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Bundesrechnungshof sorgt für weiteres Störfeuer bei Aktivgehörschutz-Beschaffung

Waldemar Geiger

Aktuell muss die überwiegende Mehrheit der deutschen Soldatinnen und Soldaten ihr Gehör im Feuerkampf mittels Gehörschutzstopfen schützen, die seit langem nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen und zudem die Kommunikation im und außerhalb des Feuergefechtes erschweren oder sogar gänzlich unterbinden. Deshalb kommt es nicht selten vor, dass die Truppe gänzlich auf das Tragen der Gehörschutzstopfen verzichtet oder sich mit privat beschaffter Ausrüstung behilft.

Dieser Zustand ist weder zielführend noch dem Verständnis einer modernen Armee dienlich, daher wurde eine Beschaffung von modernen Systemen für die gesamte Bundeswehr beschlossen. Nachdem die Bundeswehr über lange Zeit hinweg nur einzelne Truppenteile, wie beispielsweise Spezialkräfte oder Angehörige der NATO-Speerspitze VJTF, mit modernen Gehörschutzsystemen ausgerüstet hatte, wurde im Rahmen des Vorhabens „aufgabenorientierte Ausstattung“ (aoA) ein Teilprojekt für die querschnittliche Beschaffung von sogenannten Sprechsätzen mit Gehörschutzfunktion (SMG) gestartet. Unter der Begrifflichkeit versteckt sich im Grunde eine Kombination aus Aktivgehörschutz (Kapselgehörschutz mit Außenmikrofonen und Sprechmikrofon) eine Push-to-Talk-Einheit (PTT) sowie Anschlusskabel für Funk- und weitere Peripheriegeräte. Eine entsprechender Teilnahmewettbewerb wurde im Frühjahr 2022 gestartet. Ausgeschrieben wurde ein Rahmenvertrag für die Beschaffung von bis zu 191.000 SMGs über eine Zeitdauer von sieben Jahren. Ein Teil der SMGs sollte mit einer Führungs-PTT beschafft werden, der Rest mit einer einfacheren Soldaten-PTT. Diese unterscheiden sich dadurch, dass die Führungs-PTT das gleichzeitige Halten und Betreiben mehrerer Funkkreise – unabhängig davon ob mit einem oder mehreren unterschiedlichen Funkgeräten – ermöglicht.

In der Truppe wird der Zulauf dieser Geräte sehnlichst erwartet, sind doch Aktivgehörschutzsysteme in der Lage, schädliche Lärmpegel technisch auf ein nicht störendes Niveau herunterzuregeln, ohne dass das Geräusch komplett geschluckt wird und ermöglichen gleichzeitig die Verständigung mit den Kameraden – egal ob per Funk oder Zuruf. Damit wird die Führung des Feuerkampfes in Ausbildung, Übung und Einsatz einfacher und effektiver. Im Gefecht werden so mehrere Vorteile generiert. Soldaten können sich vollständig auf ihren Auftrag zu konzentrieren, ohne dass schädliche Geräusche für Ablenkung, Verwirrung oder Schmerzen sorgen. Zudem bietet ein Sprechsatz mit Gehörschutzfunktion eine durchgehende klare Verständigungsmöglichkeit, ohne dass Funksprüche nicht wahrgenommen oder nicht verstanden werden können. Die Weitergabe von Meldungen, Lageorientierungen und Befehlen sowie das Koordinieren der kämpfenden Elemente kann unabhängig von der herrschenden Geräuschkulisse für jeden verständlich erfolgen.

Der ursprüngliche Plan der Bundeswehrbeschaffer sah einen Vertragsschluss mit der Industrie im Herbst 2023 vor. So kann man es zumindest den Mitteilungen des Verteidigungsministeriums über die geplanten 25-Mio-Vorlagen im Jahr 2023 entnehmen, die dem Parlament Anfang des Jahres 2023 übermittelt wurden. Im Frühjahr 2023 wurden die Zeitpläne dann auf Ende 2023 angepasst, bis sie schließlich komplett auf 2024 verschoben wurden. Während die anfänglichen Terminverschiebungen gut informierten Kreisen zufolge aufgrund von Verzögerungen im Beschaffungsprojekt zurückzuführen waren, sorgen derweil wiederholte Rückfragen des Bundesrechnungshofes (BRH) an das Verteidigungsministerium (BMVg) für Störfeuer im Beschaffungsvorhaben.

Aktuell möchten die BRH-Beamten in einem umfangreichen Fragenkatalog, der unserer Redaktion vorliegt, beispielsweise wissen, „welcher Typ SMG (Soldaten- oder Führungs-SMG) für welches FuSys im Jahr 2024 beschafft werden soll“. Dazu soll das BMVg den jeweiligen Funkgerätetyp und die zugehörige Stückzahl aufschlüsseln, den die Truppe mit den im Jahr 2024 zu Beschaffung vorgesehenen SMGs zu nutzen beabsichtigt. Zudem soll das Ministerium spezifizieren, ob die angesprochenen Funkgeräte bereits „vorhanden, in Beschaffung oder in Planung sind“. Auch auf das Nutzungsdauerende und geplanten Zulauf des jeweiligen Funksystems soll eingegangen werden.

In einer weiteren Nachfrage auf eine vorherige Antwort des BMVg soll das Ministerium den Beamten in Bonn nun erklären, inwieweit sich handelsübliche TETRA-Geräte von militärisch taktischen Funkgeräten unterscheiden [A.d.R.: Beim TETRA-Digitalfunknetz handelt es sich um eine universelle Basis für mobile Funkdienste, die insbesondere Angehörige von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) genutzt werden, um Informationen geschützt auszutauschen. Die Streitkräfte nutzen TETRA-Geräte beispielsweise im Inland, um mit BOS-Stellen kommunizieren zu können sowie in Auslandsmissionen].

Der restliche Fragenkatalog ist ähnlich gehalten und wird von den mit der Beantwortung der Fragen betrauten Beamtinnen und Beamten bzw. Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr eine enorme Fleißarbeit erfordern, um dem Bundesrechnungshof unter anderem Grundkenntnisse in taktischer Kommunikation zu vermitteln und zu orakeln, in welcher Kombination die Truppe die SMGs in Verbindung mit dem breiten Funkgeräteportfolio zu nutzen beabsichtigt.

Bei allem Verständnis für den verfassungsmäßigen Auftrag des Bundesrechnungshofes muss man sich in der aktuellen weltpolitischen Lage schon die Frage stellen, ob Deutschlands Gesellschaft und seine Verfassungsorgane den sprichwörtlichen Knall gehört haben. Während die Politik Zeitenwenden ankündigt und die Bundeswehr „kriegstüchtig“ gemacht werden soll, wollen die BRH-Prüfer im Detail wissen, an welches Funkgerät Oberleutnant Mustermann, eingesetzt als Kompanieeinsatzoffizier im Wald- und Wiesenbataillon, sein zukünftiges SMG anzuklemmen beabsichtigt.

Waldemar Geiger 

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