Neben der Entwicklung der Drohnenkriegsführung steht der technische Fortschritt in der Wärmebildtechnik exemplarisch für die technologischen Trends im Ukrainekrieg. Fortschritte in der Produktionstechnik sowie Skalierungseffekte – die Technologie setzt sich seit mehreren Jahren auch außerhalb des militärischen Nutzungsbereichs durch – der letzten fünfzehn Jahre haben sowohl zu einer Miniaturisierung, als auch Preissenkungen von Wärmebildoptiken geführt. Im Ukraine-Krieg ist sowohl der plattformgebundene (Gefechtsfahrzeuge und Drohnen) als auch plattformungebundene (Handwaffenoptronik und handgehaltene Optiken) Einsatz der Wärmebildtechnik bei beiden Kriegsparteien weit verbreitet, wie man anhand zahlreicher im Netz verfügbarer Bilder und Videos erkennen kann. Richtig eingesetzt, kann diese Technologie zu einem signifikant besseren Situationsbewusstsein der Truppe und folglich zu einem höheren Schutz führen.
Der plattformgebundene Einsatz der Wärmebildtechnologie – beispielsweise in Kampf- und Schützenpanzern – ist nicht neu und erfolgt seit jeher tageszeitunabhängig. Denn Richtschützen und Kommandanten stellten bereits kurz nach Einführung der Technologie in die Gefechtsfahrzeuge fest, dass Wärmebildgeräte nicht nur die Nachtkampffähigkeit sicherstellen, sondern auch Vorteile bei der Detektion von Gefahren und Zielen am Tag bieten. So lassen sich beispielsweise optisch getarnte Feindfahrzeuge oder Soldaten mittels Wärmebildtechnik viel früher und einfacher aufklären.
In einem zweiten Schritt wurde die Wärmebildtechnik in den 2000er Jahren dazu genutzt, um moderne Fahrersichtsysteme zu entwickeln, so dass die Vorteile der Technologie nicht nur dem Richtschützen und Kommandanten vorbehalten blieben. Jedoch war die Nutzung solcher Fahrersichtsysteme zumeist auf moderne Kampf- und Schützenpanzer beschränkt. Bilder aus der Ukraine zeigen nun, dass solche Systeme nun auch vermehrt auch auf älteren Mustern sowie anderen militärischen Fahrzeugen zum Einsatz kommen, die man nicht üblicherweise an der vordersten Front vermuten würde.
Insbesondere die Nutzung auf Fahrzeugen, die mit Abstand zur Front eingesetzt werden, lässt die Vermutung zu, dass die Systeme weniger der Zielaufklärung oder Herstellung der Nachtsichtfähigkeit ohne den Einsatz von Scheinwerfern dienen als vielmehr dem Schutz der Besatzung und dem Fahrzeug, mit dem potenzielle Bedrohungen früher und einfacher aufgeklärt werden können, als dies mit bloßem Auge möglich wäre.
Besonders deutlich sieht man das am Beispiel des schweren 203mm-Artilleriesystems vom Typ 2S7 Pion. Solche Systeme werden gemäß taktischen Grundsätzen der Artillerie üblicherweise 10 bis 15 hinter dem eigentlichen Frontverlauf eingesetzt. Die nachträgliche Einrüstung eines Wärmebildsichtsystems auf ein solches Fahrzeug deutet darauf hin, dass es primär dem besseren Lagebewusstsein in der unmittelbaren Umgebung des Fahrzeuges und somit dem Schutz der Besatzung dienen soll.
Neben der gegnerischen Artillerie und Einweg-Kampfdrohnen stellen eingesickerte feindliche Jagdkommandos und Sabotagetrupps die Hauptbedrohung für im rückwärtigen Raum eingesetzte Truppenteile dar. Genau hier kommt die Wärmebildtechnologie als Schutzfaktor zum Tragen. Solche Systeme nehmen bereits geringe Temperaturunterschiede war und können so in den Büschen oder Trümmern lauernde Feindtruppen deutlich früher erkennen, als dies mit bloßem Auge möglich wäre. Gleiches gilt für am Straßenrand „geparkte“ Einweg-Kampfdrohnen, die für die Fahrzeugbesatzung anders kaum wahrnehmbar wären.
Mit zunehmendem technologischem Fortschritt im Bereich der künstlichen Intelligenz ist es zudem erwartbar, dass die Klassifizierung aufgeklärter Wärmequellen in Bedrohung oder Nicht-Bedrohungen zukünftig einfacher erfolgen wird. Was den Nutzen von Wärmebild-Sichtsystemen noch weiter steigern dürfte.
Ableitung
Die Wärmebildtechnologie trägt bereits seit Jahrzehnten zur Steigerung der Wirkung (Zielaufklärung) von Kampf- und Schützenpanzern bei. Zudem sind Wärmebildgeräte dazu geeignet, einen Beitrag zum besseren Lagebewusstsein der Besatzung beizutragen. Die drastische Kostensenkung der Technologie führt dazu, dass Wärmebildgeräte auch in der Breite zur Anwendung kommen können, so dass zukünftig jegliches militärische Fahrzeug – egal ob Kampfpanzer oder Logistik-Lkw – mit solchen Sichtsystemen ausgestattet werden sollte.
Waldemar Geiger