Abfangquoten der israelischen Raketenabwehr im „12-Tage-Krieg“: Erwartungen versus Realität

Fabian Hoffmann

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In der Nacht vom 12. Juni startete Israel eine groß angelegte Luftkampagne – Operation Rising Lion – gegen iranische Nuklearanlagen, Standorte und Produktionsstätten für ballistische Raketen, Kommandozentralen der Iranischen Revolutionsgarde (IRGC) sowie zur Ausschaltung hochrangiger Militärs und Nuklearwissenschaftler.

Der Iran reagierte mit massiven Angriffen durch ballistische Raketen und Drohnen auf israelische Militär- und Countervalue-Ziele, bei denen 28 Israelis getötet und rund 1.400 verletzt wurden. Am 22. Juni schloss sich die USA mit Angriffen auf iranische Nuklearanlagen an. Ein fragiler, von den USA vermittelter Waffenstillstand trat am 24. Juni in Kraft und beendete den mittlerweile als „12-Tage-Krieg“ bekannten Konflikt.

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Dieser Beitrag bietet eine erste Einschätzung der Leistungsfähigkeit der israelischen Raketenabwehr gegenüber der iranischen Mittelstreckenraketenbedrohung während des Krieges und skizziert einige Implikationen für die NATO.

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Erwartete Abfangraten

Israel setzt zum Schutz seines Territoriums auf ein mehrschichtiges Flug- und Raketenabwehrsystem.

Die unterste Schicht bildet das bekannte Iron-Dome-System, das zur Abwehr von Kurzstreckenbedrohungen wie Mörsergranaten und Raketenartillerie konzipiert ist. In der mittleren Schicht setzt Israel das Davids-Sling-System ein, das für die Abwehr von niedrig fliegenden Langstrecken-Drohnen, Marschflugkörpern und ballistischen Raketen mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern optimiert ist. Die oberste Abfangschicht besteht aus dem Raketenabwehrsystem Arrow, das anfliegende ballistische Raketen – einschließlich solcher, die aus dem Iran mit einer Reichweite von mehr als 1.000 Kilometern abgefeuert werden – außerhalb der Atmosphäre abfängt.

Aus früheren Raketenabwehr-Einsätzen im Jahr 2024 ist bekannt, dass die Abfangwahrscheinlichkeit einzelner israelischer ballistischer Raketenabwehrsysteme der oberen Abfangschicht (d. h. Arrow 2 und Arrow 3) bei etwa 80 bis 90 Prozent liegt. Mit anderen Worten: Wenn zehn Abfangraketen gegen zehn anfliegende ballistische Raketen abgefeuert werden, können voraussichtlich acht bis neun abgefangen werden, während ein bis zwei wahrscheinlich durchkommen.

Natürlich kann die Abfangwahrscheinlichkeit durch den Abschuss mehrerer Abfangraketen pro Ziel deutlich erhöht werden. Mit zwei Abfangraketen liegt die Erfolgsquote bei über 96 Prozent. Mit drei ist der Abfangerfolg praktisch garantiert.

Allerdings sind Abfangflugkörper kostspielig und schwer herzustellen, mit langen Vorlaufzeiten zwischen Bestellung und Lieferung. Angesichts der Tatsache, dass Israels Vorräte durch die iranischen Raketensalven im Jahr 2024 bereits aufgebraucht waren, war zu erwarten, dass Israel nicht mehr über die nötigen Ressourcen verfügen würde, um mehrere Abfangraketen gleichzeitig auf anfliegende Ziele abzufeuern.

Tatsächliche Abfangrate

Nach dem Abschluss des Waffenstillstands und ersten Berichten scheint die tatsächliche Abfangrate leicht höher also die erwartete gewesen zu sein.

Erste Einschätzungen der Kampfschäden deuten darauf hin, dass der Iran etwa 550 ballistische Mittelstreckenraketen abgefeuert hat. Davon sollen mindestens 31 strategisch oder zivil bedeutende Orte oder deren Umgebung getroffen haben (z. B. Ballungszentren, kritische Infrastruktur, Militärhauptquartiere). Dutzende weitere, wahrscheinlich weitere 25 bis 40, sollen auf offenem Feld eingeschlagen sein, ohne Schaden anzurichten.

