Die Position Europas im Bereich der Raketen- und Flugkörpertechnologie wird zunehmend prekär. Seit Beginn der russischen Vollinvasion in der Ukraine hat die russische Raketenproduktion stark zugenommen.
Anstatt die Raketenlücke zu schließen, fällt Europa – indem es sich auf eine raketenabwehrorientierte Strategie verlässt – weiter zurück. In diesem Beitrag werden die Zahlen zur russischen Raketenproduktion detailliert dargestellt und mit der Produktion von Raketenabwehrflugkörpern in Europa und den USA verglichen.
Um den Beitrag übersichtlich zu halten, liegt der Fokus auf der Produktion ballistischer Raketen und der ballistischen Raketenabwehr. Die Themen Marschflugkörper und Drohnen werden in einem späteren Beitrag behandelt.
Russische Produktion konventioneller ballistischer Raketen
Russland produziert derzeit zwei Arten konventioneller ballistischer Raketen, die für konventionelle Kriegsszenarien zwischen der NATO und Russland relevant sind:
- 9M723-Kurzstreckenraketen, die über das Iskander-M-System vom Boden aus gestartet werden, und
- Kh-47M2-Kinzhal-Mittelstreckenraketen, die von Bombern und Jagdbombern aus der Luft gestartet werden.
Nach Angaben der Generaldirektion für Nachrichtendienste des ukrainischen Verteidigungsministeriums (HUR) produziert Russland derzeit jährlich insgesamt 840 bis 1.020 9M723- und Kh-47M2 Kinzhal-Kurz- bis Mittelstreckenraketen.
Dies stellt einen recht erheblichen Anstieg gegenüber den vorherigen Schätzungen des HUR vom Dezember 2024 dar. Die Produktion der Kurzstrecken-Rakete 9M723 scheint beispielsweise um etwa 15 bis 40 Prozent gestiegen zu sein.
Wichtig ist, dass diese Zahlen zum jetzigen Zeitpunkt nicht unabhängig überprüft werden können. Außerhalb Russlands ist HUR jedoch aufgrund seines umfangreichen Netzwerks an menschlichen Informationsquellen innerhalb des Landes vermutlich am besten aufgestellt, um Russlands militärische Raketen- und Flugkörperprogramme zu bewerten. Darüber hinaus verleihen die beobachtete Erweiterung der Raketenproduktionsanlagen in Russland sowie die steigende Anzahl der pro Monat eingesetzten ballistischen Raketen den Zahlen des HUR zusätzliche Glaubwürdigkeit.
Wie haben die europäischen NATO-Staaten auf die Produktion ballistischer Raketen reagiert?
Europas Raketenabwehr
Die Reaktion europäischer Staaten auf die wachsende Bedrohung durch russische ballistische Raketen konzentriert sich fast ausschließlich auf die Raketenabwehr.
Seit Februar 2022 hat eine große und wachsende Zahl europäischer Staaten Aufträge für Raketenabwehrsysteme und Abfangflugkörper erteilt. Die beiden am häufigsten beschafften Systeme sind das amerikanische MIM-104 Patriot und das französisch-italienische SAMP/T.
In den folgenden Abschnitten werden die aktuellen und geplanten Produktionskapazitäten für die Abfangraketen PAC-3 MSE und PAC-2 GEM-T, die im Patriot-System verwendet werden, sowie für die Abfangraketen des Typs Aster 30, die im SAMP/T-System eingesetzt werden, beschrieben. Diese Abschnitte zeigen, dass die westliche Produktion von Abfangraketen weder heute noch in absehbarer Zukunft mit der russischen Produktion ballistischer Raketen Schritt halten kann.
Patriot PAC-2 GEM-T/PAC-3 MSE
Im Jahr 2024 gab Lockheed Martin bekannt, dass es über 500 Patriot PAC-3 MSE-Abfangraketen produziert hatte, was einer Produktionssteigerung von mehr als 30 Prozent seit 2023 entspricht. Die Produktionskapazität liegt derzeit wahrscheinlich bei etwa 550 Abfangraketen, wobei geplant ist, die Produktion bis 2027 auf 650 Abfangraketen pro Jahr zu steigern.
Neben Lockheed Martin produziert Mitsubishi Heavy Industries derzeit in Japan unter Lizenz etwa 30 PAC-3 MSE-Abfangraketen pro Jahr. Bis Ende 2023 waren diese Abfangflugkörper jedoch gesetzlich auf die Nutzung durch die Japan Air Self-Defense Force beschränkt.
