Anzeige

Anbieter müssen sich im Vergleichstest beweisen

Bei der Ausrüstung des Heeres mit der Fähigkeit zur so genannten qualifizierten Fliegerabwehr wird ein weiterer Meilenstein angepeilt: Im April und Mai sollen sich Unternehmen einer Vergleichserprobung mit ihren Waffensystemen und Sensoren stellen. Voraussetzung für die Teilnahme ist eine Aufforderung von Seiten des Bundeswehr-Beschaffungsamtes BAAINBw, die Mitte dieses Monats erfolgt sein soll.

Unternehmen mussten bis zum 7. Januar dieses Jahres ihr Interesse bekunden, wenn sich an der Ausschreibung zur Beschaffung von bis zu zehn Waffensystemen zur qualifizierten Fliegerabwehr teilnehmen wollen. Ziel sei es, „für einen zeitlich begrenzten, operationell und technisch eingeschränkten Selbstschutz vor Bedrohungen durch Micro- und Mini-UAS (Unmanned Aerial Systems) im Nächstbereich“ zu sorgen, heißt es in der Ausschreibung. Die Bundeswehr plant, die zehn Systeme für den Einsatz bei der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) oder NATO-Speerspitze im Jahr 2023 einzuführen. Entsprechend straff ist der Zeitplan bis zum Zulauf der neuen Technik.

„Die qFlgAbw ist Bestandteil des Luftverteidigungssystems für den Nah- und Nächstbereichsschutz (LVS NNbS)“, heißt es in der Ausschreibung weiter. Sie schütze beweglich geführte Operationen der Landstreitkräfte sowie Räume und Objekte gegen das Zielspektrum gemäß Zielkatalog, tageszeitunabhängig, unter nahezu allen Witterungsbedingungen sowie unter Einfluss von Maßnahmen des elektronischen Kampfes und unter ABC-Bedingungen.

Wie es aus Bundeswehrkreisen heißt, muss für die rechtzeitige Teilnahme an der VJTF dafür die Genehmigung zur Nutzung der neuen Waffensysteme im ersten Quartal 2022 erfolgen. Für das Projekt sollen mehrere Dutzend Millionen EUR zur Verfügung stehen.

Das Heer kalkuliert mit einer Bekämpfungsreichweite von bis zu 1.000 Metern für Klein-UAS, die etwa die Größe eines Fußballs aufweisen. Gegen andere Luftfahrzeuge soll das Waffensystem bis 3.000 Meter eingesetzt werden können. Diese Forderungen dürften sich auch in der Konzeption der  Vergleichserprobung widerspiegeln.

Lösung besteht aus Sensor und Effektor

Ausgeschrieben wurden Waffensysteme mit  einer Systemlösung bestehend aus Effektor und Sensor auf Basis einer Waffenstation.  Für das Vergabeverfahren soll eine Einheit des neuen Systems für die ab April stattfindenden Tests – offenbar in Meppen für die Sensorik und in Baumholder für das Schießen –  zur Verfügung stehen. Die Prüfmuster werden nach Abschluss der Vergleichserprobung  an die Bieter zurückgegeben.

Die qualifizierte Fliegerabwehr gilt zwar als Teilprojekt von NNbS, ist aber nicht in das Luftlagebild und die integrierte Luftverteidigung eingebunden. Zur höheren Führungsebene der bodengebunden Luftverteidigung wird lediglich über Funk Kontakt gehalten. Eine Anbindung etwa via Link 16 ist nicht vorgesehen. Insidern zufolge liegt dies unter anderem an der mehrere Jahre dauernden Qualifizierung einer solchen Einbindung durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Schließlich handelt es sich um die Anbindung an ein so genanntes rotes Netz mit hoher Sicherheitsstufe.

An dem bevorstehenden Testschießen wollen sich dem Vernehmen nach mindestens der norwegische Kongsberg-Konzern und das deutsche Systemhaus Rheinmetall beteiligen.  Wie es heißt, wird das Düsseldorfer Unternehmen voraussichtlich mit einer Granatmaschinenwaffe im Kaliber 40mm antreten. Die Waffe wird auf einer von KMW produzierten und modifizierten Waffenstation FLW 200 montiert. Kongsberg verfügt über Waffenstationen aus eigener Produktion. Das Unternehmen hat von seinem System Protector bereits mehrere Tausend Exemplare an mehrere Kunden weltweit verkauft.

Ursprünglich sollte die Erprobung der qualifizierten Fliegerabwehr bereits im vierten Quartal 2018 erfolgen. Technische Verzögerungen und der Moorbrand in Meppen haben diesen Zeitplan jedoch über den Haufen geworfen. Nach der augenblicklichen Planung ergibt sich damit  eine Verzögerung von etwa einem halben Jahr.

