Die US-Streitkräfte wollen ab dem Jahr 2026 weitreichende Waffensysteme vom Typ Tomahawk, SM-6 und eine sich in Entwicklung befindliche Hyperschall-Rakete des Typs Dark Eagle zeitweise in Deutschland stationieren. Dies geht aus einer gestern vom Weißen Haus veröffentlichten gemeinsamen Erklärung der amerikanischen und deutschen Regierung hervor. Die periodische Verlegung der im Rahmen einer Multi-Domain Task Force (MDTF) genutzten Waffensysteme nach Deutschland gehe der Planung zur dauerhaften Stationierung in der Zukunft voraus, heißt es weiter. Diese Waffen werden den Angaben zufolge über deutlich größere Reichweite als die derzeitigen landgestützten Systeme in Europa verfügen.
Die Beübung dieser fortgeschrittenen Fähigkeiten verdeutlichen den Angaben zufolge die Verpflichtung der Vereinigten Staaten von Amerika zur NATO sowie ihren Beitrag zur integrierten europäischen Abschreckung.
Verteidigungsminister Boris Pistorius zeigte sich heute im Gespräch mit dem Deutschlandfunk erleichtert über die Entscheidung der USA, wieder Langstreckenwaffen in Deutschland zu stationieren. Damit werde eine ernstzunehmende Sicherheitslücke bei der Verteidigung des NATO-Bündnisgebietes geschlossen, sagte der SPD-Politiker.
Die U.S. Army ist gegenwärtig dabei, weltweit fünf sogenannte Multi-Domain Task Forces (MDTF) aufzustellen und auszurüsten. Eine ihrer Hauptaufgaben soll die Bereitstellung weitreichenden Artilleriefeuers auf Basis von Raketen und Marschflugkörpern der im Statement genannten Kategorien sein. Darüber hinaus verfügt eine MDTF auch über Luftverteidigungskapazitäten.
Stationierung der 2nd Multi-Domain Task Force in Deutschland
Der Beginn der Aufstellung der 2nd MDTF erfolgte 2021. Absicht des US-Heeres war es jedoch nur, das Hauptquartier sowie einzelne Truppenelemente in Deutschland zu stationieren, während wesentliche Wirk-Elemente des Verbandes in Fort Drum, New York, aufgestellt werden sollten – darunter das Long-Range Fires Battailon und das Air Defense Battailon. Wie aus der gestrigen Mitteilung hervorgeht, werden diese in den USA angesiedelten Verbände offenbar langfristig nach Deutschland verlegt.
Raketensysteme der Multi-Domain Task Force
Die 2nd MDTF soll die US-Truppen in Europa und Afrika unterstützen. Die in der Wiesbadener Clay-Kaserne beheimatete MDTF verfüg seit der Aktivierung im Jahr 2021 über Komponenten für Intelligence, Cyperspace, Electronic Warfare sowie Space. Dazu kommt eine Unterstützungskompanie, welche jüngsten US-Fachmedienberichten zufolge auf die Größe eines Bataillons verstärkt werden soll. Die volle Einsatzfähigkeit wird den Planungen zufolge im Fiskaljahr 2025 erreicht, mit der Ausnahme des Long-Range Fires Battailons, welches wohl erst 2026 voll einsatzfähig sein wird. Grundsätzlich ist die Struktur einer MDTF noch nicht abschließend festgelegt und kann je nach Bedarf und Einsatzgebiet variieren.
Die untere Reichweitengrenze ihrer Waffensysteme wird voraussichtlich die SM-6 sowie die Precision Strike Missile (PrSM) darstellen, die auf Ziele in einer Entfernung von mehr als 500 km eingesetzt werden kann. Die obere Reichweitengrenze wird von der in Entwicklung befindlichen Long-Range Hypersonic Weapon (LRHW) – im US-Heer unter der Bezeichnung Dark Eagle geführt – dargestellt, die bei über 2.000 Kilometern liegt.
Bislang von der U.S. Army veröffentlichten Organisations-Charts zufolge, soll das Strategic Fires Battalion einer MDTF über eine HIMARS Battery, eine Mid-Range Capability Battery und eine Long Range Hypersonic-Weapon Battery verfügen. Die PrSM kann mit HIMARS verschossen werden, wobei das US-Fachportal Defense News im April 2024 mit Verweis auf interne Army-Dokumente berichtete, dass die Mid-Range Capability Battery und die Long Range Hypersonic-Weapon Battery zu einem Long-Range Fires Battailon konsolidiert werden sollen.
