Im Zuge der jüngst veröffentlichten strategischen Ausrichtung mit dem Namen „Kurs Marine“ plant die Deutsche Marine unter anderem die Fähigkeiten zum „Maritime Strike“, einem von Seeplattformen ausgeführten Schlag in das Landesinnere, auszubauen. Dazu wird offenbar auch die Bewaffnung von Unterseeboten der Marine mit Flugkörpern erwogen.
Um ihre Fähigkeiten zur erweitern, benötige die Marine „kurzfristig den Ausbau der Strike-Fähigkeit aller geeigneten Einheiten – insbesondere der U-Boote, um diese Fähigkeit verdeckt von dort einsetzen zu können, wo es der Gegner nicht erwartet“, schreiben die Autoren des Kurs Marine. Welche Abstandswaffen die Marine in ihre U-Boote und Schiffe einrüsten will, geht aus dem Strategiepapier jedoch nicht hervor.
Da deutsche U-Boote über keine vertikalen Starter verfügen, ist es erforderlich, die in Frage kommenden Flugkörper aus den Torpedo-Rohren der Boote zu verschießen. Gleichzeitig müsste es sich bei den Waffen um moderne und in Nutzung befindliche Flugkörper handeln, um einerseits den geforderten Aspekt der Kurzfristigkeit zu erfüllen und gleichzeitig eine Zukunftsfähigkeit zu besitzen. Wobei der Terminus „kurzfristig“ nicht definiert wurde. Bekanntermaßen dauerte eine deutsche Rüstungssekunde bis vor kurzen noch drei Jahre. Auch wenn sich in den vergangenen drei Jahren nach Ausrufen der Zeitenwende einiges zum Besseren gewendet hat, dauern heute kurzfristige Maßnahmen immer noch mehrere Jahre, wie man anhand des als kurzfristig deklarierten Bewaffnungsvorhaben, die Fregatten der Klasse 125 mit dem Luftverteidigungssystem Iris-T SLM auszustatten, sehen kann. Erste Signale diesbezüglich waren vor mehr als einem Jahr zu sehen, die ersten Schießversuche sind für Herbst 2025 vorgesehen.
Bewaffnungsoptionen
Nach heutigem Stand trifft die Forderung nach einer kurzfristig verfügbaren und zukunftsfähigen Waffe wohl nur auf die „Torpedo Tube Launched (TTL)“-Variante des Tomahawk-Block-V-Flugkörpers des US-Herstellers Raytheon sowie die Missile de Croisière Naval (MdCN) und SM.40 Exocet von MBDA Frankreich zu, wobei die TTL-Tomahawks nicht mehr hergestellt werden und eine Wiederaufnahme der Produktion nach Aussage des niederländischen Verteidigungsministeriums in einem vor wenigen Tagen verschickten Brief an das niederländische Parlament nicht vorgesehen ist. „Um die Tomahawk-Marschflugkörper für den Abschuss aus Torpedorohren geeignet zu machen, ist die Entwicklung und Einrichtung einer neuen Produktionslinie in den Vereinigten Staaten erforderlich. Das Verteidigungsministerium ging davon aus, dass es dabei mit den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich zusammenarbeiten könnte, wie im A-Brief mitgeteilt wurde. Während der Vorbereitungsphase für die Beschaffung wurde jedoch deutlich, dass es keine internationalen Partner gibt, die Bedarf an der Produktion der TTL-Variante der Tomahawk-Marschflugkörper haben. Ohne Kostenteilung mit internationalen Partnern sind die Produktionskosten und späteren Wartungskosten der erforderlichen TTL-Variante zu hoch und die damit verbundenen finanziellen Risiken für das Verteidigungsministerium sehr unerwünscht“, heißt es in dem veröffentlichten Brief wörtlich. Das Gleiche dürfte auch für die Deutsche Marine gelten. Zwar prüft die Marine nach Aussagen ihres Inspekteurs eine Bewaffnung der eigenen Plattformen mit Tomahawk-Marschflugkörpern, hartpunkt berichtete, dabei soll es sich Marinekreisen zufolge jedoch ausschließlich um eine Bewaffnungsoption für die Überwasserschiffe handeln.