Auswahlentscheidung Mitte des Jahres möglich

Nachdem das Phasenpapier Fähigkeitslücke Funktionale Forderung (FFF) für NNbS im vergangenen Jahr gezeichnet wurde, heißt es aus dem Kommando Luftwaffe, dass womöglich Mitte des Jahres in einem nächsten Schritt die Auswahlentscheidung vom Generalinspekteur der Bundeswehr unterschrieben werden könnte. Danach kann der Beschaffungsprozess starten.

Für die erste Phase von NNbS will die Bundeswehr auf marktverfügbare Technik zurückgreifen. Dem Vernehmen nach wurde das Battle-Management-System für NNbS bereits festgelegt. Es soll sich um IBMS von Airbus handeln, das eng mit dem gegenwärtig von der Luftwaffe genutzten Führungssystem Surface-to-Air-Missile-Operation-Center (SAMOC) verwandt ist. Auch die Niederlande wollen in Kürze dieses Battle-Management-System einführen. Schließlich ist die bodengebundene Luftverteidigung der niederländischen Streitkräfte und der Bundeswehr sehr eng über das Projekt Apollo miteinander verknüpft. Die deutsche FlaRak-Gruppe 61 wurde im Rahmen dieser Kooperation der niederländischen Luftverteidigung in Vredepeel unterstellt. Niederländer und Deutsche wollen mit ihren Systemen Nasams und Stinger auf Fennek sowie Ozelot bei der VJTF 2023 den Nahbereichsschutz der Heeres-Einheiten gegen Luftangriffe abdecken. Da die Zeitlinien für die Einführung der NNbS und dem Ersatz der niederländischen Systeme Nasams und Stinger ähnlich verlaufen, schauen die Niederländer auch mit Interesse auf die Entscheidungen in Deutschland. Womöglich ergeben sich in Zukunft weitere Möglichkeiten zur gemeinsamen Beschaffung.

Während in Deutschland bei NNbS bereits das Führungssystem und mit der Iris-T SL der Effektor mittlerer Reichweite festgelegt wurden, gibt es noch keine Entscheidung hinsichtlich des Mittelbereichssensors. Anders in den Niederlanden: Hier wurde mit dem Multi Mission Radar (MMR) von Thales Nederland ein Radar bereits ausgewählt. Der Auftrag zur Produktion von neun Exemplaren, davon drei für die Luftverteidigung,  hat die niederländische Beschaffungsbehörde DMO Anfang Februar 2019 erteilt.

Noch keine Entscheidung bei kurzer Reichweite

In Deutschland wird gegenwärtig noch evaluiert, welcher Flugkörper für die kurze Reichweite unterhalb der Iris-T SL für den Schutz der mobilen Frontverbände in Frage kommt. Dazu läuft offenbar noch eine Studie bei dem die RBS70 von Saab, die Mistral von MBDA sowie Iris-T SLS von Diehl näher betrachtet werden. Ob auch eine vierte Variante mit Kanonenlösung untersucht wird, ist unklar. Unterschiede bei den Lenkwaffen ergeben sich unter anderem hinsichtlich der Suchköpfe. So nutzen Iris-T SLS und Mistral einen passiven Infrarot-Suchkopf, während es sich bei der RBS 70 um einen so genannten Beam-Rider handelt. Während Fachkreise davon ausgehen, dass Mistral und RBS 70 aus der Fahrt verschossen werden können, müsste für die Iris-T SLS dafür ein Launcher entwickelt werden. Das dauert und kostet zusätzlich. Andererseits könnten Iris-T SLS aus den Beständen der Luftwaffe genommen werden, da der Flugkörper auch zur Flugzeugbewaffnung genutzt wird. Damit würden sich erhebliche Vereinfachungen bei der Logistik ergeben.

Sollte sich das Konzept der qualifizierten Fliegerabwehr bewähren und die Fähigkeiten nicht von der Luftwaffe im Rahmen von NNbS bereitgestellt werden, plant das Heer  offenbar mit 72 Systemen im Jahr 2027 und bis zu 144 Systemen im  Jahr 2032, um ihre Kampftruppenbataillone damit auszustatten.

Beobachter gehen deshalb davon aus, dass es sich bei den 10 Einheiten – wenn sie mit einer 40mm-Granatmaschinenwaffe ausgestattet werden – zunächst um eine Zwischenlösung handelt. Denn aufgrund der geringen Geschwindigkeit des Projektils kann die Waffe auf agile Drohnen effektiv nur auf wenige Hundert Meter wirken. Die Bekämpfung von UAS auf mehr als einen Kilometer dürfte dagegen schwierig werden.

