Im Kampf gegen FPV-Drohnen hat der schwedische Munitionshersteller Norma, der zur Beretta-Holding gehört, eine neue Kaliber-12-Schrotpatrone mit der Bezeichnung Anti-Drone Long Effective Range (AD-LER) entwickelt und getestet. Die Patrone soll eine effektive Abwehr von Kleinstdrohnen ermöglichen, die für den Krieg in der Ukraine kennzeichnend sind.
Die Patrone wurde vor kurzem in einer Testrunde gegen zehn reale FPV-Drohnen (First-Person-View) erprobt, um die optimale Wirkung zu untersuchen. Paul Bradley, Ballistiker, Vertriebs- und Portfoliodirektor bei Hexagon (ein Unternehmen innerhalb von Beretta, das technische Unterstützung leistet und die Handwaffenmunition von Norma, Swiss P und anderen vertreibt), setzte sich mit dem Autor zusammen, um über die Entwicklung der Patrone zu sprechen und die ballistischen Aspekte der Abwehr von FPVs zu erläutern.
„Wir haben festgestellt, dass es nicht viele kosteneffiziente kinetische Lösungen für das FPV-Problem der Landstreitkräfte gibt“, erklärt Bradley. „Flugkörper und Laser sind gut, aber man muss auch die wirtschaftliche Seite der Kriegsführung berücksichtigen, und viele dieser Systeme sind nicht leicht zu transportieren. Es gibt elektronische Mittel, die teilweise wirksam sind und auch funktionieren, aber es ist ein Katz- und Mausspiel. Man kann FPV-Drohnen stören und deren Kontrolle übernehmen, aber der Feind entwickelt in der Regel recht schnell ein Gegenmittel gegen diese Lösung. Deshalb haben wir eine Liste von Anforderungen für eine kinetische Lösung als eine Art letzte Verteidigungslinie erstellt“, führt der Portfoliodirektor bei Hexagon weiter aus.
Die Kategorie der FPV-Drohnen, die Norma mit AD-LER bekämpfen will, wird als 5- oder 7-Zoll-Drohnen (12 bzw. 17,8 cm) bezeichnet, was sich auf den Durchmesser der Propeller bezieht. Sie können einen Rahmen-Durchmesser von über 30 cm haben und werden mittels Virtual-Reality- Brille bei Geschwindigkeiten von über 100 km/h geflogen. In der Ukraine sind sie in der Regel mit Wirkladungen ausgestattet, die eine Splitterwirkung erzeugt, oder mit einem Hohlladungsgefechtskopf wie dem PG-7, um gepanzerte Fahrzeuge anzugreifen. Zunehmend erfolgt die Steuerung auch über ein Glasfaserkabel, was zwar die Reichweite und Nutzlast verringert, aber jeden Versuch, die Steuersignale für die Drohnen zu stören, zunichtemacht.
„Wir haben uns für eine Kaliber-12-Patrone entschieden, weil die Drohnenabwehrlösung leicht und kostengünstig sein muss und eine letzte, schwer zu durchdringende Verteidigungsmöglichkeit bieten soll. Und ich denke, dass der letzte Punkt besonders wichtig ist. Wir versuchen nicht, dieses Problem in seiner Gesamtheit zu lösen, sondern AD-LER soll denjenigen, die nichts gegen FPVs einsetzen können, eine Hoffnung geben, sie zu Fall zu bringen, wenn alles andere versagt hat“, so Bradley.
Bei den Tests Ende November 2024 brachte das Unternehmen den olympischen Trap-Schützen Aaron Heading und zehn speziell angefertigte FPV-Drohnen zusammen, die dem Baustandard der in der Ukraine verwendeten Drohnen entsprechen sollten. Es wurden drei Postengrößen getestet: 4, 6 und 8 – mit einem Durchmesserunterschied von etwa 2 mm bis 3 mm vom größten zum kleinsten. Je kleiner die Zahl, desto größer und schwerer ist jede einzelne Schrotkugel. Eine größere Zahl bedeutet mehr Schrotkugeln pro Patrone, die eine breitere Streuung liefern und die Trefferwahrscheinlichkeit erhöhen, aber die einzelnen Schrotkugeln sind leichter und haben nicht die kinetische Energie einer schwereren Kugel.
