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Patentanwalt soll Licht ins Dunkel bringen

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Das Verteidigungsministerium hat nach eigenen Angaben einen unabhängigen Patentanwalt mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, auf dessen Basis das weitere Vorgehen beim Vergabeverfahren für ein neues Sturmgewehr als Nachfolger des G36 bewertet werden soll. Wie das BMVg in einer Mitteilung weiter schreibt, wird die Vergabestelle des Bundes „mit Vorlage des Gutachtens in eine Neubewertung der Angebote unter Berücksichtigung aller Aspekte eintreten“. Erst danach könne das Vergabeverfahren fortgeführt werden. Über mögliche Zeitpläne macht das Ministerium keine Angaben.

Hintergrund des Vorgehens ist ein Patentrechtsstreit zwischen den Firmen Heckler & Koch (H&K) und C.G. Haenel. Letztere hatte zunächst im Wettbewerb um die G36-Nachfolge den Zuschlag erhalten. Daraufhin rügte H&K als unterlegener Bieter das Verfahren mit Hinweis auf den Patentrechtsstreit und war danach vor die Vergabekammer des Bundes gezogen. Die eingeleiteten Prüfungen führten zum Ergebnis, dass eine entsprechende Patentrechtsverletzung durch den Bieter C.G. Haenel zulasten des Bieters Heckler und Koch nicht auszuschließen sei. Daraufhin hob die Vergabestelle des Bundes am 9. Oktober die Zuschlagserteilung an die Firma C.G. Haenel auf.

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„Diese Vorgehensweise stellt keine Aufhebung des gesamten Vergabeverfahrens dar“, schreibt das BMVg in seiner Mitteilung. Das Verfahren sei wieder in den Stand „Angebotswertung“ versetzt worden. Nach Aufarbeitung des bisherigen Vergabeverfahrens stellt das Ministerium fest, „dass das Gebot der Gleichbehandlung der Bieter sichergestellt war. Auch die weiteren vergaberechtlichen Grundsätze von Wettbewerb und Transparenz wurden eingehalten.“ Die Aufarbeitung habe in der Patentrechtsfrage jedoch noch keine eindeutige Klärung erbracht.

Aus den Angaben des BMVg geht auch hervor, dass nach Abgabe des letztverbindlichen Angebots (BAFO) der beiden Wettbewerber keine Nachverhandlungen stattgefunden haben, wie mitunter in der Presse spekuliert wurde. Nach dem BAFO gilt grundsätzlich ein Verhandlungsverbot.

„Eine Aufklärung, die sich darauf beschränkt, widersprüchliche Angaben in den Angeboten aufzuklären, die eine Wertung des Angebots unmöglich machen, ist jedoch zulässig und geboten“, schreibt das Ministerium zur Erläuterung.  Bei Widersprüchen in den Angaben eines Bieters im Angebot dürfe dieser nicht sofort ausgeschlossen werden. Ein Ausschluss eines Angebots aus rein formalen Gründen sei nach der Rechtsprechung möglichst zu vermeiden.

Aufklärungsschreiben nach BAFO

Deshalb richtete das Beschaffungsamt BAAINBw den weiteren Angaben zufolge mehrere Aufklärungsschreiben jeweils an beide Bieter, um Rechenfehler und Ungenauigkeiten sowie Widersprüche auszuräumen. „Das BAAINBw stellte zudem fest, dass bezüglich der STANAG-Schienen, d.h. NATO-weit genormter Montageschienen für Zubehör von Handfeuerwaffen, sowie der dazugehörigen Abdeckungen keine vergleichbaren Angebote eingegangen waren, auch, weil möglicherweise die Vergabeunterlagen des BAAINBw Missverständnisse hervorgerufen hatten“, so das Ministerium weiter.

In Abwägung der bestehenden Handlungsalternativen mit den rechtlichen Risiken einer Kommunikation nach BAFO habe das BAAINBw in Abstimmung mit der Rechts- und Fachaufsicht im Ministerium daher entschieden, dass statt einer Aufhebung oder eines Ausschlusses beiden Bietern die Gelegenheit zur Aufklärung gegeben werden soll.

Außerdem wurden laut BMVg beide Bieter darüber informiert, dass eine Änderung der Preisstände der Angebote erforderlich sei, da in der 25-Mio-Vorlage  an den Haushaltsausschuss über den abzuschließenden Rahmenvertrag der Preisstand 12/2019 anzugeben ist. Die Angebote enthielten jedoch den Preisstand für die geplante Serienlieferung 12/2022. Beide Anbieter hätten der Änderung des Preisstandes zugestimmt.

