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Alle Maschinen sollen über Luftbetankungsfähigkeit verfügen

Das Verteidigungsministerium hat den Bundestag Anfang Juni über die Beschaffung des Transporthubschraubers CH-47F Chinook von Boeing als neuen Schweren Transporthubschrauber (STH) der Bundeswehr informiert, nachdem schon Wochen zuvor die Presse über die vermeintliche Auswahlentscheidung des Helikopters berichtet hatte.

Insgesamt sollen 60 CH-47F in der Konfiguration Block II Standard Range mit Luftbetankungsfähigkeit als Nachfolgelösung der betagten CH-53G in Dienst gestellt werden. Die letzten der seit Anfang der 70er Jahre von den deutschen Streitkräften genutzten CH-53 werden den gegenwärtigen Planungen zufolge 2030 ausgemustert.   Mit der Auswahl geht der jahrelange Wettbewerb zwischen Boeing und Sikorsky um die Lieferung eines STH zu Ende.

Finanziert werden soll die Beschaffung aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro, das mittlerweile vom Bundestag und Bundesrat gebilligt worden ist. Die Kosten dürften bei über fünf Milliarden Euro liegen.

Das BMVg bezeichnet die CH-47F als ein technisch ausgereiftes und einsatzerprobtes Produkt, von dem mehr als 500 Exemplare sowohl bei der US-Army als auch einer Reihe von europäischen Nutzern im Einsatz seien. Auf Grund der Entscheidung könne die enge Kooperation mit den Niederlanden weiter ausgebaut werden, da die niederländischen Streitkräfte ebenfalls die Chinook nutzen, so das Ministerium. Auch die Niederländer fliegen die Version CH-47F.

Der CH-47F wird den Angaben des Verteidigungsministeriums zufolge seit 2007 von den US-Streitkräften eingesetzt. Der Helikopter könne rund 40 Kubikmeter Material über eine Distanz von bis zu 1.000 Kilometern transportieren, so das BMVg.

Mit der Entscheidung für ein marktverfügbares und weltweit genutztes Produkt sinken nach Bewertung des Verteidigungsministeriums die technischen, zeitlichen und auch finanziellen Risiken des Beschaffungsvorhabens. Piloten und Mechaniker aus verschiedenen Nationen seien für den Helikopter ausgebildet.  „Die globale Abdeckung mit diesem System war ein maßgeblicher Punkt“, betonte General Eberhard Zorn, Generalinspekteur der Bundeswehr. „Wir werden über eine sehr lange Nutzungsdauer mit ihm arbeiten.“

Finale Kosten noch nicht bekannt

Der geringere Stückpreis der CH-47F ermöglicht laut Ministerium zudem die Beschaffung einer höheren Stückzahl, was für die Streitkräfte eine größere operationelle Flexibilität bei gleichzeitiger Erfüllung aller wesentlichen Nutzerforderungen bedeute.

Der einzige Wettbewerber im Beschaffungsprogramm für einen neuen Schweren Transporthubschrauber, auf den sich die Aussage offenbar bezieht, ist der CH-53K von Sikorsky, der als moderner aber auch als teurer gilt. Der CH-53K wird bislang nur bei den US-Marines und den israelischen Streitkräften eingeführt. Offenbar gibt es jedoch noch weitere Interessenten, darunter die Schweiz und Südkorea.

Die Entscheidung des BMVg habe man zur Kenntnis genommen, teilte der Sikorsky-Mutterkonzern Lockheed Martin auf Nachfrage mit. „Gleichzeitig sind wir davon überzeugt, dass die Sikorsky CH-53K der sicherste, modernste und leistungsfähigste schwere Transporthubschrauber auf dem Markt ist“, so der Konzern weiter. Dies schlage sich in operativen Fähigkeiten wie der Luftbetankung aber auch in niedrigeren Wartungs- und Betriebskosten nieder. Man stehe weiterhin zur Unterstützung der Bundeswehr bereit.

Wie viel die 60 Chinooks final kosten werden, bleibt abzuwarten. Denn bislang liegt noch kein belastbares Preisangebot für den Hubschrauber vor.  Dies ist erst in einer späteren Stufe des Government-to-Government-Geschäftes, bei dem die US-Regierung als Vertragspartner des deutschen Verteidigungsministeriums auftritt, vorgesehen.

In einem Statement zur Auswahlentscheidung schreibt der Hersteller Boeing, dass man sich mit dem Chinook Deutschland Team, bestehend aus AERO-Bildung, Airbus Helicopters, CAE, ESG, Honeywell, Lufthansa Technik und Rolls-Royce Deutschland, dazu verpflichtet habe, der Bundeswehr in den kommenden Jahrzehnten „ein Höchstmaß an Einsatzbereitschaft“ zu gewährleisten.

Airbus Helicopters rechnet sich Chancen aus, die neuen Chinooks der Bundeswehr zu warten. Der Chef von Airbus Helicopters in Deutschland, Wolfgang Schoder, sagte in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen im Juni, dass es dazu eine Vereinbarung zwischen Boeing und seinem Unternehmen gebe. Airbus verfügt nach eigenen Angaben über eine lange Erfahrung als Systembetreuer der von der Luftwaffe genutzten CH-53G-Flotte. Außerdem weist das Unternehmen eine umfangreiche Expertise bei Wartung, Logistik und Ausbildung der selbst produzierten Hubschrauber auf.

