Strike-Drohnen bzw. Einweg-Wirkdrohnen sind eine neue Wirkmittelkategorie, die im Zuge des nunmehr fast drei Jahre währenden Ukraine-Krieges enorm an Bedeutung gewonnen hat. „Populäre“ Vertreter dieser Waffenkategorie sind beispielsweise die Geran-2, eine russische Variante der iranischen Shahed-136-Drohne, oder die jüngst von Helsing an die Ukraine gelieferte HF-1 Strike-Drohne HF-1, die in Kooperation mit einem ukrainischen Hersteller gefertigt wird.
Besonderes Merkmal dieser Waffenkategorie, die es in unterschiedlichen Gewichtsklassen – die Bandbreite reicht von wenigen Kilogramm bis mehreren hundert Kilogramm – gibt, ist der Designfokus auf geringe Produktionskosten bei gleichzeitiger Möglichkeit der Serien- bzw. Massenproduktion, so dass mehrere hundert und teilweise sogar tausend Systeme pro Monat hergestellt werden können.
Insbesondere der Krieg in der Ukraine hat die Weiterentwicklung dieser Waffenkategorie rasant vorangetrieben. Waren Vertreter solcher Systeme zu Kriegsbeginn nicht wesentlich mehr als einfache Flugbomben, werden nun zunehmend Wirkmittel mit High-Tech-Fähigkeiten im Bereich der Navigation und Zielbekämpfung eingesetzt, was die Präzision der Waffensysteme verbessert, ohne die Kosten in die Höhe zu treiben, da einmal entwickelte Software ohne nennenswerte Zusatzkosten auf beliebig viele Systeme skaliert werden kann.
Gleichwohl können auch Strike-Drohnen bestimmte Gesetzmäßigkeiten nicht außer Kraft setzen. Die Designoptimierung, Massenproduktion und geringe Produktionskosten führen zwangsläufig dazu, dass Abstriche in Kauf genommen werden müssen. Zum Einsatz kommen daher nur einfache Gefechtsköpfe und zumeist nur Propellerantriebe. Dementsprechend ist auch die Leistung der Einwegdrohnen, was Wirkung und Mobilität betrifft, im Vergleich zu High-Tech-Marschflugkörpern und Raketen als gering zu werten.
Während mit Strahltriebwerken ausgestattete Marschflugkörper knapp unterhalb der Schallgrenze operieren, erreichen die einfachen Propellerantriebe nur ein Viertel bis zur Hälfte der Geschwindigkeit. Der Vergleich mit ballistisch fliegenden Raketen fällt noch nachteiliger aus, da die Raketen mehrfache Schallgeschwindigkeiten erreichen können. Nur als Beispiel sei hier die israelische Artillerierakete vom Typ Predator Hawk genannt, welche eine Reichweite von 300 km aufweist und Herstellerangaben zufolge die komplette Flugstrecke in 8 Minuten zurücklegen kann. Eine Strike-Drohne mit einer Marschfluggeschwindigkeit von rund 200 km/h bräuchte für die Entfernung 1,5 Stunden. Ein Zeitfenster, welches dem Verteidiger die Aufklärung der Drohne und Einleitung von Bekämpfungsmaßnahmen ermöglicht. Selbst wenn die Strike-Drohne eine mit einem einfachen Propellerantrieb unerreichbare Geschwindigkeit von 1.000 km/h hätte, würde die Flugzeit immer noch 18 Minuten betragen und somit 10 Minuten mehr als bei der Rakete. Zeitkritische Ziele lassen sich mit solchen Wirkmitteln somit deutlich schwieriger bis gar nicht bekämpfen.
Vergleichbare operationelle Einschränkungen entstehen durch die vergleichsweise einfache Gefechtskopfarchitekturen, die teilweise nicht viel komplexer als eine einfache Sprengstoffmasse sind, deren Großteil der Wirkung im Rahmen der Detonation sprichwörtlich in der Luft verpufft. Nur ein geringer Teil der Ladung kann tatsächlich gegen das Ziel wirken und dort zerstörerische Wirkung entfalten. Zum Vergleich dazu betrachte man den aus dem Taurus bekannten MEPHISTO-Gefechtskopf (Multi-Effect Penetrator High Sophisticated and Target Optimized). Es handelt sich dabei um einen Tandem-Gefechtskopf, bestehend aus einer Vorhohlladung und dem Penetrator mit integriertem, programmierbarem und intelligentem Zünder (Programmable Intelligent Multipurpose Fuze (PIMPF)). Nur rund ein Fünftel des etwa 0,5 Tonnen schweren Gefechtskopfes entfällt auf Explosivstoffe. Das System ist in der Lage, mehrere Betonschichten zu durchschlagen und anschließend punktgenau an einer vorher festgelegten Stelle zu detonieren, um dort seine volle Zerstörungswirkung zu entfalten. Selbst stark verbunkerte Strukturen können mit einem einzigen Taurus bekämpft werden, die bei einer oberflächlichen Bekämpfung mit mehreren Tonnen Sprengstoff unbeschädigt bleiben würden.
Ergänzung nicht Ersatz?
