Im Jahre 2020 füllte eine Reihe von Videos die Timelines der Menschen in den sozialen Medien, als das aserbaidschanische Verteidigungsministerium begann, Videos von Drohnenangriffen im Berg-Karabach-Krieg 2020 zu veröffentlichen. Die Bayraktar TB2 schienen sich ungehindert auf dem Gefechtsfeld bewegen zu können und Ziele tief im armenischen Hinterland zu treffen, darunter auch Flugabwehrsysteme und Stellungssysteme.
Hier, so schien es, konnte ein wahrer „Game Changer“ beim Wirken beobachtet werde, quasi eine Fähigkeit, die den Krieg im Alleingang zu gewinnen vermag. Mit Interesse verfolgten viele die gleichen sozialen Medien zu Beginn der russischen Vollinvasion 2022 auf der Suche nach Videos der ukrainischen TB2. Ein paar davon tauchten auf, ebenso wie ähnliche Videos von Russlands Orion-Kampfdrohne, aber allzu bald verschwanden diese Videos wieder. Wie von vielen Beobachtern erwartet, hatten die von beiden Streitkräften eingesetzten Flugabwehrsysteme die Drohnen schnell zum Absturz gebracht, so dass ihr weiterer Einsatz nur Abseits von umkämpften Gefechtsabschnitten sinnvoll war.
Gleichwohl wurden Anpassungen in der Drohnenkriegsführung unternommen, und Russland begann, seine zahlenmäßig umfangreichen Artilleriefähigkeiten durch die Lancet-3-Loitering-Munition zu ergänzen. Die Ukraine setzte hingegen eine Mischung aus schweren Bomberdrohnen sowie FPV-Drohnen und Loitering Munition ein. Die von diesen Systemen durch ihren Einsatz erzeugten Videos sind einmal mehr ein bestimmendes Merkmal der Timelines in den sozialen Medien, was einige zu der Behauptung veranlasst, diese Waffen seien die Zukunft und konventionelle Systeme wie die Artillerie gehören der Vergangenheit an.
Wie sieht hier die Realität denn wirklich aus? Wie sollten diese Systeme angesehen werden – stehen sie in Konkurrenz zueinander oder ergänzen sie sich? Das ist die Thematik, mit der sich in diesem Artikel befasst wird.
Das richtige Mittel für die richtige Aufgabe
Ein Punkt sollte gleich von vornhinein geklärt werden: Drohnen sind kein Wundermittel, mit dem jedes militärische Problem gelöst werden kann. In der Ukraine sind sie eine wirksame Antwort auf eine verzweifelte Situation. In Berg-Karabach waren sie Teil eines vielschichtigen und sehr effektiven kombinierten Waffeneinsatzes, zu dem auch eine erstklassige elektronische Kriegsführung gehörte, die den Drohnen eine ungehinderte Operationsfähigkeit ermöglichte. In Afrika und im Nahen Osten werden große Drohnen routinemäßig von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren abgeschossen. In der Ukraine ist die Ausfallrate von FPV-Drohnen sehr hoch, und im Jahr 2023 verlor die Ukraine 10.000 Drohnen pro Monat durch russische Angriffe. Am Ende handelt sich bei Drohnen um fragile Systeme, an die man sich mit dem richtigen Ansatz und den richtigen Mitteln anpassen kann.
Damit soll nicht gesagt werden, dass Drohnen nur Nachteile haben. Sie können eine relativ kosteneffiziente Präzisionswirkung bieten, die von Staaten eingesetzt werden kann, die nicht über alle Merkmale einer hochmodernen NATO-Streitmacht wie weltraumgestützte Aufklärung und ausgeprägten Fähigkeiten im teilstreitkräfteübergreifenden Einsatz verfügen. Außerdem bieten sogenannte Strike-Drohnen den taktischen Streitkräften organische Fähigkeiten zum präzisen Wirken auf weite Distanzen, was von entscheidender Bedeutung ist, und auf die im späteren Verlauf genauer eingegangen werden soll.