Anbieter Boeing und sein Industrie-Team hatten im Vorfeld der Auswahlentscheidung angekündigt, im Fall des Zuschlags rund 500 hochqualifizierte Arbeitsplätze in Deutschland schaffen zu wollen. Allein Rolls-Royce mit Standorten in Oberursel und Dahlewitz will 50 neue Jobs für die Betreuung des T-55-Triebwerks der Chinook schaffen, noch einmal 50 sollen bei Partnerfirmen dazukommen.

Luftbetankungsfähigkeit ab Werk

Eine wichtige Forderung der Bundeswehr an den neuen schweren Transporthubschrauber ist die Fähigkeit zur Luftbetankung. Nach Angaben von Boeing werden alle 60 CH-47F mit dieser Fähigkeit und mit der so genannten US Airworthiness Release Certification für den Hubschrauber und das Luftbetankungssystem direkt von der Produktionslinie ausgeliefert. Die Zertifizierungsanforderungen in Deutschland würden dann mit der US-Regierung besprochen, so Boeing. Die Installation dieses Systems ist dem Flugzeugbauer zufolge in den gesamten Produktionskosten enthalten.

Das so genannte Air-to-Air Refueling Kit kann laut Hersteller ohne zusätzlichen Entwicklungsaufwand in neue oder bereits ausgelieferte Chinooks integriert werden, da mehrfach weltweit erprobt und marktverfügbar sei. „Es handelt sich also um ein bewährtes und kosteneffizientes Kit, welches leicht während der Produktion des Chinook integriert werden kann“, teilte ein Boeing-Sprecher auf Anfrage mit. Er betonte, dass es sich nicht um ein  Entwicklungsprogramm handele.

Während der CH-47F Block II gegenwärtig noch über keine Musterzulassung zur Luftbetankung verfügt, hat Boeing nach eigenen Angaben eine beträchtliche Anzahl von Chinooks bereits seit Ende der 1980er-Jahre mit Air-to-Air Refueling (AAR) ausgeliefert.

  • 1989: Erste Auslieferung von 12 H-47D Chinook mit Air-to-Air Refueling
  • 1991: 26 MH-47E ausgerüstet mit Luftbetankungsfähigkeit ausgeliefert
  • 2004-2011: Insgesamt 61 MH-47G mit AAR ausgeliefert
  • 2014-2015: Auslieferung weiterer 8 MH-47G mit Luftbetankungsfähigkeit
  • Seit 2021: 5 weitere MH-47G Block II Chinook mit Luftbetankungsfähigkeit ausgeliefert; 36 weitere Hubschrauber unter Vertrag – insgesamt werde die Flottengröße 69 MH-47G mit AAR umfassen, so Boeing

Alle genannten Chinooks haben laut Hersteller in den vergangenen mehr als 32 Jahren weltweit eine Vielzahl von Flügen und Luftbetankungsmissionen – auch mit der C-130 als Tankflugzeug – absolviert. Insgesamt schätzt Boeing die Anzahl weltweiter Chinook-Luftbetankungsmissionen auf mehr als 10.000.

Nach Angaben des Unternehmens werden die deutschen Piloten ein spezielles Training für die Luftbetankung absolvieren müssen – für Tag- und Nachtmissionen. Die genauen Anforderungen für das Pilotentraining würden von der Luftwaffe bestimmt. Wenn Missionen vorgesehen sind, die keine Luftbetankung erfordern, kann der nach vorne herausragende Stutzen, der auch als Refueling Probe oder Tankrüssel bezeichnet wird, einfach abgenommen werden.

Boeing zufolge werden die Liefermengen und der Zeitplan noch zwischen den USA und der deutschen Regierung ausgehandelt. Der Lieferplan werde die Ausmusterung der aktuellen CH-53G-Flotte unterstützen, so der Boeing-Sprecher.

Im Rahmen des Foreign Military Sales (FMS) werde die  Bundesregierung als nächsten Schritt einen so genannten Letter of Request (LOR) for Letter of Offer and Acceptance (LOA) an die US- Regierung schicken, wodurch dann das offizielle Vergabe- und Vertragsverfahren in den USA eingeleitet werde. Im Rahmen dieses Vorgangs wird die US-Regierung Boeing zufolge ein verbindliches Angebot mit Preisen und Lieferfristen vorlegen.  Da der LOR bislang offenbar noch nicht in die USA übermittelt wurde und mit einer Bearbeitungszeit von rund sechs Monaten zu rechnen ist, hält es Boeing für möglich, dass der LOA erst im ersten Quartal kommenden Jahres in Deutschland vorliegt. Erst dann könne die Befassung des Bundestages beginnen, der eine so genannte 25-Mio-Vorlage billigen muss. Der darauffolgende Schritt ist dann ein Vertragsschluss zwischen der deutschen und der US-Regierung.

Sobald der Vertrag unterzeichnet sei, beginne das Programm, einschließlich Produktion und Ausbildung, so Boeing. Das Unternehmen hatte in der Vergangenheit damit geworben, dass eine Lieferung 36 Monate nach Vertragsabschluss garantiert werde und eine Lieferrate von mehr als zwölf Maschinen pro Jahr möglich sei.
lah/29.6.2022

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