Die zwei Beispiele verdeutlichen die Grenzen einfacher Strike-Drohnen, die zwar eine überaus abstandsfähige und präzise Wirkung liefern können, aber nur für sehr spezifische Zielkategorien. Vergleichsweise statische und ungeschützte Ziele lassen sich mit Strike-Drohnen effektiv und insbesondere vergleichsweise kostengünstig bekämpfen. Selbst mittels Luftverteidigungssystemen gut geschützte Objekte können durch den Einsatz einer größeren Anzahl (Übersättigung) dieser „billigen“ Wirkmittel effektiv angegriffen werden. Sowohl der Einsatz der russischen Geran-2 als auch die ukrainischen Drohnenangriffe auf die russische Energieinfrastruktur zeigt, dass Einwegdrohnen „Wirkung im Ziel“ erzielen können.
Der Großteil von Munitions- oder Kommandobunker genauso wie zahlreiche Brücken lassen sich mit solchen Einwegdrohnen hingegen nicht zerstören, selbst wenn diese präzise getroffen werden. Genau so wenig wie zeitkritische Ziele.
In Anbetracht der beschriebenen Designmerkmale sind Strike-Drohnen nicht als genereller Ersatz für klassische Marschflugkörper und Raketen geeignet. Gleichwohl bilden die Einwegdrohnen eine kostengünstige und massenfähige Ergänzung zum High-End-Wirkmittelmix moderner Streitkräfte. Denn nicht jedes zu bekämpfende Ziel ist zeitkritisch und oder verbunkert. Anstatt auf solche Ziele teure Raketen oder Marschflugkörper zu feuern, können diese zukünftig präzise mit Strike-Drohnen bekämpft werden.
Dennoch wird sich die eine oder andere Nation zukünftig die Frage stellen müssen, wie das begrenzte Verteidigungsbudget im Bereich der Wirkung in der Tiefe sinnvollerweise verplant werden soll. So hat Lettland beispielsweise Ende 2023 die Beschaffung von sechs HIMARS-Raketenartilleriesystemen eingeleitet. Einer auf den Oktober 2023 datierten Veröffentlichung der für den Export von US-Waffensystemen zuständigen Defense Security Cooperation Agency zufolge plant Lettland bis zu 10 ballistische Raketen vom Typ M57 Army Tactical Missile System (ATACMS) zu kaufen. Diese Raketen mit einer Reichweite von bis zu 300 km würden die einzige Fähigkeit des baltischen Landes bilden, in den rückwärtigen Raum eines Feindes wirken zu können. Jeder kann sich selbst ausdenken ,wie lange ein solches Arsenal ausreichen würde. Langstrecken-Einweg-Kampfdrohnen könnten in solchen Fällen eine Alternative darstellen, um auch kleineren Armeen eine entsprechende „Masse“ bieten zu können. Der genaue Preis für eine ATACMS-Rakete ist öffentlich nicht bekannt, soll aber bei rund 1 bis 1,5 Millionen Euro liegen. Langstrecken-Einweg-Kampfdrohnen wie die Geran-2 sollen hingegen nur 50.000 bis 100.000 Euro kosten. Je wie man es nimmt, könnten sich kleine Nationen mit solchen Strike-Drohnen deutlich größere Arsenale – je nach Zählweise um den Faktor 10- bis 30-mal größer – zulegen.
Zu klären wäre zudem noch der genaue Umgang mit der neuen Wirkmittelkategorie in den Punkten Beschaffung und Lagerhaltung. Gegenwärtig unterliegen die Systeme noch vergleichsweise kurzen Technologieentwicklungszyklen. Wo Raketen und Marschflugkörper Nutzungszeiten von 20 bis 30 Jahren aufweisen, in denen sie vielleicht ein- bis zweimal überholt werden, „überschlägt“ sich die Entwicklung der Drohnenkriegsführung jährlich, teilweise sogar noch schneller. Größere Strike-Drohnen entwickeln sich zwar etwas langsamer als die Drohnenkriegsführung mit Kleinstdrohnen, nichtsdestotrotz ist das Tempo nicht mit der klassischen Raketenentwicklung vergleichbar. Wenn man heute zehn- oder hunderttausende von Strike-Drohnen kauft, läuft man unter Umständen Gefahr, dass diese im Falle eine Kriegseinsatzes in 10 oder 20 Jahren völlig nutzlos wären.
Ausblick
Es ist davon auszugehen, dass Strike-Drohnen in der einen oder anderen Form Einzug in die Arsenale aller Streitkräfte Einzug finden werden. Die geringe Komplexität und Kostenstruktur der Waffensysteme wird vermutlich dazu führen, dass selbst kleine Nationen – die sich keine High-Tech-Raketenarsenale leisten können – und nicht staatliche Akteure zukünftig über Fähigkeiten zum präzisen Wirken auf große Entfernungen aufbauen werden. Die Waffensysteme eröffnen daher nicht nur Chancen den eigenen Waffenmix breiter und tiefer aufzustellen, sie stellen auch eine Bedrohung für moderne Streitkräfte dar, auf die es Antworten zu finden gilt.
Waldemar Geiger