Die Überarbeitung der Exportvorschriften durch Tokio im Dezember 2023 öffnete einen schmalen Kanal, und eine kleine, nicht öffentlich bezifferte Charge wird nun an die Vereinigten Staaten zurückverkauft, um die durch Transfers in die Ukraine erschöpften Bestände wieder aufzufüllen. Es gibt Pläne, die japanische Produktion auf 60 Abfangflugkörper pro Jahr zu steigern, doch diese Bemühungen wurden bislang durch Engpässe in der Lieferkette behindert.
Vor kurzem hat der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall angekündigt, dass er 250 bis 300 PAC-3-Abfangraketen zum weltweiten Angebot hinzufügen kann, wenn die Pläne für eine Lizenzproduktion der Abfangrakete in Deutschland endgültig festgelegt werden. Vermutlich handelt es sich dabei um eine Lizenzproduktion von PAC-3-MSE-Abfangraketen, obwohl dies noch nicht bestätigt wurde.
Die Produktionsrate von PAC-2 GEM-T-Abfangraketen durch den Hersteller Raytheon erreichte im Jahr 2024 etwa 240 Stück pro Jahr, mit dem Ziel, die Produktion bis Ende 2027 auf 420 Abfangraketen pro Jahr zu steigern. Dies wird teilweise durch Beiträge der neuen lizenzierten Produktionsstätte von MBDA Deutschland erleichtert, die voraussichtlich 2026 in Betrieb genommen wird. Die heutige Produktion dürfte wahrscheinlich etwas über dem Wert von 2024 liegen, etwa bei 270 bis 300 Abfangraketen pro Jahr.
Insgesamt bedeutet dies, dass die weltweite Versorgung mit PAC-2 GEM-T- und PAC-3 MSE-Abfangraketen derzeit wahrscheinlich bei etwa 850 bis 880 pro Jahr liegt. Bis 2027 soll die Produktionskapazität 1.130 Abfangraketen pro Jahr erreichen, und bis 2029 könnte sie auf bis zu 1.470 steigen.
Diese Zahlen sind nicht schlecht – eigentlich sogar gar nicht schlecht, zumindest im Vergleich zu den Vorkriegsjahren. Allerdings übersteigt die derzeitige Jahresproduktion von etwa 850 bis 880 Patriot-Abfangraketen kaum die Untergrenze der geschätzten Jahresproduktion von 9M723- und Kh-47M2-Kinzhal-Raketen, die bei 840 Raketen liegt.
In den kommenden Jahren dürfte die Produktion von Patriot-Abfangraketen die Produktion russischer Kurz- und Mittelstreckenraketen übertreffen, sofern Russland seine Produktion nicht weiter steigert. Dies ist zwar nicht unmöglich, wird für Russland jedoch angesichts der begrenzten Arbeitskräfte und finanziellen Mittel eine Herausforderung darstellen. Selbst wenn die Gesamtproduktion von Abfangraketen die Produktion konventioneller ballistischer Raketen in Russland jedoch übersteigt, wird dies die Probleme Europas nicht lösen.
Erstens ist Patriot ein Produkt mit einem globalen Kundenstamm, zu dem neben Europa auch die U.S. Army sowie mehrere Kunden im Nahen Osten und in Asien gehören. Das bedeutet, dass Europa nicht alle verfügbaren Patriot-Abfangraketen erhalten wird. Ganz im Gegenteil.
Der stärkere globale Wettbewerb um den leistungsfähigeren – aber auch teureren – PAC-3 MSE dürfte zu einem geringeren Anteil für Europa führen als beim Abfangflugkörper PAC-2 GEM-T, dessen Auftragseingänge seit 2024 von der gemeinsamen NATO-Bestellung über 1.000 Einheiten dominiert werden. Insgesamt lässt sich vernünftigerweise schätzen, dass etwa 45 bis 55 Prozent aller Patriot-Abfangraketen für Europa bestimmt sind, was das jährliche Verhältnis von Abfangraketen zu ballistischen Raketen zwischen den europäischen NATO-Staaten und Russland deutlich verringert.
Zweitens sind die europäischen Arsenale derzeit geleert – insbesondere nach der Übergabe von Hunderten von Abfangraketen an die Ukraine – und die Vorlaufzeiten für die Produktion neuer Abfangraketen sind lang. So werden beispielsweise die ersten Lieferungen aus der PAC-2 GEM-T-NATO-Bestellung für 2027 erwartet, drei Jahre nach Auftragserteilung, wobei die Fertigstellung für 2033 geplant ist. Die Vorlaufzeiten könnten sich mit der Stabilisierung der Lieferketten verkürzen, aber sie werden weiterhin ein begrenzender Faktor bleiben.
