Seit Anfang April führen die Streitkräftebasis und seit dem Mitte Mai das Deutsche Heer ein neues Battle Management System (BMS) als Ersatz für das veraltete Führungs- und Informationssystem Heer ein. Als erster Großverband wird die Panzergrenadierbrigade 37 „Freistaat Sachsen“ mit dem BMS ausgestattet, um die neue Technik bereits im Rahmen der Very High Readiness Joint Task Force“ (VJTF) 2023 nutzen zu können. Am heutigen Dienstag besuchte der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, den offiziellen Rollout des Vorhabens am Standort der Brigade in Frankenberg.
Die Bundeswehr als Anlehnungspartner für die Streitkräfte anderer Nationen müsse eine Führungsfähigkeit im internationalen Kontext und einen bruchfreien Austausch von Daten und Informationen sicherstellen, betonte Mais in seinem Statement vor den anwesenden Soldaten, Industrievertretern und Journalisten. Dazu wird seinen Worten zufolge das Battle Management System beitragen. Der Heeresinspekteur wies überdies darauf hin, dass sich die Abläufe auf dem Gefechtsfeld beschleunigen und der so genannte Fog of War zunimmt. Durch eine Digitalisierung der Aufklärungs- und Führungsmittel müsse gewährleistet werden, „dass wir schneller, präziser, möglicherweise Kräfte schonender, sicherer unseren Auftrag erfüllen“, sagte Mais. Dabei handele es sich um den zweiten Treiber, der hinter der Digitalisierung der Landstreitkräfte stehe. Die Einführung des softwarebasierten BMS sei ein erster Schritt dorthin.
Der Inspekteur des Heeres macht sich in Frankenberg ein Bild vom Rollout des neuen Battle Managment Systems. Foto: Bundeswehr
Das neue BMS basiert auf der Software SitaWare, die vom dänischen Unternehmen Systematic entwickelt wurde und bereits von zahlreichen Armeen verwendet wird. SitaWare kann auf einer digitalen Karte unter anderem die eigene Position und die verbündeter Einheiten angeben. Die Bundeswehr nutzt sowohl die für Gefechtsstände ausgelegte Version SitaWare Headquarters mit einer begrenzten Anzahl von Lizenzen als auch die in Fahrzeugen verwendete SitaWare Frontline. Die Zufriedenheit mit den Produkten scheint groß zu sein. Denn das BMVg plant gut informierten Kreisen zufolge, eine Generallizenz für SitaWare Headquarters zu erwerben. Dem Vernehmen nach wurden die entsprechenden Vorlagen bereits gezeichnet. Da die Kosten für den Erwerb unter 25 Mio EUR liegen dürften, würde eine parlamentarische Befassung entfallen. Dem Vernehmen nach wurde die Software bereits im Rahmen der Unterstützung bei der Corona-Pandemie von der Bundeswehr mit Erfolg eingesetzt.
Neues Systemzentrum Digitalisierung geplant
Nach Aussage von Inspekteur Mais, hat das ABC-Abwehrbataillon 750 bereits vor einigen Wochen als erste Einheit damit begonnen, das BMS einzurüsten. Das Heer folge nun. Über die Einführungsorganisation für das BMS in Munster wolle man den Einstieg in ein neues Systemzentrum zur Digitalisierung der Landstreitkräfte schaffen, kündigte der General an. Das Heer habe dafür einen Konzeptentwurf erstellt. Nach der Abstimmung des Konzeptes mit dem Bereich CIR sei die Vorlage im BMVg geplant, das die finale Genehmigung zur Umsetzung erteilen müsse.
Mais zeigte sich zuversichtlich, dass das neue BMS bis zum Jahresende bis hinunter auf die Fahrzeugebene ausgerollt werden kann. Denn im kommenden Jahr soll die Panzergrenadierbrigade 37 mit ihren für die VJTF 2023 angegliederten Einheiten mit der Ausbildung und der nationalen Zertifizierung beginnen. 2022 folgt dann der NATO-Zertifizierungsprozess.
