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Vorhaben entwickelt sich in eine neue Richtung

Nach dem überraschenden Abbruch des Vergabeverfahrens zur Beschaffung eines neuen schweren Transporthubschraubers (STH) für die Bundeswehr Ende September, könnte das Vorhaben jetzt womöglich neuen Auftrieb bekommen. Wie es aus gut informierten Kreisen heißt, werden auf Seiten der Bundesregierung offenbar Vorbereitungen getroffen, mit einem so genannten Foreign Military Sales (FMS)-Verfahren zu beginnen. Damit wäre die US-Regierung direkter Verhandlungspartner der deutschen Beschaffungsbehörden. Dagegen galt das abgebrochene Verfahren als so genannter Direct Commercial Sale (DCS), bei dem die Beschaffungsseite direkt mit den Anbieterfirmen in Verhandlungen stand.

Sollte die Bundesregierung einen FMS-Antrag an die US-Stellen senden, dürfte nach Expertenschätzungen allerdings mindestens ein halbes Jahr vergehen, bis mit einer Antwort zu rechnen ist. Beobachter halten deshalb einen Beginn der Beschaffung vor 2022 für unrealistisch. Voraussetzung dafür ist ohnehin, dass ausreichend Haushaltsmittel zur Verfügung stehen.

Nach Aussage eines Boeing-Sprechers hat sein Unternehmen bei der Mitteilung des Bundeswehr-Beschaffungsamtes BAAINBw über die Aufhebung des Vergabeverfahrens zeitgleich zur Kenntnis genommen, dass die Realisierung des STH-Beschaffungsprogramms weiterhin hohe Priorität genieße –  obgleich mit geänderten Anforderungen und Spezifikationen. „Boeing und der H-47 Chinook stehen den Anforderungen der Bundeswehr an die Fähigkeiten eines neuen Schweren Transporthubschraubers weiterhin zur Verfügung“, so der Sprecher weiter. Man arbeite in diesem Kontext eng mit der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie zusammen, um der Bundeswehr eine lokale Support-, Wartungs- und Ausbildungsinfrastruktur für den Chinook bereitzustellen.

Gut informierten Kreisen zufolge, ist auch der Wettbewerber Sikorsky mit dem CH-53 K sehr an der Fortsetzung des Prozesses interessiert. Beobachter gehen deshalb davon aus, dass das Unternehmen bei entsprechenden Signalen von Seiten des BMVg seine Rüge gegen den Abbruch des Auswahlverfahrens zurückziehen würde. In der Presse war zuletzt über hohe Schadensersatzforderungen des US-Unternehmens spekuliert worden. Auch Sikorsky arbeitet mit deutschen Industriepartnern – darunter befindet sich der Rüstungskonzern Rheinmetall –  zusammen, um eine Wartungs- und Unterstützungsinfrastruktur aufzubauen. Der deutsche Triebwerkshersteller MTU Aero Engines ist ohnehin bereits am CH-53K-Programme der US Marines beteiligt.

Im Rahmen eines FMS-Case müsste Deutschland vermutlich auf umfassende Leistungs-Forderungen an die Hubschrauber verzichten und sich stattdessen mit Ausstattungs-Varianten zufriedengeben, die auch von den US-Streitkräften genutzt werden. Gerade die Sonderwünsche der deutschen Beschaffer hatten ja zu einer Explosion der Kosten im Wettbewerbsprozess und in der Folge zum Verhandlungsabbruch geführt.

Welches Hubschraubermuster von dem neuen Beschaffungspfad profitiert, bleibt nun abzuwarten. Gewichtet das BMVg Ausstattungsmerkmale besonders hoch, könnte dies für den CH-53K von Sikorsky sprechen, der moderner ist und als Serienmuster bereits über die Fähigkeit zur Luftbetankung verfügt. Spielen Kostenaspekte dagegen eine größere Rolle, könnte sich dies positiv für die H47 auswirken, deren Anschaffungspreis als niedriger gilt.

FMS-Cases für die Beschaffung von Rüstungsgütern aus den USA sind für das BMVg nichts Neues. So werden etwa die Boden-Luft-Flugkörper des Typs PAC-3 MSE auf FMS-Basis gekauft. Allerdings gab es in den vergangenen Jahren kein Projekt mit der Komplexität und  Größe der STH-Beschaffung, die ein Volumen von mehr als 5 Mrd EUR aufweisen dürfte. Mitunter sind bilaterale Verhandlungen auch komplex und zeitraubend, wie das Beispiel TLVS zeigt, und können sich damit auf die Planung auswirken. Und nicht zuletzt hat auch die US-Seite nicht immer positive Erfahrungen mit deutschen FMS-Anfragen gemacht, wie die Beispiele der Drohnen MQ-9 und MQ-4C Triton belegen. In beiden Fällen hat das BMVg Fristen der FMS-Cases mehrmals verlängert, um sich dann doch anders zu entscheiden.
lah/17.11.2020

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