen – abwehren.
Den Ausführungen des US-Offiziers zufolge verfügte seine Truppe über einen breiten Effektoren-Mix – teilweise auch für Truppenversuchszwecke – wozu neben Flugkörpersystemen auch kanonen- und laserbasierte Drohnenabwehrsysteme gehörten. Wie Wence weiter berichtet, wurde die Hauptlast der Angriffe durch Drohnenabwehrflugkörper des Typs Coyote des US-Herstellers Raytheon erzielt. Im Zuge der spezifischen Bedrohungen, die seine Truppe meistern musste, habe diese Waffe die größte Effektivität bewiesen.
Coyote Block 2 ist ein Wirkmittel, welches aus einem Startrohr verschossen und mit einer Feststoffrakete beschleunigt wird und im Anschluss vier Winglets am Heck ausgeklappt. Angetrieben wird der Flugkörper in der Marschphase von einem Strahltriebwerk, welches den Coyote Block 2 auf bis zu 595 km/h beschleunigt und eine Reichweite von bis zu 15 km ermöglicht. Auf kürzere Distanz kann der Coyote auch den Zielanflug abbrechen und erneut ansetzen. Die Zerstörung des Ziels erfolgt kinetisch über Kollision. Ein Sensorpaket im Bug dient der Zielführung.
Das US-Heer gab bereits im Dezember 2023 bekannt, im Zeitraum 2025 bis 2029 im Rahmen des Vorhabens „Mobile-Low, Slow, Small Unmanned Aircraft Integrated Defeat System“ insgesamt 6.700 Coyote-Flugkörper beschaffen zu wollen. Davon 6.000 in der für die Drohnenabwehr optimierten Block-2-Variante mit einem Radarsuchkopf und Raketenantrieb. Der Preis für ein einzelnes dieser Wirkmittel wird auf rund 100.000 US-Dollar geschätzt, was zwar immer noch hoch ist, aber deutlich günstiger als eine Stinger-Rakete ist. Zudem hat die Coyote Block 2 mit bis zu 15 km Reichweite rund die doppelte Reichweite einer Stinger, für die die Bundeswehr in der aktuellen Beschaffung rund 778.000 € pro Flugkörper zahlen muss.
Bedarf der Bundeswehr
Daher verwundert es nicht, dass auch die Bundeswehr einen Bedarf für einen speziellen und günstigen Drohnenabwehrflugkörper Class 1 UAS sieht, wie das Bundeswehr-Beschaffungsamt BAAINBw auf Nachfrage von hartpunkt bestätigte. Mit Class 1 UAS sind gemäß NATO-Definition unbemannte Flugsysteme mit einem Gesamtgewicht von bis zu 150 kg gemeint. Ein solches System soll dem BAAINBw zufolge im Rahmen des Vorhabens Nah- und Nächstbereichsschutz (NNbs) realisiert werden und 2028 zur Verfügung stehen. Offenbar ist die Integration des Wirkmittels in den Flugabwehrpanzer Skyranger vorgesehen.
Weiterhin erklärt das BAAINBw gegenüber hartpunkt, dass derzeit keine marktverfügbaren Lenkflugkörper existieren, die die Anforderungen der Bundeswehr erfüllen, „daher muss eine Entwicklungslösung gewählt werden“. Welche Anforderungen dies genau sind, ist unklar. „Die genauen Anforderungen an den Lenkflugkörper sind eingestuft und sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt“, heißt es in der BAAINBw-Antwort.
Anhand der potenziellen „Kandidaten“ für den zukünftigen Bundeswehr-Drohnenabwehrflugkörper lassen sich aber zumindest einige Anforderungen ableiten. Sol gilt es in Fachkreise als gesichert, dass die beiden deutschen Lenkflugkörperspezialisten Diehl Defence und MBDA Deutschland großes Interesse an dem Vorhaben haben. Beide Hersteller haben zudem an unterschiedlicher Stelle im Rahmen von Vorträgen und Messen Einblicke in die potenziellen Fähigkeiten ihrer Abwehrwirkmittel gewährt, die die Vermutung nahelegen, dass die Bundeswehr einen Flugkörper mit einer Reichweite von rund 5 km fordert, dafür soll das Drohnenabwehrwirkmittel nur einen Bruchteil der US-Coyote-Rakete kosten.