Damit soll nicht gesagt werden, dass Drohnen nur Nachteile haben. Sie können eine relativ kosteneffiziente Präzisionswirkung bieten, die von Staaten eingesetzt werden kann, die nicht über alle Merkmale einer hochmodernen NATO-Streitmacht wie weltraumgestützte Aufklärung und ausgeprägten Fähigkeiten im teilstreitkräfteübergreifendem Einsatz verfügen. Außerdem bieten sogenannte Strike-Drohnen den taktischen Streitkräften organische Fähigkeiten zum präzisen Wirken auf weite Distanzen, was von entscheidender Bedeutung ist, und auf die im späteren Verlauf genauer eingegangen werden soll.
Die Ursachen hierfür lassen sich am besten ergründen, wenn man sich vergegenwärtigt, welche Aufgaben die Artillerie hat, so dass klar wird, dass Drohnen diese Aufgabe nicht erfüllen können. Die Artillerie hat drei Hauptaufgaben: Das Bekämpfen, Vernichten und Niederhalten feindlicher Kräftegruppierungen und deren Ausrüstung. Diese Aufgaben sind oft miteinander verbunden, unterliegen aber bestimmten Einschränkungen. Die erste ist, dass Artillerie eine „Flächenwaffe“ ist, was in der Praxis bedeutet, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass sie ein Ziel direkt trifft. Eine Geschützbatterie, die auf ein Stellungssystem feuert, erzeugt eine Trefferzone, die ungefähr zigarrenförmig um den Graben herum verläuft; einige Granaten landen im oder in der Nähe des Stellungssystems, aber die meisten landen drum herum.
Davon kann sich jeder selbst überzeugen, wenn er das nächste Mal an einem Strand ist. Man nimmt eine Handvoll Steine und wirft sie nacheinander auf ein bestimmtes Gebiet, einige werden ziemlich genau treffen, aber einige werden ganz woanders hingehen. Ähnlich funktioniert auch die Feuerunterstützung durch die Artillerie.
Im Allgemeinen will ein Gegner nicht unter Artilleriebeschuss geraten und wird daher schnell Deckung suchen, sobald der Beschuss beginnt. Dies gibt einer Artilleriebatterie ein Zeitfenster, um eine zerstörerische Wirkung zu erzielen – es wird in Sekunden, vielleicht zwei Minuten gemessen. Damit die Artillerie Verluste bei Infanterie und Fahrzeugen verursachen kann, muss sie in kürzester Zeit so viel Munition wie möglich auf ein Ziel abfeuern. Es kann jedoch ausreichen, die Besatzung eines Geschützes von dem System zu trennen, um eine „Neutralisierung“ zu erreichen.
Danach wird auf Niederhaltung umgeschaltet, die verhindern soll, dass die Infanterie und sowie mechnanisierte Kräfte ihren Auftrag weiter fortsetzen können. Dabei handelt es sich in der Regel um eine niedrigere Feuerrate, bei der vielleicht ein oder zwei Schuss pro Geschütz und Minute abgefeuert werden. In einigen Fällen, wenn die richtigen Geschosse und Aufklärungsmittel zur Verfügung stehen, wird die Artillerie zur präzisen Bekämpfung eines einzelnen Ziels eingesetzt. Dies könnte beispielsweise mit der GPS-gesteuerten Excalibur-Granate geschehen, die 2016 in der Schlacht um Mosul ausgiebig eingesetzt wurde, oder mit der BONUS-Panzerabwehrgranaten, die in der Ukraine mit gutem Erfolg eingesetzt wurden. Allerdings sind diese Geschosse in der Regel teuer – bis zu 100.000 Dollar pro Stück –, was ihre Einsatzhäufigkeit einschränkt.
Kein Allheilmittel
Es sollte also klar sein, dass auch die Artillerie kein Allheilmittel ist. Abgesehen von ihren technischen Einschränkungen ist sie ressourcenintensiv in Bezug auf die Logistik und kann teuer sein, wenn man die Systementwicklung und -beschaffung berücksichtigt. Außerdem ist Artillerie in einem ständig überwachten Gefechtsstreifen relativ leicht zu finden und zu bekämpfen. Ihre Fähigkeiten lassen sich jedoch von Drohnen nur schwer nachahmen. Die Fähigkeit des Niederhaltens ist für die Streitkräfte während einer Offensivoperation von entscheidender Bedeutung, und die in kurzer Zeit erzielten Zerstörungseffekte sind seit 1942 das Herzstück der meisten erfolgreichen Offensiven.
