Die niederländischen Streitkräfte werden als Ersatz für die seit rund 30 Jahren genutzte Panzerfaust 3 zukünftig querschnittlich mit der schultergestützten Mehrzweckwaffe Carl Gustaf M4 des schwedischen Rüstungskonzerns Saab ausgestattet. Wie das niederländische Verteidigungsministerium am 14. Mai bekannt gab, wurde in der letzten Woche ein Kaufvertrag für das Waffensystem unterzeichnet. Die Auslieferung der Waffen soll noch dieses Jahr beginnen und bis 2028 andauern.
Wie das Ministerium weiter angibt, hat die Carl Gustav M4, abhängig von der Munitionssorte, eine Reichweite von 600 bis 800 Metern. Mit der Mehrzweckwaffe können nicht nur Panzer, sondern auch gepanzerte Fahrzeuge und Infanteriestellungen bekämpft werden. Gut informierten Kreisen zufolge ist der Zuschlag in Form einer Direktvergabe ohne vorherigen Teilnahmewettbewerb erfolgt.
Die Auswahlentscheidung zugunsten der Carl Gustaf M4 überrascht dahingehend, dass sie von einem Ende 2020 geäußerten Plan der niederländischen Streitkräfte abweicht. Damals wurde das niederländische Parlament vom Verteidigungsministerium darüber informiert, dass die niederländischen Streitkräfte die Fähigkeiten im Bereich der Panzerabwehr aller Truppen erweitern wollen. Dazu sollten nicht nur neue Systeme beschafft werden, sondern auch die Bevorratung bestehender Systeme erweitert werden. Zudem hieß es in dem damaligen Schreiben, dass neben den Kampf- auch Unterstützungstruppen in die Lage versetzt werden sollen, sich gegen potenziellen Panzerfeind zu behaupten, daher sollten bei der Auswahl neuer Systeme neben einem geringen Gewicht auch eine einfache Bedienung im Vordergrund stehen.
Insgesamt beabsichtigte das Ministeriums Ende 2020, die niederländischen Streitkräfte mittels vier unterschiedlicher Systeme für eine zukunftsfähige Panzerabwehr aller Truppen zu befähigen:
- Kräftekategorie 1: Die nicht primär zu Fuß kämpfenden Truppenteile sollten weiterhin mit der Panzerfaust 3 ausgerüstet werden.
- Kräftekategorie 2: Leichte Infanteriekräfte und Unterstützer sollten ein einfach zu bedienendes, leichtes und kostengünstiges Panzerabwehrsystem erhalten.
- Kräftekategorie 3: Die übrige Kampftruppe, bspw. die mechanisierte Infanterie, sollte mittels einer neuen leistungsfähigeren Panzerabwehrhandwaffe mit einer Kampfentfernung von bis zu 600 m ausgerüstet werden.
- Da die Verbreitung von abstandsaktiven Schutzsystemen (APS) zunimmt, sah das Ministerium zudem langfristig einen Bedarf für ein Panzerabwehrhandwaffensystem, welches in der Lage ist, den APS-Schutz zu überwinden. Ein solches System sollte zu einem späteren Zeitpunkt beschafft werden. Hier wurde das Risiko als deutlich höher bewertet. Hierzu sollte seitens der Niederlande in Zusammenarbeit mit den deutschen Streitkräften eine F&T-Studie durchgeführt werden.
Der ursprüngliche Plan sah also vor, dass die Panzerfaust 3 weiterhin in Nutzung verbleiben und für die Kräftekategorien 2 und 3 neue Systeme beschafft werden sollten. Diese Vorhaben sollten den von Ende 2020 stammenden Aussagen zufolge im Zeitraum 2021 bis 2027 realisiert werden. Der Zulauf der ersten Systeme wurde für 2024 angepeilt.
Wie das niederländische Verteidigungsministerium diese Woche öffentlich gemacht hat, werden nun alle Truppenteile, also die Kräftekategorie 1 bis 3 mit ein und demselben Waffensystem, der Carl Gustaf M4, ausgestattet.
Carl Gustaf M4
Die Ende der 1940er Jahre entwickelte Carl Gustaf ist eine schultergeschossene, tragbare, rückstoßfreie und wiederverwendbare Ein-Mann-Waffe im Kaliber 84 mm, die laut Hersteller mittlerweile in über 40 Nationen in Nutzung ist. Die Carl Gustaf M4 ist die modernste Version der seit Jahrzehnten gefertigten Waffe und laut Herstellerangaben mit 6,6 kg Gewicht auch die leichteste Ausführung der Serie. Die M4 ist seit 2015 auf dem Markt und wurde laut Hersteller an etwa ein Dutzend Nationen geliefert, zuletzt hatte sich Litauen Anfang 2025 für die Beschaffung des Waffensystems entschieden.
Neben der Nutzung moderner Werkstoffe wie einem mit Titan ummantelten Rohr aus Kohlefaser wurde auch die Ergonomie des Waffensystems gegenüber den Vorgängerversionen verbessert. Die M4 kann in Kombination mit den modernsten Feuerleitvisieren betrieben werden und für die Steigerung der Nachtkampffähigkeit Bildverstärker- oder Wärmebildgeräte als Zielhilfe aufnehmen.
Dank der breiten Palette an Munitionstypen ist die Waffe flexibel einsetzbar, sei es zur Bekämpfung gepanzerter Fahrzeuge, zur Zerstörung von gehärteten Strukturen oder zur Ausleuchtung des Gefechtsfelds bei Nachteinsätzen.
Welche Munitionssorten durch die Niederlande beschafft werden, geht aus der Mitteilung des Ministeriums nicht hervor. Das der Mitteilung beigefügte Bild zeigt die Waffe jedoch mit dem Mitte 2022 vorgestellten Feuerleitsystem FCD 558 und einer Zieloptik bestehend aus einer Hensoldt-Optik mit einer vierfachen Vergrößerung sowie einem Aimpoint-Leuchtpunktvisier. Laut Hersteller Saab kann mittels der FCD 558 die neu auf den Markt gebrachte programmierbare High-Explosive (HE)-Munition mit der Bezeichnung HE 448 verschossen werden. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Niederlande die HE 448-Munitionssorte einführen werden.
Laut Hersteller Saab kann die HE 448 mit dem Feuerleitrechner mittels eines neuen Protokolls mit der Bezeichnung Firebolt kommunizieren. Dabei leitet die Munition unter anderem Daten zum Munitionstyp und zur Temperatur des Treibmittels weiter. Das FCD berechnet dann hieraus und der Entfernung zum Ziel die beste Schussbahn. Zünd-Modi für die neue Munition sind Saab-Angaben zufolge Aufschlag, Verzögerung oder Luftsprengung. Die neue HE 448 soll gegenüber der Vorgänger-Munition des Typs HE 441 nicht nur eine größere Reichweite von 1.200 Metern und ein geringeres Gewicht aufweisen, sondern auch über mehr Splitterfragmente verfügen, wodurch eine Fläche von etwa 400 Quadratmetern abgedeckt werden soll. Außerdem wurde die Sprengwirkung gegenüber der HE 441 erhöht.
Waldemar Geiger