Im Gefechtsstand werden gehärtete Laptops für die Darstellung der Karten des BMS genutzt. Foto: Bundeswehr
Die Herausforderung besteht im Augenblick darin, die für das BMS erforderliche Hardware in die zahlreichen für die VJTF vorgesehenen Fahrzeugvarianten einzurüsten und eine Musterintegration abzuschließen. Während dies beispielsweise für den Spähpanzer Fennek erfolgt ist, steht die Musterintegration für den Kampfpanzer Leopard 2A7V, den Minenräumpanzer Keiler und den Schützenpanzer Marder noch aus.
Vorgesehen ist, für die VJTF-Truppenteile die eingeführten analogen Funkgeräte beizubehalten und um einen Kommunikationsserver für die Datenübertragung zu ergänzen. Darüber hinaus wird noch ein digitaler Bildschirm benötigt. Nicht nur die Einheiten des Heeres benötigen diese Technik, auch die für die VJTF vorgesehenen Anteile etwa der Streitkräftebasis und der Sanitätstruppe müssen auf den benötigten Stand gebracht werden. Eine Vorreiterrolle übernimmt dabei wie beschrieben die ABC-Abwehr, die bereits Fahrzeuge umgerüstet hat. Dabei liegt die Tücke mitunter im Detail: So muss die BMS-Hardware etwa in der neuesten Version des geschützten Transportfahrzeuges Eagle aufgrund von veränderten Bauräumen anders verstaut und damit neu zertifiziert werden. Die Streitkräftebasis steuert für die VJTF unter anderem eine ABC-Abwehrkompanie mit insgesamt 69 Fahrzeugen bei. Für eine Reihe der verwendeten Baumuster steht noch eine Musterintegration aus, die mindestens vier Monate dauern dürfte.
Systematic schult Anwender der Bundeswehr
In der Kaserne in Frankenberg schult der Hersteller Systematic gegenwärtig 335 Soldaten in 35 Durchgängen an der SitaWare-Software, damit diese später unter anderem als Ausbilder tätig werden können. An den Trainings nehmen laut Systematic auch 17 IT-Entwickler teil. Denn die Bundeswehr erhalte das Recht, bestimmte Applikationen selbst zur programmieren und zu nutzen.
Neben dem BMS hat die Truppe als Bedarf für die VJTF 2023 noch weitere Rüstungsvorhaben als dringlich eingestuft. Während offenbar der größte Teil der Wünsche erfüllt wird, deuten sich bei zwei Vorhaben Verzögerungen an: So liegt das Luna-Nachfolgesystem HUSAR zur Aufklärung aus der Luft hinter der Zeitachse zurück, wie Heeresinspekteur Mais erläuterte. HUSAR soll das Kleinfluggerät Zielortung ersetzen. Als zweites Projekt könne womöglich die so genannte qualifizierte Fliegerabwehr für die VJTF kippen. Dann müsste ein NATO-Partner diese Aufgabe übernehmen. Wie es aus Bundeswehr-Kreisen heißt, würde jedoch diese neue Fähigkeit einfach später eingeführt.
Auch der Einsatz von zwei Kompanien des Schützenpanzers Puma für die VJTF 2023 ist offenbar noch nicht in Stein gemeißelt. Wie zu vernehmen ist, muss die Industrie bei umfangreichen Tests im Sommer zunächst nachweisen, dass sie das Fahrzeug technisch beherrscht. Eventuelle Nachbesserungen könnten dann noch bis Anfang des kommenden Jahres erfolgen. Erst danach soll die finale Entscheidung über die Teilnahme an der VJTF erfolgen. Fällt das Ergebnis negativ aus, müsste die Truppe mit dem dann über 50jährigen Marder ins digitale Zeitalter fahren.
lah/26.5.2020