Das britische Verteidigungsministerium hat in Zusammenarbeit mit MBDA UK auf einem Testgelände in Schweden den ersten gesteuerten Abschuss eines Flugkörpers vom Typ SPEAR von einem von BAE Systems betriebenen Kampfflugzeug Typhoon, so der britische Name für den Eurofighter, aus durchgeführt und damit einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Integration des Waffensystems in die F-35B erreicht.
Wie MBDA in einer Pressemitteilung vom 19. November mitteilt, wurden bei dem Versuch der Abschuss, das Erfassen und die Steuerung des Flugkörpers im freien Flug über große Entfernungen demonstriert, nachdem ein SPEAR-Flugkörper (Selective Precision Effects At Range) in großer Höhe und mit hoher Geschwindigkeit von einem Typhoon abgefeuert wurde. Der Flugkörper navigierte anhand vordefinierter Wegpunkte autonom zum Zielort und nutzte dann sein Radar, um das Zielgebiet zu kartieren, bevor er auf den hochfrequenzbasierten Suchkopf umschaltete, um das Ziel zu bekämpfen.
„Diese Erprobung war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Einführung von SPEAR in Großbritannien, wo es eine neue Fähigkeit zur Bekämpfung der komplexesten Luftverteidigungssysteme bieten wird“, erklärte Matthew Brown, SPEAR-Teamleiter bei Defence Equipment and Support (DE&S), einer Abteilung des britischen Verteidigungsministeriums.
Dem gelenkten Abschuss gingen eine Reihe von Boden- und Flugversuchen voraus. Im Januar 2021 erhielt MBDA einen Vertrag über die Produktion von SPEAR-Flugkörpern im Wert von 550 Millionen Pfund (650 Millionen Euro) und bereits in 2019 einen separaten Vertrag für die Integration des Flugkörpers in die F-35. Bei der Ankündigung des Vertrags für 2021 gab MBDA an, dass die gesteuerten Abschüsse von einem Typhoon innerhalb von 18 Monaten beginnen würden, was auf einen Starttermin im Juni 2022 hindeutete. Auch wenn das Programm hinter dem Zeitplan zurückbleibt, ist die Entwicklung dennoch zu begrüßen.
Bereits 2016 unterzeichneten das britische Verteidigungsministerium und MBDA einen Vertrag über etwa 400 Millionen Pfund (521 Millionen Euro) zur Entwicklung des SPEAR. Mit diesem Vertrag wurde das SPEAR-Design weiterentwickelt und eine Reihe von technischen Meilensteinen erreicht. Zu diesem Zeitpunkt war die Fertigstellung für das Jahr 2020 geplant. Es wird erwartet, dass SPEAR auch zur Ausrüstung der italienischen F-35 eingesetzt wird, obwohl sowohl das Vereinigte Königreich als auch Italien die Waffe wahrscheinlich anders als ursprünglich vorgesehen 2025 eher im Jahr 2030 einführen werden.
Technisches Profil
SPEAR wird als Miniatur-Marschflugkörper bezeichnet und ist mit 1,8 Metern Länge weniger als halb so lang wie ein Storm Shadow, was die Bezeichnung durchaus gerechtfertigt erscheinen lässt. Die Flugkörper wiegen rund 90 kg und sind mit einem Multimode-Gefechtskopf und einem programmierbaren Zünder ausgestattet. Die Reichweite soll mehr als 140 km betragen, womit sie jenseits der Reichweite vieler russischer Luftverteidigungssysteme operieren könnten.
Der Flugkörper nutzt eine Mischung aus Trägheitsnavigation und GPS, um sich zum Zielgebiet zu navigieren, wo das Radar das Gebiet kartiert, um das Ziel zu identifizieren, bevor es an den Suchkopf zur Bekämpfung übergeben wird. Auf diese Weise kann der Flugkörper auch bewegliche Ziele orten und bekämpfen, vorausgesetzt, sie befinden sich im Sichtfeld des Suchkopfes. Der Flugkörper kann auch mit einem Laser auf sein Ziel gelenkt werden und über eine Datenverbindung Kurskorrekturen erhalten, die es dem Piloten ermöglichen, Einsätze abzubrechen oder den Schwerpunkt zu verlagern, sofern der Flugkörper über genügend Treibstoff verfügt.
Darüber hinaus können SPEAR-Flugkörper über das Orchestrike-System von MBDA vernetzt werden, das Künstliche Intelligenz einsetzt, um die Zusammenarbeit zwischen einer Reihe von abgefeuerten Flugkörpern und dem abfeuernden Piloten zu verbessern, so dass die Flugkörper kooperieren und auf Bedrohungen reagieren können. Die Flugkörper können über Datenverbindungen miteinander Daten austauschen und „gemeinsam taktische Herausforderungen lösen“, so MBDA.
Anmerkung des Autors
Die die von den britischen Streitkräften genutzte F-35B kann bis zu acht SPEAR-Flugkörper in ihren Waffenschächten mitführen und ist für die Bekämpfung und Zerstörung der gegnerischen Luftverteidigung (SEAD/DEAD) ausgelegt, wofür SPEAR gut geeignet ist. „Das Vereinigte Königreich hat den MBDA SPEAR 3-Flugkörper entwickelt, der speziell für das Zusammenwirken mit der F-35-Sensorik konzipiert wurde, um russische Luftverteidigungssysteme aus sicherer Entfernung zuverlässig zu bekämpfen, auch wenn diese Ziele nicht mehr senden und sich neu positionieren“, berichtete Professor Justin Bronk vom Royal United Services Institute (RUSI) im August 2024. Aufgrund der geringen Beschaffungsmengen sind die britischen F-35 derzeit jedoch auf den Einsatz von Paveway IV-Bomben beschränkt, die für den SEAD/DEAD-Einsatz ungeeignet sind, da sie die Flugzeuge zu nahe an die russische Luftverteidigung bringen würden.
Die russische Flugabwehr hat sich in der Ukraine als wirksam erwiesen und ist in der Lage, ukrainische Kampfjets in großer Entfernung zu bekämpfen. Sie sind darauf ausgelegt, einen massiven Luftangriff abzuwehren, mit dem ein Krieg zwischen der NATO und Russland sehr wahrscheinlich beginnen würde, und wichtige Infrastrukturen zu schützen. Russische Luftverteidigungssysteme sind so konzipiert, dass sie in mehreren Schichten eingesetzt werden können und eine Abnutzung der NATO-Flugzeuge bewirken, ihre Einsatzhäufigkeit verringern und einen Teil der eingesetzten Munition ablenken oder absorbieren. Ohne wirksame SEAD/DEAD-Waffen wie SPEAR wäre es für die NATO sehr schwierig, die russischen Luftverteidigungsnetze wirksam zu beeinträchtigen, ohne im Falle eines Krieges übermäßige Verluste zu erleiden. Aus diesem Grund handelt es sich wohl um eine wesentliche Fähigkeit zur Kriegsführung.
Autor: Sam Cranny-Evans. Der Beitrag erschien erstmalig am 23.11.2024 in englischer Sprache auf der hartpunkt-Partnerseite Calibre Defence