Um der wachsenden Bedrohung durch Russland zu begegnen, arbeitet die Deutsche Marine an der Erhöhung der Kampfkraft ihrer Bestandsflotte. Dazu sollen mehr, stärkere und weiterreichende Effektoren auf allen Marine-Plattformen genutzt werden, wie der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Jan Christian Kaack, heute bei den zweiten Navy Talks in Berlin vor Journalisten ausführte. „Aktuell prüfen wir die Einrüstung von Tomahawks auf Einheiten unserer Marine. Und das sieht gar nicht schlecht aus“, sagte der Inspekteur. Weitere Details nannte er nicht.
Die Einführung dieser Waffe wäre ein weitreichender Schritt. Denn bislang nutzen außer der U.S. Navy nur wenige Marinestreitkräfte enger Verbündeter diesen potenten Marschflugkörper, der allerdings für die Einrüstung in die zukünftigen Fregatten der Klasse 127 vorgesehen ist. Gut informierten Kreisen zufolge könnten die Flugkörper auf einer Fregatte der Klasse 124 und Fregatten der Klasse 123 gebracht werden, soweit diese über das Vertical Launch System Mk 41 in der Strike-Variante verfügen. Das System ist groß genug, um einen Flugkörper in der Dimension des Tomahawk aufzunehmen.
Gleichzeitig zum Pressegespräch präsentierte die Marine heute ihre aufgrund der aktuellen Entwicklung modifizierte strategische Ausrichtung mit dem Namen „Kurs Marine“. Dort heißt es, dass sich die Marine für den „Schlag in das Landesinnere“, den Maritime Strike besser aufstellen will. Dieser richte sich gegen militärische Strukturen des Gegners tief im Landesinneren, schreiben die Autoren.
Und weiter: „In der Ostsee leistet die Marine mit Fähigkeiten zu Maritime Strike einen wichtigen Beitrag zu dimensionsübergreifenden Operationen und unterstützt die anderen Teilstreitkräfte. Sie wird bereitstehen, im Verteidigungsfall von See aus weitreichende gegnerische Waffenstellungen (A2/AD-Bedrohung) auch an Land zu eliminieren.“ Bisher sind insbesondere die Korvetten der Klasse 130 für den Einsatz in der Ostsee mit Seezielflugkörpern des Typs RBS 15 ausgestattet, mit denen auch Landziele angegriffen werden können. Aufgrund ihrer Reichweite dürfte es sich jedoch nicht um eine echte Deep-Strike-Fähigkeit handeln, wie es der Tomahawk bietet.
Um ihre „Maritime Strike“-Fähigkeiten zur erweitern, benötige die Marine „kurzfristig den Ausbau der Strike-Fähigkeit aller geeigneten Einheiten – insbesondere der U-Boote, um diese Fähigkeit verdeckt von dort einsetzen zu können, wo es der Gegner nicht erwartet.“ Dies schließe die Integration von modularen, containerisierten Waffensystemen auf den vorhandenen Schiffen und Booten ein, heißt es in dem Papier. Welche Abstandswaffen die Marine in ihre U-Boote und Schiffen einrüsten will, geht aus dem Strategiepapier jedoch nicht hervor.
Laut „Kurs Marine“ ist es entscheidend, auch die Menge der verfügbaren Munition zügig und signifikant zu erhöhen. Langfristig benötige die Marine Mittel für den Maritime Strike, die von Überwasser-Kampfschiffen auf große und größte Distanz wirken. „Diese werden ergänzt um schnelle, schwer aufzuklärende, auch unbemannte Plattformen über und unter Wasser. Damit kann bereits aus kurzer und mittlerer Distanz gewirkt und die Reaktionszeit eines Gegners deutlich reduziert werden.“ Solche Plattformen müssten möglichst standardisiert und in hoher Stückzahl zur Verfügung stehen.
Kaack kündigte heute in Berlin zudem an, kurzfristig in die Beschaffung des autonomen Unterwasserfahrzeugs BlueWhale einzusteigen, das im vergangenen Jahr „sehr, sehr erfolgreich“ getestet worden sei. Überdies werde die Vorstationierung von Munition geplant. Hier befinde man sich in guten Gesprächen mit Norwegen und Schweden. Die deutschen Marineschiffe sollen seinen Worten zufolge umfassend mit Drohnen ausgestattet werden nach dem Motto: „Jede Einheit, ein Drohnenträger.“ Im laufenden Jahr werde das „Future Combat Surface System“ (FCSS) das Leuchtturmprojekt darstellen, so der Admiral.
Ein weiteres Thema für die Marine sei die „cross-funktionale“ Einführung von bestehenden System der Bundeswehr. So soll eine containerisierte Version des Luftverteidigungssystems Iris-T SLM auf einer Fregatte der Klasse 125 im Herbst im scharfen Schuss getestet werden. Sollte dies erfolgreich sein, will sich Kaack weitere Systeme, die bei Heer, Luftwaffe und CIR in der Nutzung sind, für den Einsatz bei der Marine anschauen. Das Ziel sei die schnelle Kampfwertsteigerung der Flotte. Dabei schreckt die Marine auch vor unkonventionellen Maßnahmen nicht zurück. So sollen ihre neuen Hochseeschlepper mit neuen Kommunikationsmitteln, Minenschienen und „anderem“ ausgestattet sowie das Forschungsschiff Planet von der Marine für die Sicherung der maritimen Infrastruktur eingesetzt werden.
Lars Hoffmann