Die Bundesregierung hat das KI-Verteidigungsunternehmen Helsing mit der Lieferung von sogenannten Strike-Drohnen an die ukrainischen Streitkräfte beauftragt, die auch unabhängig vom GNSS-Signalempfang und gegnerischen Störversuchen eine präzise Zielbekämpfung aus der Luft ermöglichen.
Verteidigungsminister Boris Pistorius hatte bereits am 13. Juni am Rande des Treffens der Ukraine-Kontaktgruppe im NATO-Hauptquartier angekündigt, dass Deutschland Kampdrohnen liefern werde. „Wir werden mehrere Tausend Kampfdrohnen liefern“, so Pistorius damals. Medienberichten zufolge soll ein Sprecher des Verteidigungsministeriums dem RND im Anschluss mitgeteilt haben, dass die Systeme vom deutschen KI-Spezialisten Helsing kommen werden. Der deutsche Verteidigungsminister hatte kurz vor der Ankündigung im Rahmen seines Odessa-Besuchs in der Ukraine zusammen mit seinem ukrainischen Amtskollegen an einer Drohnendemonstration teilgenommen, wo unterschiedliche Systeme vorgeführt wurden, darunter auch die nun beauftragte Strike-Drohne.
Wie die Bild heute schreibt, soll Helsing insgesamt 4.000 Strike-Drohnen an die Ukraine liefern. Dem Bericht zufolge haben die Systeme bereits Feldversuche in der Ukraine erfolgreich absolviert und anhand der Erkenntnisse weiterentwickelt. Die Lieferung der ersten Seriensysteme soll Bild zufolge ab Dezember beginnen. Danach sollen wohl monatlich mehrere hundert Exemplare an die Ukraine geliefert werden. Welches System genau geliefert wird, ist unbekannt, aber wie gut informierte Kreise hartpunkt bestätigten, soll es sich bei den nun zur Lieferung anstehenden Strike-Drohnen nicht um das im Rahmen der Bild-Berichterstattung abgebildete System handeln.
Genaue technische Details der „Strike-Drohne“ sind bis dato unbekannt. Das System soll jedoch über einen Sprengkopf verfügen, der auch zur Bekämpfung von Kampfpanzern geeignet ist und über mehrere KI-gestützte Funktionen verfügen soll. Über Reichweite, Geschwindigkeit und sonstige Designmerkmale gibt es bis dato keine verlässlichen Angaben. Auch Helsing wollte dazu keine Stellungnahme abgeben.
Update 18. November 2024 15:18 Uhr
Verteidigungsminister Boris Pistorius bestätigte heute nach dem symbolischen Spatenstich zum Ausbau der Produktionskapazitäten von MBDA Deutschland in Schrobenhausen, dass in Kürze mit der Lieferung von 4.000 KI-gesteuerten Strike-Drohnen begonnen werden soll. Diese könnten 30 bis 40 Kilometer ins Hinterland fliegen, um dort Gefechtsstände, Logistik-Knoten und anderes zu bekämpfen. Die Drohnen aus deutscher Produktion seien auch in der Lage, die gegnerische elektronische Kampfführung zu unterlaufen. Es handele sich „um ein echt wichtiges Asset für die ukrainischen Streitkräfte“, so Pistorius.
Bei Strike-Drohnen handelt es sich um spezifisch für den Einsatzzweck der günstigen und gleichzeitig präzisen Punktzielbekämpfung entwickelte Einwegdrohnen. Solche Systeme weisen dabei eine gewisse Designnähe zu klassischen Aufklärungsdrohnen sowie Loitering Munition auf. Im Gegensatz zu Loitering Munition sind sie hingegen nicht dafür ausgelegt, gegebenenfalls zurückzukehren und wieder aufgenommen werden zu können.
