Der Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall plant, im Rahmen eines Gemeinschaftsunternehmens mit dem US-Unternehmen Lockheed Martin die Herstellung von Flugköpern und Raketen, darunter auch Bewaffnung für das Luftverteidigungssystem Patriot, in großem Maßstab in Europa aufzubauen. Wie Rheinmetall-CEO Armin Papperger vergangene Wochen beim einer Telefonkonferenz mit Analysten ausführte, laufen gegenwärtig die Gespräche zur Gründung des Joint Venture, an dem sein Unternehmen einen Anteil von 60 Prozent anstrebt.
Der Hintergrund sei, dass die Fertigungskapazitäten in den USA nicht ausreichten, um den Bedarf in Europa zu decken, sagte Papperger. „Manchmal muss man zehn Jahre warten, um Flugkörper aus Amerika zu bekommen, dass ist viel zu lang.“ Deshalb wollten die beiden Partner ein europäisches „Center of Competence“ für Flugkörper gründen.
Man könne Beispiel die Flugkörper ATACMS, GMLRS, Hellfire, JAGM sowie PAC-3 gemeinsam herstellen. Wobei ATACMS-Raketen eine Reichweite von rund 300 Kilometern aufweisen, während GMLRS laut Papperger auf Distanzen von 150 Kilometern kommen. Die Hellfire und die JAGM seien Luft-Boden-Waffen, bei der PAC-3 handele es sich um eine der beiden Raketen, die für das Patriot-Luftverteidigungssystem genutzt werden.
Der Rheinmetall-CEO kündigte an, eine Fertigungskapazität von bis zu 10.000 Flugkörpern und genauso vielen großen und kleinen Raketenmotoren pro Jahr aufbauen zu wollen. Dabei solle es eine umfassende vertikale Integration geben.
Der Rheinmetall-Chef schätzt, dass die Produktionslinie in 12 bis 13 Monaten bereitsteht. Dort werde auch die Endfertigung stattfinden. Gemeinsam mit Lockheed Martin werde man Entwicklungsarbeiten vornehmen, so dass auch IPRs in Europa liegen. Für das Projekt werde jedoch die Genehmigung der US-Regierung benötigt, woran beide Partner arbeiteten. Papperger rechnet damit, dass nach dem Start der Motorenproduktion im kommenden und der Raketenproduktion im Jahr 2027, die Jahre 2028 und 2029 durch die Hochlaufphase gekennzeichnet sein werden. Danach bestehe ein Umsatpotenzial von 5 Milliarden Euro, sollte die Produktion des Joint Ventures ausgebucht sein. Dabei sei Rheinmetall bestrebt, möglichst viele Komponenten in das Joint Venture zu liefern.
Lockheed Martin beende gegenwärtig die Produktion von ATACMS weil die PrSM hergestellt werde. Deshalb sei in der Diskussion, US-Kontrakte in der neuen Fabrik abzuarbeiten und so die ersten ein bis zwei Milliarden Euro Umsatz zu generieren. Geplant sei, die Montagelinien für ATACMS direkt aus den USA zu übernehmen, erläuterte Papperger. Er prognostizierte, dass die Kapazitäten für die neue Motorenproduktion schnell ausgelastet sein dürften, da die Ukraine einen hohen Bedarf an Patriot-Flugkörpern habe.
Der Rheinmetall-Chef bezifferte den gegenwärtigen Bedarf von Flugkörpern auf 600 bis 800 ATACMS pro Jahr, rund 2.500 GMLRs, 5.000 Hellfires, 5.200 JAGMs and 250 bis 300 PAC-3.
Gegenwärtig werden seinen Worten zufolge für die Produktion die Lieferketten aufgebaut. Die Idee dazu sei während der Münchner Sicherheitskonferenz von Lockheed-Martin-CEO und ihm entwickelt worden. Man habe die Idee, den Herstellern von Elektronik-Komponenten einen Fünfjahresvertrag und eine hohe Anzahlung zu geben.
Nach Aussage von Papperger haben europäische Kunden eine Präferenz für ATACMS mit einer Reichweite bis 300 Kilometern gegenüber der GMLRS mit bis zu 150 Kilometern. Es würden große Reichweiten bevorzugt. In Deutschland werde auch über 500 oder 600 Kilometer diskutiert. Reichweiten, die gegenwärtig nur die PrSM biete.
Der US-Rüstungskonzern Lockheed Martin teilte auf Nachfrage zur möglichen Etablierung eines Missile Excellence Center mit, dass das Unternehmen mit den europäischen Verbündeten zusammenarbeite, um Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu identifizieren, damit die weltweite Nachfrage nach US-Munition und Präzisionsschlagfähigkeiten gedeckt werden kann.
Man wolle sicherzustellen, dass jede potenzielle Zusammenarbeit die amerikanischen Fertigungskapazitäten stärke, Arbeitsplätze in den USA und Europa schaffe und die Lieferung dieser Güter beschleunige. „Jede Zusammenarbeit zwischen unseren Unternehmen unterliegt der Zustimmung der US-amerikanischen und der deutschen Regierung“, betont Lockheed Martin. Da die Verhandlungen noch laufen, seien alle kommunizierten Einzelheiten verfrüht und inoffiziell.
Lars Hoffmann