Man muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass diese Zahlen vom Autor nicht unabhängig und im Detail überprüft werden konnten. Nachdem jedoch der Konflikt vom Autor Tag für Tag genau verfolgt wurde, einschließlich der Berichte über einzelne Salven und die dadurch verursachten Schäden, erscheinen die Zahlen weitgehend plausibel. Angriffe auf große Bevölkerungszentren sind extrem schwer zu verheimlichen, und es gibt keine glaubwürdigen Hinweise darauf, dass die israelische Führung dies versucht hätte.

Die größere Unbekannte ist wahrscheinlich, wie viele der Sprengköpfe, die auf freiem Feld gelandet sind, bekanntermaßen dorthin unterwegs waren und daher – gemäß der israelischen Raketenabwehrdoktrin – nicht abgeschossen wurden, und wie viele dies zufällig taten. Es ist bekannt, dass israelische Raketenabwehrradare die erwarteten Aufschlagpunkte ankommender ballistischer Raketen mit relativ hoher Genauigkeit verfolgen. Es ist daher wahrscheinlich, dass die meisten, wenn nicht sogar alle Sprengköpfe, die in unbewohnten Gebieten gelandet sind, im Voraus als solche identifiziert wurden.

Außerdem haben wahrscheinlich nicht alle auf Israel abgefeuerten ballistischen Raketen ihr Ziel erreicht. Einige sind aufgrund von Systemfehlern in der Luft ausgefallen. Dem Autor liegen keine israelischen oder anderen offiziellen Schätzungen zu diesen Ausfällen vor. Hochwertige westliche konventionelle Langstreckenwaffen wie die JASSM-ER weisen Systemfehlerraten von unter zehn Prozent auf. Angesichts der jahrzehntelangen Erfahrung des Iran in der Entwicklung von ballistischen Mittelstreckenraketen würde der Autor die systemische Fehlerquote auf etwa zehn bis 15 Prozent schätzen, wobei jedoch eine gewisse Unsicherheit besteht.

Unter der Annahme einer systemischen Fehlerquote von zehn bis 15 Prozent näherten sich etwa 480 bis 500 ballistische Mittelstreckenraketen als potenzielle Bedrohung dem israelischen Luftraum. Von diesen wurden 25 bis 40 als nicht bedrohlich eingestuft, sobald ihre Flugbahn und ihr voraussichtlicher Aufprallpunkt identifiziert waren. Dies deutet darauf hin, dass die israelische Raketenabwehr wahrscheinlich versucht hat, zwischen 420 und 475 Raketen abzufangen. Von diesen durchdrangen 31 den Verteidigungsschild, was einer Ausfallrate von etwa 6.5 bis 7.4 Prozent oder einer Erfolgsrate von 92,6 bis 93,5 Prozent entspricht.

Auch diese Zahlen sind vorläufig und müssen noch bestätigt werden. Sie stellen außerdem einen Durchschnittswert dar. In einigen Fällen schien die Durchdringungsrate 10 bis 20 Prozent erreicht zu haben, während bei anderen iranischen Salven null oder nahezu null Prozent der ankommenden Raketen relevante Ziele trafen.

Bemerkenswert ist, dass israelische Schätzungen die Abfangrate auf etwa 90 Prozent beziffern, was darauf hindeutet, dass die Schätzung des Autors die tatsächliche Leistung möglicherweise leicht überbewertet. Ein möglicher Grund dafür ist, dass möglicherweise Raketen, die als Bedrohung eingestuft wurden, aber letztendlich kein relevantes Ziel getroffen haben, vom Autor zu niedrig eingeschätzt wurden, oder dass die systemische Fehlerquote iranischer Mittelstreckenraketen unterschätzt wurde.

Warum hat die israelische Raketenabwehr erneut so gut funktioniert?

Angesichts der erwarteten Abfangrate von 80 bis 90 Prozent hat Israel die Erwartungen an die Raketenabwehr möglicherweise leicht übertroffen. Warum war das der Fall?

Erstens, und wie von der israelischen Verteidigungsindustrie bestätigt, nutzte IAI – der Entwickler des Arrow-Raketenabwehrsystems – frühere Raketenabwehr-Einsätze im April und Oktober 2024 sowie kleinere Starts vor diesem Vorfall, um die Leistung von Arrow auf Softwareebene zu verbessern. Je mehr Daten über erfolgreiche und fehlgeschlagene Abfangmanöver gesammelt werden, desto besser können die Algorithmen zur Zielverfolgung und zur Steuerung der Abfangraketen verfeinert werden.

