Der vom Rüstungsunternehmen Diehl auf den Luft-Boden-Einsatz umgerüstete Flugkörper Sidewinder steht nach Aussage von Diehl-Defence-Chef Claus Günther vor der Einführung bei der Bundeswehr.Günther erwartet in den kommenden zwölf Monaten den Auftragseingang, wie er auf einer Pressekonferenz während der Luftfahrtausstellung ILA am Donnerstag in Berlin sagte. Rund 300 dieser als Laser-Guided Sidewinder bezeichneten Rakete soll seinen Worten zufolge für das Kampfflugzeug Tornado beschafft werden. Der Generalinspekteur der Bundeswehr habe die grundsätzliche Entscheidung dazu bereits getroffen, sagte Günther. Die Lieferung soll offenbar bis 2018 abgeschlossen werden.
In der Endphase der Entwicklung befinde sich überdies das elektronische Selbstschutzsystem DIRCM für den Airbus A400M, das zusammen mit dem israelischen Unternehmen IAI hergestellt wird. Laut Günther ermöglicht DIRCM einen 360-Grad-Schutz für das Flugzeug. Damit könne sich der A400M auch beim Tiefflug gegen Angriffe von oben schützen. Die beiden Unternehmen wollen ihre Kooperation in dem Bereich weiter ausbauen, um auch für andere Flugzeugmuster der Bundeswehr vergleichbare Systeme anzubieten.
Höherer Auftragseingang erwartet
Wie Günther weiter ausführte, war das abgelaufene Jahr für Diehl durch ein verhaltenes Geschäft bei Lenkflugkörpern, Munition und Zündern gekennzeichnet. Dies habe zu einem leichten Umsatzrückgang gegenüber dem Vorjahr geführt. Für 2016 rechnet er mit einem deutlich erhöhten Auftragseingang. „Rüstungsexport bleibt überlebenswichtig“, betonte der Manager. So liege der Exportanteil von Diehl Defence bei 50 Prozent – wobei das Unternehmen auch die Zulieferungen in Exportvorhaben anderer Unternehmen einberechnet.
2016 werde der Boden-Luft-Flugkörper Iris-T SLS an Schweden ausgeliefert, sagte Günther. Die als Zweitwaffe für das Taktische Luftverteidigungssystem (TLVS) vorgesehene Iris-T SL sei bereits grundqualifiziert worden. Nach Abschluss der Umweltverträglichkeitsprüfung werde der Flugkörper 2017 als Off-the-Shelf-Produkt zur Verfügung stehen. Der Diehl-Manager geht davon aus, dass der Bund bei der Beschaffung der Iris-T SL im Rahmen des TLVS einen separaten Vertrag anstreben wird.
Das Unternehmen erwartet seinen Worten zufolge, dass weitere Nutzerstaaten für den Luft-Luft-Flugkörper Iris-T dazukommen werden – nicht zuletzt wegen des Verkaufs von Eurofightern außerhalb Europas.
Kritik an Schweizer Berichterstattung zu BODLUV
Die überraschende Entscheidung der Schweizer Regierung, die Einführung des bodengebundenen Luftabwehrsystems BODLUV vorläufig zu stoppen, bewertet Günther ganz „cool“. Seiner Aussage zufolge war die Iris-T SL ursprünglich als einziger Flugkörper im Rahmen des Projektes vorgesehen. Diehl habe über einen Zeitraum von rund sieben Jahren dazu alles offengelegt, was möglich gewesen sei. Der schweizerische Verteidigungsminister habe das Vorhaben letztendlich aufgrund eines Fernseh-Features gestoppt, so Günther. Was in der schweizerischen Presse geschrieben worden sei, entbehre jedoch „jeder Grundlage“, betonte der Diehl-Defence-Chef. Die Iris-T SL sei die treffsicherste radargeführte Rakete.
Verschiedene schweizerische Medien hatten mit Bezug auf ein vertrauliches Papier darüber berichtet, das die Boden-Luft-Flugkörper Iris-T SL sowie CAMM-ER von MBDA die Anforderungen der schweizerischen Armee für BODLUV nicht erfüllen. Laut Papier soll die Iris-T SL Probleme bei der Allwettertauglichkeit aufweisen, während dem CAMM-ER Reichweitenschwächen zugeschrieben wurden.
Der Manager sieht durch die Entscheidung im Nachbarland keine Auswirkungen auf die deutsche Beschaffung. Die Entscheidungsträger in Deutschland „lassen sich nicht ins Bockshorn jagen“, sagte er. Das Vertrauen in das Produkt sei ungebrochen.
Industriehaftung wird zum Problem
Günther sprach überdies zwei Probleme an, die die gesamte deutsche Rüstungsindustrie betreffen. So bedrohe die Forderung des Verteidigungsministeriums nach mehr Industriehaftung die Existenz mancher mittelständischer Betriebe. Da im Gegensatz zu anderen Staaten die Branche in Deutschland privatwirtschaftlich organisiert sei, bestehe die Gefahr, dass Insolvenzen kreiert würden. „Die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden“, forderte Günther.
Darüber hinaus wirken sich seinen Worten zufolge geänderte Regeln bei der Exportgenehmigung negativ aus. So werde das Verfahren, wonach einmal erteilte Ausfuhrbescheide bei späteren Reparatur- und Wartungsarbeiten in Deutschland automatisch weitergelten, nicht mehr angewandt. Wenn beispielsweise eine Waffe eines ausländischen Kunden in Deutschland gewartet wird, kann dem Auftraggeber weder der Zeitpunkt der Ausfuhr noch eine Garantie dafür gegeben werden, da eine erneute Exportgenehmigung eingeholt werden muss. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung fordert Günther einheitliche europäische Exportrichtlinien.
lah/12/3.6.2016