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OCCAR strebt NATO-Standardisierung von ESSOR-Wellenformen an

Sechs europäische Staaten arbeiten gegenwärtig an der Entwicklung von einheitlichen digitalen Wellenformen zur Übertragung von Sprache und Daten für den militärischen Einsatz. Gemanagt wird die unter der Bezeichnung European Secure Software Defined Radio (ESSOR) laufende Gruppe, an der Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland, Finnland und Polen beteiligt sind, von der europäischen Organisation für gemeinsame Rüstungskooperation OCCAR. Bereits fertig entwickelt ist die Breitband-Wellenform mit der Bezeichnung ESSOR High Data-Rate Waveform (EHDRWF) für die Verwendung durch Bodentruppen. Jetzt strebt die OCCAR an, diese Wellenform auch im Rahmen des STANAG-Standardisierungsplans der NATO zertifizieren zu lassen. Man habe der zuständigen NATO-Arbeitsgruppe einen Vorschlag gemacht, sagt Eric Langlois, Business Development Officer beim ESSOR-Programm der OCCAR. Er geht davon aus, dass der Vorschlag (STANAG 5651) in den kommenden Monaten gebilligt wird und dann der Zertifizierungsprozess beginnen kann. „Wir möchten, dass ESSOR-Produkte auch von der NATO standardisiert werden“, beschreibt Langlois die Strategie der OCCAR.

Hintergrund der ESSOR-Bestrebungen ist das Ziel, die Streitkräfte mehrerer Nationen zur besseren Kommunikation auf dem Gefechtsfeld zu befähigen. Denn das Problem ist im Augenblick, dass in der Regel digitale Funktechnik einer Armee nur mit einer bestimmten Software, den digitalen Wellenformen, funktioniert. Oftmals werden die Wellenformen von den Herstellern der Funkgeräte eigens für ihre Technik entwickelt. Da die großen Armeen Europas jeweils andere Funkgeräte und Wellenformen nutzen, hat diese zur Folge, dass ein französischer Bataillonskommandeur nicht mit seinem italienischen oder deutschen Pendant via Funk kommunizieren kann. Das ESSOR-Projekt zielt nun darauf ab, einheitliche Wellenformen zu entwickeln, die auf den unterschiedlichen Funkgeräten aller Partnerländer funktionieren – so wie im zivilen Sektor ein Samsung-Handy mit einem iPhone von Apple genauso kommunizieren kann wie mit einem Gerät von Motorola.

Sechs Unternehmen arbeiten zusammen

Einen wesentlichen Beitrag zur Harmonisierung im Rahmen des OCCAR-Vorhabens leistet die Industrie. So hat jedes ESSOR-Land einen nationalen industriellen Champion – in der Regel ein Funkgerätehersteller – benannt, der sich an der Entwicklung der Wellenformen beteiligt. Für Deutschland ist das Rohde & Schwarz, für Frankreich Thales, für Italien Leonardo, für Finnland Bittium, Radmor für Polen und Indra für Spanien. Die sechs nationalen Industrie-Champions haben sich zum dem Industrie-Konsortium a4ESSOR zusammengeschlossen.

Das Programm läuft seit einigen Jahren und die Wellenform-Entwicklung ist bereits fortgeschritten. In den kommenden Monaten werden weitere Kompatibilitätstests für die Breitband-Wellenform mit Funktechnik mehrerer Hersteller stattfinden, wie OCCAR-Manager Langlois erläutert. Dies erfolge in einer speziellen Einrichtung in Polen.

Neben der Breitband-Wellenform, die in erster Linie für Heeres-Anwendungen vorgesehen ist, arbeiten OCCAR und Industrie an weiteren Varianten. So etwa an der Schmalband-Wellenform ENBWF, die ebenfalls von der NATO standardisiert werden soll, einer Wellenform für die UHF-Satellitenkommunikation sowie einer 3D-Wellenform.

Darüber hinaus haben sich Frankreich, Italien, Deutschland und Spanien im vergangenen Jahr darauf geeinigt, im Rahmen des ESSOR Multi-functional Information Distribution System (EMIDS) neue Wellenformen zu entwickeln, die speziell auf die Bedürfnisse des Luftkampfes mit schnell fliegenden Flugzeugen zugeschnitten sind. Dabei soll erstmals bei ESSOR auch Übertragungshardware – so genannte Terminals – konzipiert werden. Womöglich könnten im Rahmen dieses Projektes auch Wellenformen entstehen, die im Rahmen einer Air Combat Cloud nutzbar sind, wie sie für das Future Combat Air System vorgesehen ist. Sollte es in den Kundenländern den Wunsch nach weiteren Entwicklungen geben, würde die OCCAR diesen gerne erfüllen, betont Langlois.

Interesse an weiteren Partnern

Je mehr Nationen sich an ESSOR beteiligen, desto besser die Interoperabilität der Streitkräfte. Aus diesem Grund hat die OCCAR großes Interesse daran, weitere Partner einzubinden. Dabei ist auch ein späterer Einstieg in das Programm möglich, wie das Beispiel Deutschland belegt. Denn das deutsche Verteidigungsministerium hat sich erst nach einiger Bedenkzeit für den Beitritt zu ESSOR entschieden, nachdem die anderen Länder das Vorhaben bereits gestartet hatten. „Wir sehen auch Interesse von anderen europäischen Staaten“, sagt Langlois. Aber auch aus dem Ausland gebe es Interesse. So hätten mehrere der in ESSOR involvierten Unternehmen angefragt, ob sie Technologie auch exportieren dürfen. Offenbar gibt es Kunden, die außerhalb des Konsortiums stehen und trotzdem Interesse an einer Nutzung haben.

Unternehmen, die sich an ESSOR beteiligen, dürften womöglich auch bei Projekten innerhalb des Sechser-Nutzerkreises profitieren. So hat Deutschland gut informierten Kreisen zufolge bei der Ausschreibung für seine Führungsfunkgeräte im Rahmen der Digitalisierung landbasierter Operationen die Forderung aufgestellt, dass die zu beschaffenden Funkgeräte auch ESSOR-kompatibel sein müssen. Das schränkt den Kreis der Bieter auf die sechs ESSOR-Unternehmen ein. Andere Anbieter müssten dann womöglich mit einer dieser Firmen kooperieren, um überhaupt Zugang zur Ausschreibung zu erhalten.

Da die im Rahmen von ESSOR angestrebte Harmonisierung auf der Linie der EU-Kommission liegt, den Rüstungssektor zu harmonisieren und die europäische Souveränität auszubauen, überrascht es nicht, dass das Vorhaben auch von der EU gefördert wird. So hat der als Vorläufer des European Defence Fund (EDF) gestartete European Defence Industrial Development Programme (EDIDP) für die ESSOR-Vorhaben bereits 37 Millionen Euro bereitgestellt.

Darüber hinaus gibt es eine weitere Schnittstelle zur EU. So arbeitet das ESSOR-Team der OCCAR mit beim PESCO-Vorhaben mit dem gleichen Namen „European Secure Software Defined Radio (ESSOR)“.  PESCO steht für Permanent Structured Cooperation, bei der EU-Mitgliedsstaaten militärische Projekte gemeinsam verfolgen. Beim PESCO-ESSOR sind neben den genannten sechs ESSOR-Staaten überdies Belgien, Portugal und die Niederlande vertreten. Ein Engagement bei PESCO lohnt sich auch finanziell. Denn sowohl EDIDP als auch EDF gewähren einen Bonus von 10 Prozent, wenn es sich um ein im Kontext von PESCO generiertes Projekt handelt.
lah/15.2.2022

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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