Die Zeitplanung für das übergeordnete NNbS-Vorhaben sieht vor, dass die erste Feuereinheit im Jahr 2023 zur Verfügung stehen soll.  Bis dahin dürften leistungsfähigere Lösungen am Markt sein, die etwa über eine Kanone mit Airburst-Fähigkeit im Kaliber ab 30mm verfügen.  Beobachter gehen davon aus, dass bis dahin der Skyranger von Rheinmetall – eine autonome 35mm Kanonenlösung mit eigenem Such- und Feuerleitradar – fertigentwickelt ist. Ein solches Waffensystem, montiert auf einem Radpanzer Boxer, zeigte das Unternehmen im vergangenen Jahr erstmals im scharfen Schuss auf seinem Testgelände Ochsenboden in der Schweiz.

Die Planer der Luftwaffe zeigen auch Interesse an einer Lösung, die Kanone und Lenkflugkörper auf einer Plattform kombiniert. Allerdings hat man solche Systeme bislang eher aus russischer Fertigung gesehen.

Einsatz im Passiv-Modus denkbar

Hinsichtlich der Einsatzdoktrin gibt es auch Überlegungen, wonach  die mobilen Waffenträger ohne Verwendung ihrer eigenen Sensoren im Passiv-Modus eingesetzt werden könnten, um die Entdeckung zu erschweren. Die Zieldaten würden dann aus dem Datenverbund des Führungssystems bereitgestellt. Dabei würde angestrebt, einen Effektor ohne „log on“ zu starten und erst später einem Ziel zuzuweisen. Dafür ist jedoch eine leistungsfähige Anbindung ans Führungssystem erforderlich, die im Rahmen der qualifizierten Fliegerabwehr noch nicht gegeben ist.

Unabhängig davon wie die Entscheidung zur qualifizierten Fliegerabwehr ausfällt, dürfte das Vorhaben wichtige Erkenntnisse hinsichtlich der Detektierbarkeit und Klassifizierung von Kleindrohnen liefern.

Gut informierten Kreisen zufolge wird Rheinmetall bei seinem Angebot auf ein Radar der israelischen Firma Rada zurückgreifen und darüber hinaus einen stabilisierten elektro-optischen Sensor, den Seoss, verwenden. Dieser Sensor mit Infrarot- und Tagsichtkamera sowie einem Laserentfernungsmesser wird offenbar bereits zur Feuerleitung von Panzern eingesetzt.

Erfahrungen in diesem Feld haben bereits eine Reihe von Unternehmen gemacht, die Produkte für den Schutz gegen Drohnen anbieten. So etwa der Münchner Technologie-Konzern Rohde & Schwarz. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben eine Lösung entwickelt, mit der die Funkwellen zur Steuerung eines UAV gepeilt werden können – und das bereits beim Einschalten der Fernsteuerung. Damit könne auch ein Drohnen-Pilot schnell detektiert werden. Das Unternehmen hat überdies eine Datenbank mit elektromagnetischen Signaturen der am Markt verfügbaren Drohnen aufgebaut, die laut Hersteller ständig gepflegt wird. Solche Bedrohungsdatenbanken sind in der Luftverteidigung nicht unüblich.

So greifen etwa die etwa ein Dutzend  Nutzerstaaten des Patriot-Systems auf eine solche gemeinsame Datenbank zurück. Und auch die Bundeswehr hat die Firma IABG GmbH im Rahmen einer Studie zur Abwehr von UAS damit beauftragt, eine Signaturdatenbank zu erarbeiten und zu pflegen. Das geht  aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion Die Linke im Bundestag hervor.

Unternehmen kooperieren bei Drohnenabwehr

Anfliegende Drohnen können bei Bedarf mittels Jamming gestört und vom Kurs abgebracht werden, so Rohde & Schwarz. Wobei laut Hersteller nur die Steuersignale der Drohne blockiert werden, während andere Funktionalitäten, wie etwa die Mobiltelefonie, nicht beeinträchtigt werden.

Der Münchner Konzern hat seine Fähigkeiten zum Schutz gegen Drohnen in das Gesamtsystem Guardian eingebracht, das  zusammen mit der ESG und Diehl entwickelt wurde. In diesem System sind weitere Ansätze zum Aufspüren von Drohnen enthalten, etwa ein Radar sowie Akustik- und Optik-Sensoren. Mit dem Gesamtpaket sollen Schwächen der einzelnen Sensoren kompensiert werden. So ist eine vorprogrammierte Drohne ohne Fernsteuerung und damit ohne Signalabstrahlung durch den Rohde & Schwarz-Ansatz nicht zu erkennen, kann aber mit einem Radar aufgeklärt werden. Mittels Datenfusion der unterschiedlichen Sensoren soll bei Guardian überdies ein verbessertes Lagebild entwickelt werden. Diese Ansätze zur Drohnenaufklärung werden auch von der Luftwaffe mit Interesse betrachtet und könnten womöglich ins Konzept von NNbS mit  einfließen.
lah/27.2.2018

.i.td-icon-menu-up { display: none; }