Zweitens hat Israel wahrscheinlich nie den Punkt der vollständigen Erschöpfung seines Flugkörperabwehrarsenals erreicht, auch wenn es diesem Punkt möglicherweise nahegekommen ist. Die israelischen Luftkampagne im Iran hat wahrscheinlich eine wichtige Rolle dabei gespielt, die Zahl der iranischen ballistischen Raketenbedrohungen zu verringern, indem sie vor dem Start abgefangen wurden.

Die Unterstützung der USA mit in der Region stationierten Raketenabwehrsystemen, insbesondere zwei bodengestützten THAAD-Batterien und von Schiffen aus gestarteten Abfangraketen, spielte wahrscheinlich ebenfalls eine wichtige Rolle. Diese Unterstützung ermöglichte es Israel, sein eigenes Arsenal an Abfangraketen zu schonen. Nach Schätzungen aus öffentlich zugänglichen Quellen starteten die Vereinigten Staaten während des Krieges mindestens 36 THAAD-Abfangraketen.

Drittens ermöglichte die mehrschichtige Struktur des israelischen Raketenabwehrnetzes einen „Shoot-Look-Shoot”-Ansatz: Ein erster Abfangversuch wird in der oberen Schicht mit dem Arrow-System unternommen. Wenn dieser fehlschlägt und der Fehlschlag bestätigt wird, kann ein zweiter Versuch in der mittleren Schicht mit David’s Sling unternommen werden.

Bilder aus dem Krieg bestätigen, dass die in David’s Sling eingesetzten Stunner-Abfangraketen erfolgreich anfliegende ballistische Mittelstreckenraketen abgeschossen haben. Dies ist bemerkenswert, da Stunner für die Abwehr von Bedrohungen mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern optimiert und nominell ausgelegt ist. In diesem Sinne hat das System seine bekannten Spezifikationen übertroffen.

Noch überraschender ist, dass Videoaufnahmen aufgetaucht sind, die zeigen, wie Tamir-Abfangraketen – die im Iron-Dome-System auf der untersten Stufe eingesetzt werden – einen offenbar ballistischen Mittelstreckenraketensprengkopf in einer geschätzten Höhe von fünf bis sieben Kilometern abfangen.

Nominell sind Tamir-Abfangraketen nicht dafür ausgelegt, solche Bedrohungen abzufangen, geschweige denn erfolgreich zu sein. Dass sie dies dennoch geschafft haben, spricht für die Stärke der israelischen Verteidigungsindustrie und die Iron-Dome-Bediener. Es deutet auch darauf hin, dass einige Abfangversuche unter Bedingungen erheblicher Dringlichkeit unternommen wurden.

Insgesamt hat der „Shoot-Look-Shoot”-Ansatz wahrscheinlich die Gesamtzahl der erfolgreichen Abfangmanöver erhöht und gleichzeitig die Anzahl der oberschichtigen Abfangraketen, die eingesetzt werden mussten, minimiert.

Abschließende Gedanken

Es gibt noch viel zu untersuchen über den 12-Tage-Krieg, sowohl in Bezug auf die israelische Raketenabwehr als auch auf die ballistischen Raketenfähigkeiten des Iran. In Bezug auf Letzteres ist eine wichtige Erkenntnis, dass die Glaubwürdigkeit der konventionellen Raketenabschreckung des Iran begrenzt bleiben wird, solange das Land die Genauigkeit seiner ballistischen Mittelstreckenraketen nicht erheblich verbessert.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Raketenabwehr nicht „hermetisch“ ist, eine Botschaft, die von den israelischen Streitkräften wiederholt betont wurde, die die Bevölkerung aufforderten, bei Luftangriffsalarmen Schutz zu suchen. Dies galt sogar für Israel, das über das weltweit dichteste und eines der leistungsfähigsten Raketenabwehrsysteme verfügt, unterstützt durch eine umfangreiche Luftkampagne sowie regionale Raketenabwehrsysteme, die von Verbündeten bereitgestellt wurden.

Wenn das Ergebnis in diesem nahezu optimalen Szenario eine Abfangrate von 90 bis 93 Prozent war, ist es zweifelhaft, dass die europäischen NATO-Staaten in einem Krieg mit Russland eine ähnliche Leistung erzielen könnten.

Autor: Fabian Hoffmann ist Doktorand am Oslo Nuclear Project an der Universität Oslo. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Verteidigungspolitik, Flugkörpertechnologie und Nuklearstrategie. Der aktualisierte Beitrag erschien erstmalig am 29.06.2025 in englischer Sprache im „Missile Matters“ Newsletter auf Substack.