Anzeige

Twinvis – Luftwaffe testet Passivradar von Hensoldt

Lars Hoffmann

Anzeige

Bei der Luftraumüberwachung und Feuerleitung gegen Luftziele sind Radare unerlässlich. Allerdings haben sie einen gravierenden Nachteil: Aufgrund der eigenen Abstrahlung können sie leicht vom Gegner aufgeklärt werden.

Um dieses Manko teilweise auszugleichen, bietet sich als Ergänzung zur konventionellen Radartechnik die Nutzung eines passiven Radargerätes an, wie es etwa die deutsche Firma Hensoldt entwickelt hat. Das auf den Namen Twinvis getaufte Radar hatte vor vier Jahren auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung in Berlin seinen großen Auftritt und soll dort angeblich auch das Stealth-Kampfflugzeug F-35 beim Abflug aufgezeichnet haben.

Anzeige

Wie aus Kreisen der Luftwaffe zu vernehmen ist, hat die Bundeswehr im vergangenen Jahr zwei Radare dieses Typs gekauft und testet die Technologie nun intensiv. Dabei liefert das Passivradar offenbar zusätzliche Daten für das Radarlagebild der Luftwaffe. Eingesetzt wird Twinvis zusammen mit dem verlegbaren Gefechtsstand, dem Deployable Control and Reporting Centre (DCRC), den die Luftwaffe auch ins Ausland verlegen kann. Zuletzt war das DCRC in der ersten Jahreshälfte mit einem Einsatzkontingent im Baltikum eingesetzt. Bis wann die Tests noch laufen, ist offen. Weitere Details zum Passivradar sind eingestuft.

Anzeige

Zur Ortung von Flugobjekten nutzt Twinvis – in der NATO wird die verwendete Technologie auch als Passive Coherent Location (PCL) Radar bezeichnet – die reflektierten elektromagnetischen Signale, die von Fremdsendern wie Radio-Stationen oder dem Mobilfunk ausgehen. Diese werden vom Flugobjekt zurückgeworfen, von Twinvis aufgefangen, ausgewertet und zu einem Lagebild zusammengefügt. Der entscheidende Vorteil dabei ist, dass ein Gegner nicht mitbekommt, dass er aufgeklärt wird. Ein Nachteil liegt allerdings darin, dass ausreichend Emitter-Quellen vorhanden sein müssen, damit das System funktioniert. Über See und in spärlich besiedelten Gebieten ist dies jedoch nicht immer der Fall.

Dann kommt eine andere Passiv-Technologie ins Spiel, die als Passive ESM Tracking (PET) bezeichnet wird, wobei ESM für Eletronic Support Measure steht.

Dabei werden die von einem Flugobjekt ausgehenden elektromagnetischen Impulse aufgefangen und verarbeitet. In der Regel sind Flugzeuge im Funkkontakt, haben einen Transponder in Betrieb oder werden im Fall von Drohnen über Satellitenkommunikation geführt. Selbst Stealth-Flugzeuge aktivieren mitunter ihr Bodenradar oder Datenlinks und werden damit zum Emitter.

Als ein führendes Unternehmen im Bereich PET-Technologie gilt die tschechische Firma ERA, die mit ihrem Produkt Vera NG nach eigenen Angaben durch die Auswertung der elektromagnetischen Emissionen von Zielen deren Position in Echtzeit im dreidimensionalen Raum bestimmen kann. Das Frequenzspektrum liegt dem Unternehmen zufolge zwischen 50 Megahertz bis 18 Gigahertz, Drohnen können laut ERA auf mehrere Hundert Kilometer Entfernung detektiert werden.

Wie ein ERA-Vertreter vor einigen Wochen auf einer Messe in Paris erläuterte, hofft sein Unternehmen darauf, Vera NG im kommenden Jahr auch an die Bundeswehr zu verkaufen. Das Unternehmen ist bereits eine Partnerschaft mit dem deutschen Sensorspezialisten Hensoldt eingegangen, der auch Twinvis herstellt. Hensoldt könnte – so die Kalkulation der Tschechen – bei einem Kauf von Vera NG durch das BMVg die logistische Integration in die Bundeswehr sicherstellen. Dies ist ein nicht unübliches Verfahren, um in einen neuen Markt zu gehen. Für Hensoldt würde sich in einem solchen Konstrukt womöglich die Option ergeben, zwei der führenden Passiv-Aufklärungssysteme im Paket zu betreuen, was neben der Bundeswehr auch für andere internationale Kunden interessant sein könnte. Denn mit beiden Technologien in der Kombination dürfte sich das Aufklärungsergebnis deutlich verbessern. Eine Beschaffungsabsicht der Bundeswehr für Vera NG wurde bislang jedoch noch nicht kommuniziert.

Funktionsprinzip von Vera NG (Video: ERA)

Insidern zufolge könnte die ERA-Technologie auch einen signifikanten Beitrag zur Verbesserung der bodengebundenen Luftverteidigung leisten, da Vera NG dem Vernehmen nach nicht nur eine vergleichsweise präzise Lokalisierung vornehmen, sondern mittels einer Datenbank auch den Typ des Flugzeugs aufgrund seiner Emissionsdaten – etwa den Parametern des Radars – bestimmen kann. Bei älteren russischen Flugzeugen mit „handgefertigten“ Radaren soll sogar die Bestimmung einer einzelnen Maschine möglich sein. ERA strebt nach eigenen Angaben an, mit allen Systemen der bodengebundenen Luftverteidigung weltweit kompatibel zu sein.

Dabei arbeiten die Tschechen in Zukunft auch mit Diehl Defence zusammen. Auf der diesjährigen ILA unterschrieben die beiden Partner ein Memorandum of Understanding zur Zusammenarbeit im Bereich der passiven Sensoren und Multi-Sensor-Tracking-Fähigkeiten für bodengebundene Luftverteidigungssysteme von Diehl. Den damaligen Angaben von Diehl zufolge hat die Vereinbarung zum Ziel, die Luftverteidigungssysteme von Diehl Defence, vornehmlich IRIS-T SLM, mit ERAs weltweit führendem passivem ESM-Tracker zu ergänzen. Der Zugang zu einem weiteren ERA-Produkt, dem Multi-Sensor Tracker (MST), werde die Echtzeit-Datenfusion von aktiven und passiven Sensoren ermöglichen, hieß es seinerzeit in der Mitteilung von Diehl.

Womöglich können die beiden Partner in ihrer Zusammenarbeit bereits die Erfahrungen aus dem Ukraine-Krieg einfließen lassen. Denn nicht nur die Iris-T SLM ist dort im Einsatz, sondern auch vier Systeme der Vera NG. Letztere wurden vom niederländischen Verteidigungsministerium finanziert.

Lars Hoffmann