„Sportpatronen, die beim Tontaubenschießen verwendet werden, können Bleikugeln und Schrot der Größe 8 verwenden, weil diese Ziele weich und zerbrechlich sind“, erklärt der Ballistik-Experte, „und sie funktionieren gegen handelsübliche Drohnen wie eine DJI Mavic, aber FPVs sind auf Robustheit ausgelegt, also muss man die Munition für dieses Ziel optimieren“, so Bradley weiter.
Norma stellte fest, dass die Schrotkugel der Größe 6 die beste Mischung aus Streuung und kinetischer Wirkung gegen die für ihre Tests gebauten FPV-Drohnen bot. Die Schrotkugel der Größe 8 hätten zwar die größte Chance auf einen erfolgreichen Treffer, hatte aber Mühe, eine FPV-Drohne abzuschießen. „Es ist erwähnenswert, dass alle drei Schussgrößen bei handelsüblichen Drohnen auf Entfernungen von bis zu 80 Metern funktionierten – das ist nicht besonders schwierig“, so Bradley. Die Kaliber-12-AD-LER-Patrone mit Schrot der Größe 6 war mit etwa 350 Schrotkugeln aus einer Wolfram-Matrix geladen. Sie war in der Lage, FPV-Drohnen auf Entfernungen von 30 bis 60 Metern erfolgreich zu bekämpfen. Zuweilen mit dem ersten Schuss, in der Regel aber innerhalb von dreien.
„Wir haben die AD-LER-Patrone gegen zehn FPV-Drohnen getestet, die in verschiedenen Angriffsmustern flogen, und haben neun von ihnen angeschossen“, so Bradley. Die Patronen sind für die M4 Drone Guardian, eine Kaliber-12-Schrotflinte von Benelli, konzipiert, die über einen Choke im Rohr verfügt, der eine gleichmäßigere Garbe auf große Entfernung ermöglicht, sowie für die Beretta 1301. Beide sind halbautomatische Schrotflinten mit einer Magazinkapazität von acht Patronen. Sie können auch mit einem Rotpunktvisier, wie beispielsweise dem MPS von Steiner, ausgestattet werden.
Bedrohungsprofil von FPV-Drohnen
Die Konstruktionsphilosophie einer FPV-Drohne unterscheidet sich stark von der einer handelsüblichen Kamera-Drohne, die in der Regel zur Aufklärung oder zum Abwurf von Munition in der Ukraine und anderswo eingesetzt wird. „FPV-Drohnen werden für Rennen bei hohen Geschwindigkeiten verwendet, sie werden wahrscheinlich irgendwann eine Kollision erleiden und wenn die Propeller oder der Rahmen jedes Mal brechen würden, würden die Leute sie nicht benutzen“, gibt Bradley an.
Aus diesem Grund werden sie aus robusten Kohlefaserrahmen und flexiblem und widerstandsfähigem Material für die Propeller gebaut, im Gegensatz zu Hartplastik, dass bei der Konstruktion eines DJI Mavic vorherrscht. Hartplastik neigt dazu, spröde zu sein, so dass die Bleikugeln aus einer 12er-Sportpatrone die Propeller einer normalen Drohne zerstören könnten, und die Software, die sie zum Fliegen bringt, ist dann nicht in der Lage, die Veränderung des Auftriebs zu berücksichtigen, und die Drohne stürzt ab. „Im Falle eines kleinen Lochs im Propeller einer FPV-Drohne, kann ein erfahrener Pilot die Leistung des Motors anzupassen und die Drohne in der Luft zu halten“, so Bradley.