Auch die Bewaffnung von Booten des deutschen Herstellers TKMS mit französischen Marschflugkörpern halten manche Beobachter für unwahrscheinlich, da dies die Boote noch attraktiver für potenzielle Interessenten machen würde, was die Wettbewerbssituation französischer U-Boote verschlechtern könnte. Grundsätzlich könnten jedoch sowohl die MdCN, die Frankreich auch im Rahmen der ELSA-Initiative bewirbt, als auch die SM.40 Exocet in deutsche U-Boote eingerüstet werden. Letztere ist auch auf die Bekämpfung von Landzielen ausgelegt. Dem Vernehmen nach soll die deutsche Marine jedoch bislang kein Interesse an den beiden französischen Flugkörpern gezeigt haben.
Seit kurzem gibt es nun eine weitere, sehr valide Option, für die sich gut informierten Kreisen zufolge auch die Bundeswehr interessiert.
So verkündete das niederländische Verteidigungsministerium am 17. Juni, dass die zukünftigen niederländischen U-Boote der Orka-Klasse mit einer U-Boot-gestützten Variante der Joint Strike Missile bewaffnet werden sollen. „Um die Schlagkraft der noch zu bauenden U-Boote zu gewährleisten, beteiligt sich das Verteidigungsministerium an der Entwicklung eines Waffensystems. Dabei arbeiten mehrere europäische Länder unter der Leitung Spaniens zusammen. Dieses sogenannte „Joint Strike Missile – Submarine Launched” erfüllt alle Anforderungen“, heißt es in einer Mitteilung des niederländischen Verteidigungsministeriums. Die Niederlande geht davon aus, dass die U-Boot-gestützte Variante der Joint Strike Missile rechtzeitig zur Verfügung stehen wird, um diese 2032 in die neu zulaufenden Boote integrieren zu können.
„Joint Strike Missile – Submarine Launched”
In einem Informationsbrief an das niederländische Parlament, aus dem auch die oben zitierte Textpassage zu der Tomahawk-Bewaffnungsoption stammt, führt das niederländische Verteidigungsministerium deutlich mehr Details auf.
Demnach wurde die Auswahl der Bewaffnungsoption der Orka-U-Boote auf der Grundlage eines „umfassenden Vergleichs“ beschlossen und entschieden sich an der Entwicklung der Joint Strike Missile – Submarine Launched (JSM-SL) im Rahmen einer multinationalen europäischen Zusammenarbeit unter der Leitung Spaniens zu beteiligen. Diese Beteiligungsmöglichkeit soll, so kann man es aus dem Schreiben zwischen den Zeilen rauslesen, erst seit kurzem möglich sein.
Für die JSM-SL hat wohl unter anderem gesprochen, dass die Waffe sowohl erfolgreich gegen Landziele als auch gegen Überwasserschiffe eingesetzt werden kann. Bei der Joint Strike Missile (JSM) handelt es sich um einen rund 400 kg schweren Luft-Boden-Lenkflugkörper des norwegischen Herstellers Kongsberg Defence & Aerospace. Die JSM wurde auf Grundlage des bewährten schiffs- und landgestützten Seezielflugkörpers Naval Strike Missile (NSM) entwickelt. Die Reichweite wurde, im Vergleich zu NSM, um 50 Prozent gesteigert zudem wurde der Flugkörper mit einer deutlich moderneren Elektronik ausgestattet. Der Hersteller gibt die Reichweite mit mehr als 350 km an, wobei sich diese Reichweitenangabe auf den Verschuss von Flugzeugen bezieht. Einige Nutzernationen kalkulieren die Reichweite der luftgestützten Variante mit etwa 560 km. Der mit Stealth-Eigenschaften versehene Flugkörper ist dafür ausgelegt, auch hochentwickelte Flug- und Raketenabwehrsysteme zu überwinden. Neben der Verbundwerkstoffkonstruktion des Rumpfes trägt auch die Abstützung auf Passivsensoren dazu bei, dass der Flugkörper durch feindliche Luftverteidigungssysteme nur schwer erkannt werden kann.
