Die estnischen Streitkräfte haben heute auf dem Luftwaffenstützpunkt Ämari sechs HIMARS-Raketenartilleriesysteme erhalten. Wie das Estonian Centre for Defence Investments (ECDI) schreibt, haben die nationalen Streitkräfte in Zusammenarbeit mit dem US-Einsatzverband „Victory“ bereits die Vorausbildung des Personals der Raketenartilleriebatterie abgeschlossen, und die ersten Übungen mit scharfer Munition werden den Angaben zufolge diesen Sommer beginnen.
Der Ankunft der Waffensysteme gehen dreieinhalb Jahre Arbeit voraus, um die Systeme zu beschaffen und die Einheit aufzubauen, zu besetzen und auszubilden, wie aus der Mitteilung hervorgeht. „HIMARS ist ein gemeinsames Projekt der drei baltischen Staaten zur Weiterentwicklung der Streitkräfte, und heute sehen wir, wie diese Fähigkeit konkrete Formen annimmt“, sagte Magnus-Valdemar Saar, Generaldirektor des ECDI. Die gleichen Systeme werden seinen Worten zufolge bald an Lettland und Litauen geliefert, was einen großen Sprung in den Verteidigungsfähigkeiten der Region bedeute.
Das von Lockheed Martin produzierte, radbasierte Raketenartilleriesystem HIMARS ist ursprünglich als kosteneffizientere sowie in einer C-130 lufttransportierbare Alternative zum M270 MLRS entwickelt worden. Beide Systeme haben teilweise gleiche Komponenten, wie die Raketenstartbehälter. Der HIMARS kann mit unterschiedlichen Artillerieraketen zur Bekämpfung von Punkt- oder Flächenziele in Entfernungen von über 300 Kilometern bestückt werden.
Das US-Außenministerium hatte im Sommer 2022 den Verkauf von sechs HIMARS-Systemen inklusive eines Bewaffnungspaketes sowie weiterer Leistungen mit einem Gesamtwert von bis zu 500 Millionen US-Dollar genehmigt. Die estnischen Streitkräfte haben im Vorfeld den Wunsch geäußert, insgesamt sechs M142-Raketenartilleriesysteme zu erwerben. Hinzu kommen jeweils bis zu 36 Raketenpods vom Typ M30A2 Guided Multiple Launch Rocket System (GMLRS) Alternative Warhead (AW) bzw. M31A2 GMLRS Unitary (GMLRS-U). Jeder dieser Pods beinhaltet sechs Raketen, was einer Summe von bis zu 216 M30A2- und 216 M31A2-Raketen entspricht. Zudem wurde Kauf von 18 ballistischen Raketen des Typs M57 Army Tactical Missile System (ATACMS) sowie 72 Raketenpods der in Entwicklung befindlichen Extended Range GMLRS-Raketen mit einer Reichweite von 150 km und zwei verschiedenen Gefechtsköpfen – 36 Raketenpods des Typs XM403 und 36 Raketenpods des Typs 404 – angefragt. Welcher Raketenmix tatsächlich beschafft wurde ist jedoch unbekannt.
Die M30A2 (Alternative Warhead) verfügt über einen vorfragmentierten (Wolframfragmente) Gefechtskopf und kann so gegen Flächenziele verwendet werden. Die Munition eignet sich zur Bekämpfung von weichen und halbharten Zielen. Die Reichweite liegt bei bis zu 84 km, GPS/Trägheitsnavigation sorgt für die präzise Zielführung der Rakete.
Die M31A2 (Unitary) ist ein Präzisionseffektor und kann zur Bekämpfung von Punktzielen genutzt werden. Sie wirkt durch Explosion und Sprengwirkung und wird gegen weiche und halbharte Ziele mit einer Reichweite von bis zu 84 km eingesetzt. Auch hier kommt GPS/Trägheitslenkung zum Einsatz.
Die M57 ATACMS ist mit 300 km Reichweite die derzeit leistungsfähigste für den Export zur Verfügung stehende Munitionssorte, die für den Verschuss aus dem HIMARS eingeführt und qualifiziert ist. Die rund Mach 3 schnelle Rakete verfügt in der modernsten Variante M57 über einen WAU-23/B Unitary Gefechtskopf mit einem Gewicht von 214 kg. Das Reichweitenspektrum soll 70 bis 300 km betragen.
Bei den ER-GMRLS-Raketen handelt es sich um reichweitengesteigerte Weiterentwicklungen der weitverbreiteten GMLRS-Raketen, von denen Lockheed Martin eigenen Angaben zufolge über 70.000 Stück gefertigt hat. Im Vergleich zur GMLRS konnte die maximale Reichweite mittels eines leicht vergrößerten Raketenmotors, der Nutzung einer neu entwickelten Raketenform sowie Verschiebung der als aerodynamische Steuerflächen wirkenden Flossen von der Spitze ans Heck der Rakete von 84 auf 150 Kilometer gesteigert werden. Genauso wie die GMLRS-Rakete wird auch die ER GMLRS in zwei unterschiedlichen Varianten – mit einem Unitary bzw. Alternative Warhead – produziert. Die Zielführung der Raketen erfolgt mittels GPS/Trägheitsnavigation.
Die Finanzierung der estnischen HIMARS-Systeme durch die USA sei Teil eines umfassenderen Sicherheitspakets, das auf die Stärkung der Verteidigungsfähigkeiten der NATO an der Ostflanke abziele, heißt es in der Mitteilung. Die gesamten US-Hilfen für verschiedene Verteidigungsprojekte in Estland habe sich im Zeitraum 2022-2024 im Vergleich zu den vorangegangenen drei Jahren (2019-2021) verdreifacht, von rund 122 Millionen US-Dollar auf 430 Millionen US-Dollar. Mit dieser Unterstützung wurden beispielsweise die Bestände an großkalibriger Munition aufgestockt, die Kommunikationsfähigkeiten verbessert, die Luftraumüberwachung ausgebaut sowie die Nachtkampffähigkeit weiterentwickelt.
Waldemar Geiger