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Beschaffungsamt richtet Koordinierungsstelle ein

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Die Verzögerungen bei der Fahrzeug-Einrüstung von digitalen Funkgeräten im Rahmen der Digitalisierung landbasierter Operationen (D-LBO) basic hat Ende September für einige Irritationen gesorgt und ein heftiges Medienecho hervorgerufen. Wie Verteidigungsminister Boris Pistorius kürzlich nach einer Sitzung des Verteidigungsausschusses einräumte, hatten „alle Beteiligten“, angefangen von der Industrie über das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), bis ins Verteidigungsministerium den Aufwand für die Integrationsmaßnahmen unterschätzt, was zu einer Verzögerung führe. „Das ist ein schwerer Fehler“, so Pistorius.  Er bekräftigte jedoch, dass die für 2025 der NATO zugesagte deutsche Division pünktlich, interoperabel, kampffähig und kommunikationsfähig zur Verfügung stehen werde.

Um die Abläufe und das Lagebild zu verbessern, hat das BAAINBw mittlerweile eine Koordinierungsstelle für das Thema D-LBO basic und D-LBO eingerichtet. Darin einbezogen sind neben Vertretern der hauseigenen Abteilungen Informationstechnik, Kampf und Unterstützung auch der Chief Digital Officer des Heeres sowie Vertreter der zuständigen Abteilungen des BMVg. Außerdem sind Vertreter der ARGE D-LBO, die die Funkgeräte einrüsten soll, eingebunden.

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Die von Rohde & Schwarz hergestellten digitalen Führungsfunkgeräte müssen in rund 200 Plattformtypen und rund 13.000 Fahrzeug-Plattformen integriert werden – eine Herkulesaufgabe. Anders als bei Funktechnik in zivilen Fahrzeugen müssen die neuen digitalen Funkgeräte der Bundeswehr auch unter Kriegsbedingungen funktionieren. Dafür ist Voraussetzung, dass sie etwa dem Beschuss und Ansprengungen ihrer Trägerfahrzeuge standhalten und eine elektromagnetische Verträglichkeit mit anderen Elektronik-Komponenten gewährleistet ist. Es handelt sich also nicht um den simplen Tausch eines Funkgerätes.

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Um die Umsetzung von D-LBO basic – dabei geht es nur um die Integration von Funkgeräten und nicht um weitergehende Komponenten wie etwa Satellitenkommunikation – voranzubringen, will die Bundeswehr einen sogenannten generischen Verband zur Muster- und Serienintegration priorisieren. Dazu sollen erste Verträge zur Musterintegration bis Ende dieses oder Anfang kommenden Jahres geschlossen werden, wie aus einem vertraulichen Bericht des Ministeriums an das Parlament hervorgeht.

Wie es heißt, waren bis Anfang Oktober insgesamt 1.045 Führungsfunksysteme (Software Defined Tatical Radios, SDTR) von Rohde & Schwarz ausgeliefert worden und im Depot gelagert. Die Gewährleistungsfrist für die Führungsfunksysteme beginnt nach der Entnahme des Gerätes aus dem Depot und beträgt drei Jahre. Bei Verbleib des Gerätes im Depot endet sie spätestens fünf Jahre nach Lieferung, wie aus dem Bericht hervorgeht.

Als nächste Schritte soll sich nach der Realisierung der Musterintegration die Serienintegration in die Fahrzeuge unmittelbar anschließen. Aufgrund der Verzögerungen wird die Division 2025 nach Einschätzung des BMVg in ihrer Führungsfähigkeit im hochintensiven Einsatz zunächst nicht ihre volle Leistungsfähigkeit entfalten können, soll jedoch nicht hinter die aktuelle Führungsfähigkeit der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) zurückfallen.

Innerhalb der NATO ist die Division 2025 laut dem BMVg über German Mission Network (GMN) angebunden. Die Kommunikation mit anderen NATO-Partnern soll bis zur Einführung einer gemeinsamen Wellenform durch Funkgeräte der US-Firma L3Harris hergestellt werden. Die vollständige nationale Führungsfähigkeit soll den augenblicklichen Planungen zufolge bis Ende 2027 erreicht werden.

Derzeit existieren in der NATO keine herstellerunabhängigen standardisierten Wellenformen. So kann beispielsweise ein Funkgerät von Thales nicht mit einem der finnischen Firma Bittium kommunizieren, da Hersteller immer nur ihre proprietären Wellenformen anbieten. Um eine einheitliche Wellenform zu entwickeln, haben europäische Staaten jedoch das Programm ESSOR (European Secure Software-defined Radio) gestartet, an dem sich mit Verspätung auch Deutschland beteiligt hat. Für Deutschland nimmt die Firma Rohde & Schwarz als „National Champion“ am ESSOR-Programm teil.