Die in der gestrigen Ankündigung genannten Tomahawks und SM-6 würden demnach von der Mid-Range Capability Battery eingesetzt. Beide Waffensysteme wurden bislang von der U.S. Navy genutzt. Um sie für den Boden-Boden-Einsatz zu ertüchtigen, wird der von Lockheed Martin mit der Bezeichnung MK 70 Mod 1 entwickelte Missile Launcher verwendet. Er enthält in einem 40-Fuß-Container vier der Zellen des auf Schiffen eingesetzten Mk 41 Vertical Launch System in der größten Variante, der Strike-Version. Der Mk 41 wurde ebenfalls von Lockheed Martin entwickelt. Eine Mid-Range Capability Battery könnte aus vier Launchern und einem Operations Center bestehen. Das gesamte System wird als Typhon bezeichnet.
SM-6
Bei der SM-6 handelt es sich um eine relativ neue von Raytheon hergestellte Boden-Luft-Rakete großer Reichweite für die Navy, mit der Flugzeuge, Marschflugkörper bis hin zu ballistischen Raketen in ihrem Endanflug bekämpft werden können. Der neuesten Variante der SM-6 werden überdies Fähigkeiten bei der Abwehr von Hyperschallflugkörpern zugeschrieben. Die Waffe kann in Kooperation mit anderen Aufklärungsflugzeugen auch „Over the Horizon“, also außerhalb des Radarhorizonts von Schiffen, eingesetzt werden. Entsprechende Versuche sind dokumentiert. Wie die SM-6 von der Army geführt werden soll, geht aus dem Statement des Weißen Hauses allerdings nicht hervor. In der Navy wird dazu typischerweise ein AEGIS-Radar im S-Band genutzt. Im Endanflug kann die SM-6 ihren eigenen Radarsuchkopf verwenden.
Bei Bedarf kann die Rakete auch gegen Schiffe eingesetzt werden, wobei die Wirkung wegen des im Vergleich zu klassischen Seezielflugkörpern kleineren Gefechtskopfes begrenzter sein dürfte. Offenbar will das US-Heer die SM-6 im Rahmen der Long Fires in ihrer Zweitrolle als Flugkörper gegen Landziele einsetzen. Welche Gründe dafürsprechen, wurde bisher nicht kommuniziert.
Tomahawk
Bei der Tomahawk handelt es sich um einen seit Jahrzenten im Einsatz befindlichen und ständig weiterentwickelten großen Unterschall-Marschflugkörper, der eine Reichweite von über 1.000 Kilometer aufweist und von der Navy in der Vergangenheit in vielen Konflikten gegen Landziele eingesetzt wurde.
Die U.S. Army hat sich offenbar für die Umnutzung dieser Standard-Waffen der Marine für den Boden-Boden-Einsatz entschieden, um Kosten und Risiken bei der Einführung von Long Range Fires zu reduzieren.
Dark Eagle
Die modernste Waffe im Arsenal der Multi-Domain Task Force stellt die Long-Range Hypersonic Weapon (LRWH) mit dem Namen Dark Eagle von Lockheed Martin und Northrop Grumman da, die sich allerdings noch in der Entwicklung befindet. Laut einem Bericht des Congressional Research Service soll die Reichweite der Dark Eagle bei mehr als 2.500 Kilometern liegen. An der Boden-Boden-Hyperschallwaffe mit einer Geschwindigkeit von über Mach 5 arbeiten die Navy und Army gemeinsam. Allerdings hat sich das Programm in den vergangenen Jahren aufgrund von Problemen bei den Tests verzögert. Zuletzt wurde am 28. Juni ein erfolgreicher Flugtestet auf Hawai absolviert. Die Kosten für eine Dark Eagle Hyperschallwaffe werden auf rund 40 Millionen US-Dollar kalkuliert.
Nach Aussage von Verteidigungsminister Pistorius im Deutschlandfunk wird auch Deutschland nicht darum herumkommen, in entsprechende Langestreckenwaffen zu investieren. Ende Juni hatte der Minister angekündigt, auf dem gegenwärtig in Washington stattfindenden NATO-Gipfel eine Gruppe von europäischen Staaten zusammenzubringen, die sich darauf verständigen, gemeinsam die Fähigkeitslücke bei Abstandswaffen großer Reichweite zu schließen.
Lars Hoffmann