μMissile
Der Überlinger Rüstungskonzern Diehl Defence schlägt offenbar vor die Drohnenabwehrfähigkeit mittels der sogenannten μMissile – ausgesrpochen Micro Missile – zu stärken.
Beobachter gehen davon aus, dass der Konzern mit der μMissile ein konsequent auf Kostenminimierung getrimmtes Drohnenabwehrwirkmittel entwickelt. Genau Details des Wirkmittels sind unbekannt, zudem ist das Unternehmen recht schweigsam, was die genauen Fähigkeiten des Systems angeht.
Dem Vernehmen nach soll es sich jedoch um ein sehr leichtes und sehr günstiges Wirkmittel mit Propellerantrieb handeln, welches auch zur Schwarmabwehr befähigt sein soll.
Small Anti Drone Missile
Deutlich mehr Infos gibt es zu der Lösung der im bayerischen Schrobenhausen ansässigen MBDA Deutschland, die seit geraumer Zeit an einem Drohnenabwehrflugkörper arbeitet, welcher dem Unternehmen zufolge auf Basis des Enforcers realisiert werden soll. Bezeichnet wird die Waffe bislang als Small Anti Drone Missile oder kurz SADM.
Beim Enforcer – in der Bundeswehr als „Leichtes Wirkmittel 1800+“ eingeführt – handelt es sich um eine schultergestützte Mehrzweckwaffe. Das nach dem Fire-and-Forget-Prinzip arbeitende Waffensystem ist dank des Mehrzweckgefechtskopfes in der Lage, ein breites Zielspektrum – auch bewegliche und leicht gepanzerte Ziele – auf Distanzen von bis zu 2.000 m punktgenau zu bekämpfen.
Der Drohnenabwehrlenkflugkörper soll im Vergleich zum ursprünglichen Enforcer-Flugkörper reichweitengesteigert und mit einem speziellen Suchkopf gegen Ziele in der Luft versehen werden. Wie man anhand des Fotos des auf der ILA 2024 ausgestellten Flugkörpers gut sehen kann, wird die Reichweitensteigerung mittels eines an den Enforcer-Flugkörper angebrachten Boosters erzielt. Die Reichweite soll rund fünf Kilometer betragen.
Nach Aussagen von MBDA soll der SADM-Flugkörper Elemente des Enforcers enthalten, was die Entwicklung und Produktion erheblich vereinfachen soll. Auch Synergien in Ausbildung und Logistik sollen damit gehoben werden können.
Im Zuge der ILA 2024 hat MBDA zudem mit Rheinmetall – dem Hersteller des in die Bundeswehr in Einführung befindlichen Flugabwehrkanonenpanzers Skyranger 30 – eine Vereinbarung zur Integration der SADM in den Skyranger 30 unterzeichnet. Wie beide Unternehmen in einer gemeinsamen Pressemitteilung erklärten, sollen mittels der Kombination „bestehende Fähigkeitslücken bei der mobilen Abwehr von Drohnen im Nah- und Nächstbereich“ geschlossen werden. Dazu die von MBDA Deutschland auf Basis der Enforcer-Lenkflugkörperfamilie entwickelte SADM in den Skyranger 30 (auf unterschiedlichen Plattformen) sowie in weitere militärische Fahrzeuge von Rheinmetall integriert werden.
Das auf der ILA gezeigte Turmmodell des Skyranger 30 beinhaltete einen Werfer mit neun SADM-Flugkörpern, was im Gegensatz zu der geplanten Integration von vier Stingern eine deutliche quantitative Steigerung darstellen würde. Aus Herstellerkreisen ist zu vernehmen, dass der Werfer bei Bedarf auch um weitere Dreierpacks erweitert werden könnte.
Waldemar Geiger