Drittens hat die Ukraine wiederholt betont, dass die Patriot-Abfangraketen zwar gut, aber nicht fehlerfrei funktioniert haben. Um sehr hohe Abfangwahrscheinlichkeiten – über 90 Prozent – zu erreichen, müssen möglicherweise mindestens zwei, in einigen Fällen sogar drei Abfangraketen pro Ziel eingesetzt werden. Dies reduziert die Gesamtzahl der anfliegenden Raketen, die mit hoher Sicherheit abgefangen werden können, erheblich.
Wenn beispielsweise die europäischen NATO-Staaten in den kommenden Jahren durchschnittlich 400 bis 500 Patriot-Abfangraketen erhalten, aber zwei pro ballistischem Raketenziel einsetzen, können jährlich nur 200 bis 250 ballistische Raketen mit Patriot-Abfangraketen bekämpft werden. Und dies setzt natürlich voraus, dass Patriot-Abfangraketen nicht für andere Arten von nicht-ballistischen Raketenzielen eingesetzt werden, beispielsweise zur Selbstverteidigung, wie es in der Ukraine wiederholt geschehen ist.
Aster 30B1/B1NT
Patriot ist nicht das einzige ballistische Raketenabwehrsystem, das europäischen Staaten zur Verfügung steht. Einige setzen auf das französisch-italienische ballistische Raketenabwehrsystem SAMP/T, das Aster-30-Abfangraketen einsetzt. Die jährlichen Produktionszahlen für Aster 30B1 und die moderneren Aster 30B1NT-Abfangraketen, die zur Abwehr von ballistischen Kurz- bis Mittelstreckenraketen geeignet sind, sind nicht offiziell verfügbar, obwohl eine vernünftige Schätzung möglich ist.
Laut einem Nachrichtenbericht aus dem Jahr 2012 war die Produktion von Aster-Abfangraketen durch MBDA im Jahr 2011 auf mehr als 20 Raketen pro Monat gestiegen, was einer jährlichen Produktionskapazität von mindestens 240 Abfangraketen entspricht. Ein Haushaltsbericht des französischen Senats vom 17. November 2011 bestätigt diese Zahlen in etwa und stellt fest, dass bis zu diesem Zeitpunkt etwa 194 Aster-Abfangraketen produziert und ausgeliefert worden waren. Daraus lässt sich eine jährliche Produktionskapazität von etwa 220 Abfangraketen ableiten.
Der Haushaltsbericht enthält auch Daten zur Aufteilung zwischen Aster-15-Abfangraketen, die zur Abwehr von tiefer fliegenden nicht-ballistischen Flugkörpern eingesetzt werden, und Aster-30-Abfangraketen, die zur Abwehr von Langstreckenraketen, einschließlich taktischer ballistischer Raketen, eingesetzt werden. Dem Bericht zufolge waren bis zu diesem Zeitpunkt im Jahr 2011 60 Aster 15- und 134 Aster 30-Raketen ausgeliefert worden, was auf eine Aufteilung von 70/30 zugunsten von Aster 30 hindeutet. Ausgehend von einer Gesamtproduktion von 220 bis 240 Aster-Abfangraketen pro Jahr ergibt sich für 2011 eine jährliche Produktionskapazität von etwa 152 bis 166 Aster 30-Abfangraketen und 68 bis 74 Aster 15-Abfangraketen.
Laut dem Raketenhersteller MBDA wird das Eurosam-Konsortium die Produktion von Aster-Abfangraketen bis 2026 um 50 Prozent steigern. Unter der Annahme, dass es vor dem Krieg in der Ukraine zu keiner zusätzlichen Produktionssteigerung in Friedenszeiten gekommen ist (wofür der Autor keine Bestätigung findet), deutet dies darauf hin, dass die Aster-Produktion 330 bis 360 Abfangraketen pro Jahr erreichen wird. Unter Anwendung der Aufteilung von 70/30 aus dem Jahr 2011 würde dies eine jährliche Produktionsrate von etwa 230 bis 250 Aster 30-Abfangraketen bedeuten.
Allerdings dürften die seit Februar 2022 eingegangenen Bestellungen der drei am Eurosam-Konsortium beteiligten Länder – Frankreich, Italien und das Vereinigte Königreich – in Höhe von 918 Aster-Abfangraketen eher zugunsten von Aster 30 ausgefallen sein. Infolgedessen dürfte die Produktion von Aster 30 bis 2026 eher bei 270 bis 300 Abfangraketen pro Jahr liegen und 2025, während die Produktionssteigerung noch im Gange ist, bei etwa 220 bis 250.
