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Rheinmetall übernimmt Robotik-Spezialisten Provectus

Rheinmetall Canada Inc hat mit Wirkung zum 1. Juni  alle Anteile an der in Ottawa ansässigen Provectus Robotics Solutions erworben. Wie der Mutterkonzern Rheinmetall in einer Meldung weiter schreibt, handelt sich bei Provectus Robotics Solutions um  ein junges Unternehmen, das sich auf die Entwicklung fortschrittlicher Robotersysteme und -software spezialisiert hat.

Rheinmetall hatte zuletzt bei mehreren Anlässen sein unbemanntes Mehrzweckfahrzeug „Mission Master“ präsentiert, das  nach Angaben des Rüstungskonzerns auf Provectus-Technologie basiert und von Rheinmetall Canada für militärische Anwendungen nutzbar gemacht wurde. Der Meldung zufolge wurde Provectus 2010 gegründet und wird auch in der Zugehörigkeit zu Rheinmetall Canada weiterhin unter Führung des bisherigen Geschäftsführers Paul Rocco arbeiten. Presseberichten zufolge soll der Mission Master einem Allrad-Fahrzeug des kanadischen Herstellers Argo sehr ähneln.

Da die autonome Mobilitätstechnologie auch für die Automotive-Sparte von Rheinmetall ein wichtiger Faktor sei, werde der gesamte Konzern von der Expertise von Provectus profitieren, wird Stéphane Oehrli, President und CEO von Rheinmetall Canada, in der Mitteilung zitiert. „Die Automatisierung anderer mobiler Plattformen Rheinmetalls ist eine weitere Innovation, an die wir bereits denken.“

Laut Rheinmetall deuten alle  Anzeichen darauf hin, dass unbemannte Fahrzeuge bei den Landstreitkräften künftig eine immer wichtigere Rolle spielen werden.  Dabei könnten diese Fahrzeuge –  die auch als Unmanned Ground Vehicles oder UGV bezeichnet werden –   unbewaffnet als Logistik- oder Aufklärungsfahrzeuge, aber auch als waffentragende Plattformen eingesetzt werden.

In Kanada will Rheinmetall von der Expertise der Provectus Robotics Solutions insbesondere bei dem derzeit in Realisierung befindlichen Großvorhaben ISTAR der kanadischen Streitkräfte profitieren. Das Akronym steht für Intelligence, Surveillance, Target Acquisition and Reconnaissance. Auch in Deutschland hat Rheinmetall den Mission Master bereits bei mehreren Gelegenheiten vorgestellt. Zuletzt beim Tag der Infanterie in Hammelburg, wie Teilnehmer berichten. Bei der Veranstaltung waren auch andere Hersteller mit ihren UGVs in der Version als Lastenträger präsent. Darunter befanden sich Hippo mit dem  8X8-Fahrzeug ATSV, Milrem Robotics mit ihrem THeMIS auf Kettenbasis, der von der israelischen Firma Roboteam entwickelte zweiachsige Probot sowie Diehl mit dem Kleinfahrzeug Ziesel.

Die Demonstration in Hammelburg dürfte auf das gestiegene Interesse des Heeres an der Nutzung von UGVs für den infanteristischen Einsatz zurückzuführen sein. Wie es heißt, könnten bei der VJTF 2027 womöglich von der Bundeswehr derartige Fahrzeuge eingesetzt werden. Um einen Überblick über den Markt und die Fähigkeiten der derzeit erhältlichen UGVs zu erhalten, soll offenbar das Fraunhofer  Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie (FKIE) für die Bundeswehr im September einen Vergleichstest mit verschiedenen Anbietern organisieren. Insider vermuten, dass dabei auch Anforderungen für die spätere Beschaffung von UGV erarbeitet werden sollen. Denn schon bei den in Hammelburg gezeigten Fahrzeugen wurde die Vielfalt des Angebotes deutlich. Dieses zeigte sich in unterschiedlichen Antriebskonzepten, Steuerung, Zuladung,  Eigengewicht  sowie Marktreife. Und auch die Truppe muss sich zunächst darüber klar werden, welche Fähigkeiten sie benötigt.

Ein großes Fragezeichen steht auch noch hinter der zukünftigen Antriebstechnologie. Zwar werden nicht wenige UGVs mit Batterie und Elektromotor angeboten, was aus taktischen Gründen aufgrund der geringen Geräuschemissionen sinnvoll ist. Allerdings konnte die zivile Automobilwelt bislang nicht beweisen, dass E-Mobilität  für breite Anwendungen taugt. Für den militärischen Einsatz dürften sich das langwierige Laden von Batterien im Feld und der geringe Wirkungsgrad von so genannten Range-Extendern auf Basis von Verbrennungsmotoren äußerst ungünstig auswirken.

Ein wesentlicher Baustein für den Erfolg von UGVs stellt darüber hinaus die Sensorik und Steuerung dar. Je mehr Autonomie das Fahrzeug besitzt, desto höher der Nutzwert für die Truppe. Nicht zuletzt um Zugriff auf diese Schlüsseltechnologie zu haben, dürfte Rheinmetall die Firma Provectus Robotics Solutions erworben haben. Wie es laut Mitteilung heißt, ermöglicht das Softwarepaket von Provectus „die Umwandlung nahezu aller Bodenfahrzeuge in eine äußerst vielseitige mobile Roboterplattform durch autonome Fahrfunktionen“. Die unbemannten Bodenfahrzeuge von Provectus wurden den Angaben zufolge bereits in verschiedenen Anwendungen eingesetzt, wie zum Beispiel in der Geländeabsicherung, der Kampfmittelentschärfung und der Weltraumforschung.

Die Bedeutung von Steuerungssoftware für das autonome Fahren sieht offenbar auch der deutsche Technologiekonzern Diehl und hat entsprechende Entwicklungen eingeleitet. Gut informierten Kreisen zufolge wurden vom Unternehmen bereits mehrere Plattformen mit der eigenen Steuerungstechnik ausgestattet und getestet. Dazu zählen der Radschützenpanzer von Patria, militärische Lastkraftwagen sowie das Ketten-UGV von Milrem. Gegenwärtig soll dem Vernehmen nach das Kleinkettenfahrzeug Ziesel des österreichischen Herstellers Mattro mit Diehl-Technologie für Tests bestückt werden. Der Vorteil dieses Ansatzes liegt darin, dass Diehl sein Produkt unabhängig vom Plattformanbieter verkaufen kann. Ein Nutzer – wie etwa das Deutsche Heer – würde wiederum davon profitieren, dass er idealerweise verschiedene Kampf- und Transportfahrzeuge mit einer Software-Familie ausstatten kann. Das würde – vorausgesetzt das Konzept funktioniert – Kosten sparen und erhebliche Synergien hinsichtlich der Kompatibilität schaffen.

Das Thema UGV ist auch bei den neuen EU-Initiativen zur Verteidigung aufgegriffen worden. Dabei soll im Rahmen des European Defence Industrial Development Programme (EDIDP) ein „Multipurpose architecture for unmanned ground systems and solutions for systems integration and mannedunmanned teaming“ (MUGS) von mehreren Partnern entwickelt werden. Interessierte Konsortien werden zur Angebotsabgabe aufgefordert. Teil eines solchen Konsortiums soll dem Vernehmen nach auch Diehl sein.
lah/26.7.2019

 

 

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