Die Bundeswehr wird mit wichtigen Bündnispartnern in Europa perspektivisch besser kommunizieren können. Möglich wird dies durch die Beteiligung am bereits laufenden Projekt „European Secure Software Defined Radio“ – kurz ESSOR. Sowohl der Verteidigungs- als auch der Haushaltsausschuss des Bundestages haben gestern grünes Licht für den Einstieg des BMVg in das Programm gegeben, nachdem es zunächst nicht nach einer parlamentarischen Befassung aussah. Erst am Dienstagabend – also kurz vor den Ausschusssitzungen – ging noch eine entsprechende Ergänzungsmitteilung zur Tagesordnung ein, die angenommen wurde. Damit kann der mit den ESSOR-Partnern terminierte Vertragsschluss am 16. Dezember offenbar noch gehalten werden. Die befürchtete Neuverhandlung der Beitrittsmodalitäten ist damit nicht mehr erforderlich.
Im Rahmen von ESSOR wollen die sechs Länder Frankreich, Italien, Spanien, Finnland, Polen und jetzt auch Deutschland eine gemeinsame digitale Wellenform zur Funkkommunikation entwickeln, die sicher Sprache und Daten übertragen kann. Damit soll die gemeinsame Kommunikation bis mindestens hinunter zur Bataillonsebene zwischen den ESSOR-Nutzern ermöglicht werden. Dabei können die Streitkräfte jedes Landes ihre national genutzten digitalen Funkgeräte – so genannte Software Defined Radios oder SDR – weiterhin verwenden. Bisher wurden Wellenformen in der Regel für die Streitkräfte eines Staates entwickelt und können oft nur mit bestimmter Hardware genutzt werden. ESSOR soll diese Insellösungen überwinden und Interoperabilität schaffen, wobei die Funkgeräte bei Bedarf weiterhin nationale Wellenformen nutzen können.
Das bereits seit 2000 laufende ESSOR-Vorhaben wird von der europäischen Rüstungsagentur OCCAR gemanagt. Deutschland soll dem Vernehmen nach eine mit Frankreich und Italien gleichgestellte herausgehobene Position bei ESSOR einnehmen und in den seit 2017 laufenden Projektabschnitt Operational Capability1 (OC1) eintreten. Medienberichten zufolge wird das BMVg in den kommenden Jahren etwa 80 Mio EUR in das Vorhaben investieren.
Auf industrieller Ebene haben die beteiligten Staaten jeweils einen nationalen Champion benannt. Während für Deutschland offenbar das Münchener Technologieunternehmen Rohde & Schwarz ausgewählt wurde, sind dies im Weiteren Thales France, Indra für Spanien, Leonardo (Italien), Radmor (Polen) sowie Bittium (Finnland). Die Firmen beteiligen sich proportional zu den nationalen Anteilen an ESSOR auch an der gemeinsamen Gesellschaft a4ESSOR.
Gut informierten Kreisen zufolge wird Deutschland zunächst die für die Streitkräftegemeinsame Verbundfähige Funkgeräteausstattung (SVFua) entwickelten softwarebasierten Funkgeräte für die Nutzung von ESSOR-Wellenformen testen. Mittelfristig sind offenbar Versuche vorgesehen, bei denen die sechs Nationen mittels ihrer nationalen SDRs und einer einzigen Wellenform auf Sicherheitsstufe „EU Restricted“ kommunizieren. Langfristig wird dem Vernehmen nach sogar daran gedacht, ESSOR-Wellenformen für die Kommunikation mit sich schnell bewegenden Objekten wie Hubschraubern, Drohnen oder Ground Combat Systems zu entwickeln.
Da die niederländischen und deutschen Militärs im Rahmen von Tactical Edge Networking (TEN) die Landstreitkräfte beider Länder aus einem Guss digitalisieren wollen, bleibt abzuwarten, wie die Niederlande in ESSOR eingebunden werden. Beobachter gehen davon aus, dass Deutschland womöglich weitere Partner wie die Koninklijke Landmacht für die Nutzung von ESSOR lizenzieren kann. Solange die gleiche Hardware beschafft wird – was bei TEN die erklärte Absicht ist – scheint dies praktikabel zu sein. Sollte dagegen angestrebt werden, die ESSOR-Wellenform auf Hardware von Anbietern außerhalb der sechs genannten Staaten zur portieren, rechnen Insider mit erheblichen Widerständen einer Teilnehmernationen.
lah/12.12.2019