Wie das niederländische Verteidigungsministerium weiter schreibt, ist die JSM-SL Teil der Produktfamilie der Joint Strike Missile (JSM) und des Naval Strike Missile (NSM), die ebenfalls von anderen europäischen Streitkräften erworben wurden oder werden. Interessanter Nebenaspekt ist, dass die Bundeswehr aktuell sowohl die NSM als zukünftige Flugkörperbewaffnung für die Fregatten der Marine als auch die JSM für die F-35 der Luftwaffe beschafft.
Dem Brief zufolge soll nun eine erste Entwicklungsphase mit einer Dauer von achtzehn Monaten beginnen. Danach sollen Produktionsvorbereitung und Beschaffung folgen.
„Die JSM-SL wird in multinationaler Zusammenarbeit entwickelt, wobei die Kosten von den teilnehmenden Ländern geteilt werden. Die Begleitung während der Entwicklung und Produktion erfolgt durch eine internationale Agentur (OCCAR oder NSPA)“, heißt es in dem Brief weiter.

Überlegungen zur Entwicklung einer U-Boot-gestützten Variante der NSM/JSM-Flugkörperfamilie sind nicht neu. So hat der norwegische Hersteller Kongsberg bereits vor über zehn Jahren mit dem Gedanken gespielt, die Waffe für den Einsatz aus U-Booten zu ertüchtigen. Wie aus einer auf den März 2014 datierten Unternehmenspräsentation hervorgeht, wurde schon damals eine NSM-SL-Variante des Flugkörpers vorgeschlagen, die ab 2026 über eine anfängliche Einsatzbereitschaft (IOC) verfügen sollte. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Bebilderung des Entwicklungsstrangs, die ein U-Boot-Design zeigt, welches dem deutschen U212-Design sehr stark ähnelt. Offenbar haben die Norweger jedoch niemanden gefunden, der die Entwicklung finanzieren wollte.
JSM-SL für die Marine?
Ob die Bundeswehr neben der NSM und der JSM auch die JSM-SL beschaffen wird, wollte das Verteidigungsministerium auf Anfrage von hartpunkt nicht bestätigen. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums teilte lediglich mit: „Die Bundeswehr arbeitet mit Nachdruck an der Verbesserung von Strike-Fähigkeiten. Die Marine wird hier einen bedeutenden Beitrag leisten. Mit unseren Bündnispartnern sind wir im engen Austausch, um durch mögliche gemeinsame Entwicklungen und Beschaffungen Synergien zu nutzen. Deutschland beschafft bereits Flugkörper der Strike-Missile-Familie. Eine Bewaffnung von Ubooten ist eine weitere Option für die Verbesserungen von Strike-Fähigkeiten. Zu Einzelheiten können wir uns zum aktuellen Zeitpunkt nicht äußern.“ Da sich das Bundeswehr-Beschaffungsamt BAAINBw dem Vernehmen nach allerdings an der genannten internationalen Quasi-Risikominimierungsstudie beteiligen will, deutet darauf hin, dass die Marine Interesse an der Beschaffung einer solchen Waffe hat.
Überdies handelt es sich bei der neuen Waffe umein norwegisches Produkt, womit diese als Bewaffnungsoption für zukünftige norwegische U-Boote in Betracht gezogen werden dürfte. Da Norwegen und Deutschland typengleiche U-Boote der Klasse 212 CD gemeinsam beschaffen, wäre es sehr unwahrscheinlich, wenn die Bewaffnungsoption nicht auch für deutsche Boote betrachtet wird. Sowohl Deutschland als auch Norwegen wollen jeweils sechs Boote dieses Typs betreiben, wobei Deutschland bereits sechs Systeme bestellt hat und Norwegen vier. Die Bestellung zwei weiterer Boote ist angekündigt und wird in Kürze erwartet.
Da der Zulauf der Boote ab 2029 (Norwegen) bzw. 2032 (Deutschland) geplant ist, dürften auch die Zeitlinien für die Entwicklung der JSM-SL keinen ausschließenden Grund darstellen. Der Umstand, dass bis dahin sowohl NSM als auch JSM in den deutschen Streitkräften qualifiziert und in Nutzung befinden sollten, dürfte die Chance für eine schnelle Inbetriebnahme der Flugkörper sogar weiter erhöhen. Sollten die Flugkörper früher zur Verfügung stehen, dürften sie sicherlich auch für die aktuellen Boote der Klasse 212 A in Frage kommen.
Waldemar Geiger