Nach Auswertung aller Unterlagen kam das BAAINBw zu dem Ergebnis, dass die Firma Haenel das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hatte. Darüber wurden Heckler & Koch am 15. September 2020 gemäß informiert. Heckler & Koch rügte dies unter anderem mit Bezug auf angebliche Patentverletzungen bezüglich eines Magazins und der „Over-the-Beach“-Fähigkeit durch die Firma Haenel. Das Patent bezieht sich unter anderem auf spezifische Bohrlöcher an der Waffe sowie auf Konstruktionsmerkmale von Verschluss und Magazinschacht, die sicherstellen sollen, dass Wasser schnell aus dem Gewehr abläuft und damit schussfähig wird.

„Ob und inwieweit tatsächlich die Konstruktion der Waffe von Haenel in den Schutzbereich eines Patents von Heckler & Koch eingreift oder ob die behauptete Patentverletzung hinsichtlich des Magazins vorliegt, war durch das BMVg und das BAAINBw zu diesem Zeitpunkt nicht abschließend zu klären“, schreibt das Ministerium.  Die Bieter hatten laut BMVg im Rahmen ihrer Angebote angegeben, dass ihnen keine den Gegenstand des Angebots berührenden Schutzrechte Dritter bekannt seien.

Ende September 2020 habe Heckler & Koch einen Nachprüfantrag bei der Vergabekammer gestellt und darin im Wesentlichen erneut die Punkte aus der Rüge und schwerpunktmäßig die angebliche Verletzung eines Patents von Heckler & Koch vorgebracht. „Da auf der Grundlage einer durch das BAAINBw vorgenommenen patentrechtlichen Bewertung eine Patentrechtsverletzung durch die Firma Haenel nicht ausgeschlossen werden kann, hat das BAAINBw in Abstimmung mit dem BMVg am 9. Oktober 2020 entschieden, den Bescheid an den unterlegenen Bieter vom 15. September 2020 an Heckler & Koch für gegenstandslos zu erklären und das Verfahren wieder in den Stand „Angebotswertung“ zu versetzen.“

Neue Kommission wird gebildet

Das Verteidigungsministerium hat auch bereits Schlüsse aus dem Vorgang gezogen. So müssten bereits zu Beginn eines Verfahrens Bieter noch deutlicher darauf hingewiesen werden, auch mittelbar betroffene Schutzrechte bzw. Patente und vorhanden Lizenzen in Bezug auf den Auftragsgegenstand anzugeben. „Ergeben sich darüber hinaus Anzeichen im laufenden Verfahren, dass Patentrechte betroffen sein könnten, ist dem seitens der Vergabestelle nachzugehen.“

In der Prüfung sei auch deutlich geworden, dass die Unterlagen, die die Vergabestelle für die Einleitung des BAFO verwendet hatte, nicht so klar den erwarteten Gegenstand der Befüllung fassten, wie dies zur Vermeidung von Missverständnissen auf Seiten des Bieters notwendig gewesen wäre.

Um Risiken im Vergabeverfahren weitgehend zu vermeiden, sei alles daran zu setzen, derartige Nachfragebedarfe zu minimieren, unterstreicht das Ministerium. Dazu gehöre auch die Anpassung der amtlichen Unterlagen zum Vergabeverfahren, mit denen Preise und Leistungen abgefordert werden.

Weitere Schritte in der Qualitätssicherung sollen zukünftig die grundsätzlich in jedem Vergabeverfahren immanenten Risiken weiter minimieren. „Dazu wird in Zukunft in der Auswertung von Vergabeverfahren von mehr als 25 Mio. Euro, die im Wettbewerb vergeben werden, eine unabhängige Bewertungskommission im BAAINBw gebildet.“

Diese Kommission soll aus technischen, betriebswirtschaftlichen und juristischen Experten bestehen, die in dem jeweiligen Vergabeverfahren bislang nicht involviert waren. Sollte sich bei der Überprüfung eindeutig ergeben, dass aufgrund von Unklarheiten der von den Bietern als BAFO eingereichten Unterlagen kein Angebot zuschlagsfähig sei, bestehe die Möglichkeit, das Vergabeverfahren wieder in den Zustand vor Eingang des BAFO zurückzuversetzen und damit risikobehaftete Nachfragen zu vermeiden.
lah/12/27.10.2020