Wichtig ist, dass es sich nicht bei allen Aster-30-Abfangraketen um Aster-30B1- und Aster-30B1NT-Abfangraketen handelt, die zur Abwehr von ballistischen Kurz- und Mittelstreckenraketen geeignet sind. Ein relativ kleiner Teil der Produktion, wahrscheinlich nicht mehr als 10 bis 15 Prozent, entfällt auf Marinevarianten des Aster 30, die keine ballistische Raketenabwehrfähigkeit besitzen. Damit verbleibt eine geschätzte jährliche Produktion von etwa 190 bis 225 Aster 30B1/B1NT-Abfangraketen im Jahr 2025 und etwa 230 bis 270 bis 2026.
Im Gegensatz zu Patriot werden fast alle in den kommenden Jahren produzierten Aster 30B1/B1NT-Abfangraketen in Europa bleiben. Außerhalb Europas ist Katar der einzige aktive Kunde, der aus derselben Produktionslinie bezieht. Seine vier Korvetten der Doha-Klasse und das neue LPD benötigen Aster 30 Block 1-Marineflugkörper, deren Auslieferung für 2025-26 geplant ist.
Ähnlich wie bei Patriot müssen jedoch möglicherweise mehr als eine Abfangrakete eingesetzt werden, um hohe Abfangwahrscheinlichkeiten von 90 Prozent oder mehr zu erreichen. Ukrainische Berichte haben außerdem zu verschiedenen Zeitpunkten darauf hingewiesen, dass Aster-30-Abfangraketen im Vergleich zu Patriot-PAC-2- und insbesondere PAC-3-Abfangraketen eine unterdurchschnittliche Leistung erbracht haben, sodass in Many-on-One-Zielszenarien möglicherweise noch mehr Abfangraketen eingesetzt werden müssen. Dadurch reduziert sich die jährliche Anzahl der ballistischen Raketenziele, die effektiv bekämpft werden können, auf etwa 95 bis 110 oder sogar weniger.
Auswirkungen auf die Abschreckungsstrategie Europas
Die Produktion von Abfangraketen für die ballistische Raketenabwehr in den USA und Europa ist seit Februar 2022 stark gestiegen. In vielerlei Hinsicht ist dieses Wachstum beeindruckend. Wäre die russische Produktion ballistischer Raketen auf dem Vorkriegsniveau geblieben, hätten die aktuellen Produktionszahlen möglicherweise ausgereicht, um eine relativ wirksame Abwehrstrategie gegen das konventionelle ballistische Raketenarsenal Russlands zu unterstützen. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Stattdessen ist es Russland gelungen, seine Produktion ballistischer Raketen sowohl absolut als auch relativ schneller zu steigern, als es den Vereinigten Staaten und Europa gelungen ist, ihre Produktion von Abfangraketen zur Abwehr ballistischer Raketen auszubauen. Wie die nachstehende Tabelle zeigt, ist nicht zu erwarten, dass Russlands Vorsprung im Raketenbereich – gemessen am Verhältnis verfügbarer Abfangraketen zu konventionellen ballistischen Raketen – in absehbarer Zeit verschwinden wird.
Abfangrakete Jahresproduktionsrate (2025) Zukünftige Jahresproduktionsrate (2026 – 2029) Anteil für Europa (2025) Verfügbare jährliche Abschüsse in 2-zu-1-Zielansatzszenarien (2025) PAC-3 MSE ~ 580 ~ 680-710 by 2027
~ 950-1.050 by 2029~ 200-250 ~ 100-125 PAC-2 GEM-T ~ 270-300 ~ 420 by 2027 ~ 200-220 ~ 50-62 Aster 30B1/B1NT ~ 220-250 ~ 230-270 by 2026 ~ 190-225 ~ 95-112
Die jährliche Kapazität Europas zur Abwehr ballistischer Raketen liegt unter der Annahme eines 2-zu-1-Zielansatzes im Jahr 2025 bei etwa 235 bis 299 ballistischen Kurz- und Mittelstreckenraketen. Dies steht in krassem Gegensatz zu den 840 bis 1.020 ballistischen Raketen vom Typ 9M723 und Kh-47M2 Kinzhal, die Russland derzeit jährlich produziert. Die Rechnung geht einfach nicht auf. Selbst unter der Annahme eines 1:1-Zielansatzes würde Europa immer noch hinter der niedrigsten Schätzung der russischen Produktion zurückbleiben.