Der Umstand der Auftragsvergabe an Helsing lässt jedoch interessante Rückschlüsse zu. Da Helsing selbst kein Hersteller von Drohnen oder sonstigen Wirkmitteln ist, sondern sich auf die Entwicklung von KI-gestützten Systemen für Streitkräfte spezialisiert hat, wird die Produktion der Strike-Drohne einer sehr großen Wahrscheinlichkeit nach durch einen anderen Anbieter erfolgen. Es kann aber wohl davon ausgegangen werden, dass die wesentlichen softwaregestützten Fähigkeiten (Navigation, Steuerung, …) der Strike-Drohne von Helsing kommen werden. Neben einer KI-gestützten Objekterkennung und –Identifikation soll die Einweg-Kampfdrohne gut informierten Kreisen zufolge auch über eine GNSS-Signal-unabhängigen Positionsbestimmung und Navigationsfähigkeit verfügen. Diese erlaubt es der Drohne trotz elektronischer Störmaßnahmen sicher und punktgenau operieren zu können.
Die Funktionsweise der Technologie ist im Grunde einfach erklärt. Die von der Sensorik der Drohne gewonnenen Bilder werden permanent mit einem aufgespielten georeferenzierten Kartenbild – generiert durch aktuelle hochauflösende Satellitenbilder – abgeglichen und so die Position der Drohne im Raum berechnet. Da das Gefechtsfeld sich stetig verändert (Wetter, Zerstörungen der Infrastruktur durch Gefecht, …), ist die Genauigkeit der Technologie maßgeblich von der Güte der aufgespielten Kartenbilder (Aktualität und Auflösung) sowie der Fähigkeit des Systems, mit möglichst vielen Referenzpunkte arbeiten zu können, abhängig.
Neben der GNSS-unabhängigen Positionsbestimmung kommt KI zudem auch bei der Steuerung der Systeme sowie in der Zielaufklärung zum Einsatz. Der Umstand, dass die Strike-Drohne sehr günstig in der Herstellung sein soll – Insider sprechen davon dass die Kosten eher im Bereich einer Panzerfaust als einer Loitering Munition liegen – lässt die Vermutung zu, dass die Helsing-Strike-Drohne über keine leistungsfähige Sensorik (hochauflösende Optronik mit Gimbal) verfügt und somit nur mit begrenzten Aufklärungsfähigkeiten ausgestattet ist. Operationell lässt sich dieser „Nachteil“ durch einen kombinierten Einsatz mit einer Aufklärungsdrohne ausgleichen. Bei diesem Einsatzverfahren übernimmt die Aufklärungsdrohne aufgrund ihrer höheren Stehzeit oder besseren Sensorik die Aufgabe der Zielaufklärung sowie des anschließenden Battle Damage Assessment, während die Strike-Drohne für die Zielbekämpfung zuständig ist.
Interessanterweise hat Helsing im Auftrag der Bundesregierung auch mehrere Aufklärungsdrohnen vom Typ RQ-35 Heidrun des dänischen Herstellers Sky-Watch an die Ukraine geliefert. Die rund 3 kg schwere Heidrun wird seit dem ersten Kriegsjahr in der Ukraine eingesetzt. Dem Vernehmen nach wurde das aus der Hand gestartete System im Zuge des Einsatzes mehrfach weiterentwickelt, um trotz der eingeleiteten russischen Maßnahmen der Drohnenabwehr weiterhin operationell bleiben zu können.
In dem angenommenen kombinierten Einsatz aus Aufklärungs- und Strike-Drohnen würden die von der Drohnensensorik der Heidrun gewonnenen Bilder auf mögliche Ziele abgetastet und gegebenenfalls klassifiziert, viel schneller als es der menschliche Pilot der Drohne dauerhaft vermag. Auch bei der Strike-Drohne könnte diese softwarebasierte Technologie zum Einsatz kommen, um die Drohne im Zielendanflug auf das gewünschte Ziel zu steuern.
Ein weiterer Vorteil dieser Technologie liegt in dem Umstand, dass die KI-befähigten Drohnen keine durchgehende Telemetrieverbindung zum Piloten brauchen. Sie können vielmehr einen vorgegebenen Weg abfliegen und bestenfalls selbstständig potenzielle Ziele aufklären (Anteil Heidrun). Erst wenn dies erfolgt ist, kann eine Telemetrieverbindung zum Piloten aufgebaut werden, um diesem das Ziel zu melden. Da die Drohne also nicht dauerhaft funken muss, ist sie deutlich schwerer aufklärbar und somit auch schwerer bekämpfbar. Im Anschluss könnte die Strike-Drohne gestartet werden und das aufgeklärte Ziel ebenfalls KI-gestützt zu bekämpfen.
Waldemar Geiger