Kleine Drohnen können zwar zu Schwarmangriffen gegen ein Ziel eingesetzt werden, sind aber zu anfällig für Abfang- und Störeinflüsse und haben eine zu geringe Nutzlast, um die Wirkung von Artilleriegeschossen zu erzielen. Eine typische 155-mm-Artilleriegranate hat einen tödlichen Splitterradius von 50 m oder mehr und kann darüber hinaus schwere Verwundungen verursachen. Dies kann eine einzelne kleine Drohne nur sehr schwer nachbilden. Schlechtes Wetter, wie starke Winde, tief hängende Wolken und eisige Temperaturen, machen einige Drohnen ebenfalls unbrauchbar, und die meisten sind in ihrer Stehzeit durch ihre Batterielebensdauer oder ihren Treibstoff begrenzt.
Kleine Drohnen können zwar zu Schwarmangriffen gegen ein Ziel eingesetzt werden, sind aber zu anfällig für Abfang- und Störeinflüsse und haben eine zu geringe Nutzlast, um die Wirkung von Artilleriegeschossen zu erzielen. Eine typische 155-mm-Artilleriegranate hat einen tödlichen Splitterradius von 50 m oder mehr und kann darüber hinaus schwere Verwundungen verursachen. Dies kann eine einzelne kleine Drohne nur sehr schwer nachbilden. Schlechtes Wetter, wie starke Winde, tiefhängende Wolken und eisige Temperaturen, machen einige Drohnen ebenfalls unbrauchbar, und die meisten sind in ihrer Stehzeit durch ihre Batterielebensdauer oder ihren Treibstoff begrenzt.
Darüber hinaus scheint das derzeitige Konzept für den Einsatz kleiner Drohnen in der Ukraine sehr an die vergleichsweise statische Gefechtssituation angepasst zu sein. Zu diesem Zweck setzen beide Streitkräfte schrotflintenbewaffnete „Drohnenjäger“ und passive Maßnahmen ein, die Drohnen bekämpfen sollen. Wenn insbesondere kleine Drohnen zuverlässig und wiederholt abgefangen werden können, könnte es beispielsweise dazu führen, dass deren Abschreckungswirkung signifikant sinkt.
Kurz gesagt, es gibt keine Allheilmittel. Drohnen können die Artillerie nicht ersetzen und sollten auch nicht in dieser Rolle gesehen werden. Beide sollten jedoch zusammenarbeiten, um beispielsweise die Luftnahunterstützung durch Starrflügler und Feuerunterstüzung mittels Präzisionsmunition der Artillerie zu entlasten. Mit kleinen Kampfdrohnen, die der abgesessenen Infanterie zur Verfügung stehen, können sie Ziele in ihrem unmittelbaren Einsatzgebiet präzise bekämpfen, so dass der Bedarf an Feuerunterstützung gesenkt wird und diese nur dann zum Tragen kommen muss, wenn die Situation mittels der Drohnen nicht gelöst werden kann.
Ebenso ergänzen und unterstützen große Kampfdrohnen Artilleriefeuer und konventionelle Luftangriffe mit Starrflüglern durch ständige Beobachtung und gelegentliche Bekämpfung von Zielen.
Ein solcher mehrschichtiger Ansatz der Wirkfähigkeit würde sicherstellen, dass die Streitkräfte in der Lage sind, auf jede Gefechtssituation flexibel reagieren zu können und eine größere Bandbreite an Waffen einzusetzen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Die Bevorzugung eines Waffensystems auf Kosten einer anderen ist unwahrscheinlich und wird irgendwann im Laufe eines Krieges zu einer Neugewichtung führen.
Autor: Sam Cranny-Evans
Dieser Beitrag stammt aus dem aktuellen Calibre Defence Newsletter. Wenn Ihnen dieser Artikel gefällt, sollten Sie sich auf der Homepage von Calibre Defence für den Newsletter anmelden, in dem in regelmäßigen Abständen Exklusiv-Beiträge veröffentlicht werden.