Zu beachten ist auch, dass diese Berechnungen die beträchtliche Produktionskapazität Russlands für Marschflugkörper und insbesondere für Langstrecken-Drohnen nicht berücksichtigen. Diese zusätzlichen Bedrohungen würden die Raketenabwehr weiter erschweren und könnten im Kriegsfall eine große Anzahl von Patriot- und Aster-Abfangraketen verbrauchen, wenn es den europäischen Staaten nicht gelingt, ihre Raketenabwehrsysteme effektiv zu schichten.
Darüber hinaus sagen diese Zahlen nichts über das Kostenverhältnis zwischen Raketenabwehr und offensiven Angriffsschlägen aus. Aster-30- und Patriot-Abfangraketen kosten jeweils zwischen 2 und 4 Millionen US-Dollar und damit deutlich mehr als Russland für seine konventionellen ballistischen Raketen bezahlt. Jede Strategie, die sich ausschließlich auf die Raketenabwehr stützt, um großen Raketenarsenalen entgegenzuwirken, ist daher von Natur aus kostenineffizient.
Bedeutet dies, dass die europäischen Bemühungen um Raketenabwehr sinnlos sind? Nein, natürlich nicht. Raketenabwehr – insbesondere die Abwehr ballistischer Raketen – bleibt unverzichtbar. Europa muss in der Lage sein, einzelne hochwertige Ziele, ob zivil oder militärisch, gegen russische Raketenangriffe zu verteidigen. Allerdings wird Europa nicht in der Lage sein, Russlands Arsenal an ballistischen Raketen vollständig zu neutralisieren.
So zu tun, als wäre dies möglich, wie es mehrere europäische politische Entscheidungsträger offenbar tun, ist nicht nur unehrlich gegenüber der Bevölkerung, sondern schwächt auch die Abschreckungsposition Europas. Russland ist sich bewusst, dass es derzeit im Bereich der konventionellen Raketen überlegen ist und dass Europas Raketenabwehrarsenale und Produktionskapazitäten nicht mit den offensiven Schlagkräften Russlands mithalten können.
Das bedeutet, dass Europa seine Raketenstrategie dringend überdenken und von einer „Denial“- zu einer „Punishment“-Haltung übergehen muss. Wenn die europäischen NATO-Staaten Russland nicht glaubhaft abschrecken können, indem sie signalisieren, dass sie sich erfolgreich gegen einen Angriff verteidigen werden, müssen sie durch die Androhung inakzeptabler Kosten abschrecken.
Der klarste Weg, dies zu erreichen, liegt im Aufbau einer glaubwürdigen Gegenschlagkapazität, die in der Lage ist, schnell und angemessen zu reagieren, sollte Russland europäische Ziele angreifen, einschließlich der Gefährdung kritischer russischer Infrastrukturen und wirtschaftlicher Vermögenswerte. Natürlich muss betont werden, dass das vorrangige Ziel dieses „Countervalue“-Ansatzes darin bestehen muss, wirtschaftliche und industrielle Werte zu zerstören, nicht Menschenleben. Angriffe gegen Bevölkerungszentren mit dem ausdrücklichen Ziel, Zivilisten zu töten, wie sie von Russland in der Ukraine praktiziert werden, müssen entschieden abgelehnt werden.
Für den europäischen Kontinent wird der Übergang zu einer solchen auf Vergeltung ausgerichteten Countervalue-Strategie sowohl industriell als auch politisch eine erhebliche Herausforderung darstellen. Europas konventionelle Langstreckenwaffenarsenale sind erschöpft, und die Produktionszahlen liegen noch deutlicher hinter denen der Raketenabwehr zurück. Gleichzeitig sind auf Vergeltung ausgerichtete Strategien nicht Teil der strategischen Kultur oder der militärischen DNA der europäischen Staaten, die sich traditionell auf Abwehrmaßnahmen konzentriert haben, zumindest im konventionellen Bereich.
Sofern jedoch die konventionellen Langstreckenwaffenfähigkeiten Russlands nicht aus irgendeinem Grund erheblich zurückgehen, wird es wohl keine Alternative geben.
Autor: Fabian Hoffmann ist Doktorand am Oslo Nuclear Project an der Universität Oslo. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Verteidigungspolitik, Flugkörpertechnologie und Nuklearstrategie. Der aktualisierte Beitrag erschien erstmalig am 6.07.2025 in englischer Sprache im „Missile Matters“ Newsletter auf Substack.