„Das ist nicht das Einzige, man braucht auch eine Menge kinetische Energie, mehr als man denkt. Die Drohne schwebt in der Luft. Wenn man sie also mit einer Sportpatrone trifft, wird ein Großteil der Energie dazu verwendet, die Drohne zu bewegen, anstatt sie zu durchschlagen“, erklärt er. „Man braucht also ein hartes Geschoss wie die Wolfram-Matrix, die in AD-LER verwendet wird, und eine optimale Garbe, das einen Großteil der Struktur einer FPV-Drohne zerstört.“ Dieses Element eines Einsatzes wird in der Regel als Terminalballistik bezeichnet und beschreibt die Wirkung einer Munition im Ziel. Die Anti-FPV-Lösung wird jedoch auch von der Innenballistik beeinflusst – dem Antrieb eines Geschosses innerhalb der Feuerwaffe. „Wir sind durch verschiedene konstruktive Faktoren in Bezug auf den Gasdruck und Geschwindigkeit der Schrotladung eingeschränkt. Da AD-LER Wolfram verwendet, das viel härter ist als ein typisches Flintenschrot, haben wir auch einen neuen Treibspiegel entwickelt, der die Schrotkugeln auf ihrem Weg durch das Rohr wie ein Becher hält“, führt Bradley aus.
Eine FPV-Drohne kann für kurze Zeit Geschwindigkeiten von bis zu 144 km/h (90 mph) erreichen. Die Drohnen sind im Wesentlichen modular und können so konfiguriert werden, dass sie je nach den Wünschen des Benutzers unterschiedliche Leistungen erbringen. Aber im Allgemeinen folgen sie einer Designspirale. Je schneller die Drohne ist, desto kürzer ist ihre Batterielebensdauer und Reichweite, je langsamer sie ist, desto weiter und länger kann sie fliegen. Mit zunehmender Nutzlast sinken die Reichweite und die Geschwindigkeit der Drohne im Einklang mit der Akkulaufzeit. Auch das Flugprofil spielt eine Rolle: Die Drohnen können sehr wendig sein, aber das belastet die Motoren und die Akkulaufzeit, was zu kürzeren Flugzeiten führt. „Die durchschnittliche Flugzeit in der Ukraine liegt zwischen fünf und sieben Minuten, so dass die FPV-Nutzer recht nah am Kampfgeschehen sein können. Sie werden auch versuchen, eine möglichst wenig komplexe Route zu fliegen, um den Akku zu schonen“, so Bradley. Für den Zweck, FPV-Drohnen mit einer Schrotflinte abzuschießen, bedeutet dies theoretisch, dass der FPV-Pilot irgendwann eine Angriffslinie wählen und ihr folgen muss, was die Möglichkeit bietet, mit einer Schrotflinte zu schießen.
Anmerkung des Autors
FPV-Drohnen haben bereits eine Proliferation in den Nahen Osten erfahren und werden von verschiedenen Gruppen in Syrien und anderswo eingesetzt. In der Ukraine forderten sie auf beiden Seiten des Konfliktes hohe Opferzahlen und bewiesen, dass bei großflächigem Einsatz schwer gepanzerte Fahrzeuge effektiv außer Gefecht gesetzt und zerstört werden können. In der Ukraine konzentrierten sich die Lösungen darauf, so viele Drohnen wie möglich elektronisch zu stören und Fahrzeuge mit zusätzlichen Panzerungsschichten zu versehen, um diese Art von Drohnen abzuwehren. Es gibt neue Lösungen zur Verbesserung der Störung und zur aktiven Bekämpfung von Drohnen aus einem Kampffahrzeug mit Hilfe von Lasern. Für die Infanterie am Boden sind die Möglichkeiten jedoch in der Regel gering: Es ist schwierig, eine FPV-Drohne mit einem Sturmgewehr zu treffen, und wenn dies nicht gelingt, bleibt nur die Möglichkeit, in Deckung zu gehen. An dieser Stelle werden Lösungen mit der Schrotflinte interessant. Die beim Tontaubenschießen erworbenen Schießfertigkeiten lassen sich weitgehend auf das Bekämpfen von FPV-Drohnen übertragen. Westliche Streitkräfte werden wahrscheinlich früher oder später eine mehrschichtige Lösung für kleine Drohnen mit einem kinetischen Element im Kern verfolgen müssen. Neue Patronen wie die AD-LER können einen relativ risikoarmen Weg bieten, um die Überlebenschancen von Infanterieverbänden zu erhöhen.
Autor: Sam Cranny-Evans. Der Beitrag erschien erstmalig am 03.12.2024 in englischer Sprache auf der hartpunkt-Partnerseite Calibre Defence