Der ESSOR-Standard wird derzeit auch als NATO-Standard für die Interoperabilität im NATO-Bündnis vorgeschlagen.  Nach Einschätzung des BMVg soll die Entwicklung 2026 abgeschlossen werden, was in Fachkreisen jedoch als sehr optimistisch bewertet wird. Die ESSOR- Wellenform könnte in den folgenden Jahren in die unterschiedlichen Führungsfunksysteme der ESSOR-Partner eingerüstet und auch anderen NATO-Partnern zur Verfügung gestellt werden. Voraussetzung dafür ist die Nutzung digitaler Funktechnik, die die Nutzung neuer ESSOR-Software erlaubt.

Bis dahin soll die Interoperabilität mit anderen NATO-Partnern im Bereich Funkgerätesysteme unter anderem durch den Einsatz von Funkgeräten der AN/PRC-Funkgerätefamilie der Firma L3Harris sichergestellt werden. Funkgeräte dieses Herstellers werden bereits von zahlreichen NATO-Partnern genutzt oder speziell zur Gewährleistung der Interoperabilität beschafft. Dem Bericht zufolge, sind rund 1.100 Harris-Funkgeräte des Typs AN/PRC-117G im VHF- und UHF-Band für taktischen Sprach- und Datenfunk mit integriertem Kryptomodul bereits in vielen Führungs- und Aufklärungsfahrzeugen der Bundeswehr eingerüstet.

Für eine weitreichende taktische Kommunikation (Beyond-Line-of-Sight), ohne Abstützung auf Satelliten, sollen ergänzend die HF-Funkgeräte AN/PRC-160 von L3Harris für taktischen Sprach- und Datenfunk genutzt werden. Die Funkgeräte sollen im Rahmen von D-LBO auch in die Fahrzeuge eingerüstet werden. Für beide Funkgerätetypen sind weitere Beschaffungen von jeweils rund 3.000 bzw. 3.500 Stück in den Jahren 2024 bis 2027 über Foreign Military Sales vorgesehen. Der Beschaffung muss der US-Kongress noch zustimmen, was jedoch als Formalie gilt.

Umgesetzt werden soll die Muster- und Serienintegration der digitalen Funkgeräte von der ARGE D-LBO, die von den beiden Systemhäusern KMW und Rheinmetall geführt wird und rund 20 Herstellerfirmen von Fahrzeugen umfasst. Die ARGE wurde Mitte Juni vom BAAINBw aufgefordert, ein Angebot für die Integration bis Ende Oktober abzugeben. Bis Redaktionsschluss waren Vertreter der ARGE zuversichtlich, diesen Zeitplan auch einhalten zu können. Nach Abgabe des Angebots werden sich nach Einschätzung von Insidern intensive Nachverhandlungen anschließen, bis es zu einer finalen Einigung kommt.

Ursprünglich sollte der Gesamtvertrag mit der ARGE D-LBO zur Muster- und Serienintegration über alle 13.000 Plattformen möglichst bis Ende 2023 abgeschlossen werden. 2024 bis in das Jahr 2025 hinein sollte für alle rund 200 Plattformtypen dann die Musterintegration erfolgen, woran sich dann schrittweise ab 2025 die Serienintegration anschließen sollte. Bis zum Jahr 2030 sollten dann alle 13.000 Fahrzeuge umgerüstet sein.

Dann wurde jedoch entschieden, die eigentlich für 2027 der NATO versprochene Heeresdivision auf 2025 vorzuziehen. Deshalb wurden Zeitlinien so gestrafft, dass möglichst viele Teile der Division im Jahr 2025 umgerüstet sein sollten.  Aufgrund der jetzt aufgetretenen Verzögerungen geht das BMVg jedoch davon aus, dass die 25-Mio-Vorlage für den Gesamtvertrag erst Mitte 2024 in den Bundestag kommen wird. Erst nach parlamentarischer Billigung kann dieser dann geschlossen werden. Damit dürfte sich der Abschluss der Muster- und Serienintegrationen für die Division 2025 um rund zwei Jahre gegenüber der ursprünglichen Absicht auf das Jahr 2027 verschieben. Wie aus dem Bericht hervorgeht, sind die für die Integration erforderlichen Haushaltsmittel bereits eingeplant. Beobachter gehen davon aus, dass dafür mehr Geld ausgegeben werden muss als für die Beschaffung der Funkgeräte.
lah/19.10.2023