Die Verteidigungsminister von sechs NATO-Ostseeanrainerstaaten haben gestern am Rande des NATO-Gipfels in Washington eine Absichtserklärung – Letter of Intent (LoI) – zur gemeinsamen Beschaffung, Übung, Lagerung und Instandsetzung von Seeminen unterschrieben. Nach Angaben des deutschen Verteidigungsministeriums wollen sich folgende Staaten an dem Abkommen beteiligen: Deutschland, Dänemark, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Norwegen, Polen und Schweden
Einem Beitrag des schwedischen Verteidigungsministers Pål Jonson auf der Plattform X zufolge geht die Zeichnung des LoI auf eine deutsche Kooperationsinitiative zurück. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hatte das Vorhaben bereits Mitte Juni angekündigt, hartpunkt berichtete. Zudem verwies Jonson darauf, dass auch die gemeinsame Entwicklung von Seeminen ein Ergebnis dieser Absichtserklärung sein könnte.
Eine explizite Festlegung darauf, welche Minen genau beschafft werden, wurde nicht bekanntgegeben, jedoch ist in einige Medien zu lesen, dass von einer Beschaffung finnischer Minen gesprochen werde. Zudem ist in einem gestern veröffentlichten Beitrag des finnischen Verteidigungsministeriums zur Zeichnung des LoI nachzulesen, dass die finnische Expertise auf diesem Gebiet der Seekriegsführung angepriesen wird. „Finnland spielt bei dieser Zusammenarbeit eine wichtige Rolle. Finnland verfügt sowohl bei den Streitkräften als auch in der Industrie über Fachwissen und Know-how im Bereich der Seeminen. Finnland verfügt über eine Weltklasse-Expertise im Bereich der Seeminen“, wird der finnische Verteidigungsminister Antti Häkkänen in dem Beitrag zitiert.
Insider berichtten zudem, dass bei der gemeinsamen Beschaffung eine Grundmine im Fokus steht. Dazu soll es auch einen Forderungsabgleich der oben aufgeführten Streitkräfte gegeben haben, welcher mit dem Leistungsniveau der finnischen Mine vom Typ Blocker korrespondiert.
Blocker
Hersteller der Blocker ist das finnische Unternehmen Forcit Defence, welches vor über einem Jahr mit der deutschen TDW Gesellschaft für verteidigungstechnische Wirksysteme mbH (TDW) eine Kooperation für den Vertrieb der schweren Seemine Blocker in Deutschland eingegangen ist. Die TDW soll wohl auch einen gewissen Workshare an der Mine haben. Das Unternehmen hat die Blocker im Zuge der RüNet 2023 erstmalig in Deutschland öffentlich ausgestellt.
Bei der Blocker handelt es sich um eine moderne Seemine, die bereits in Finnland und Estland in Nutzung ist. Die Wirkung der Mine entspricht laut Hersteller einem Äquivalent von mehr als einer Tonne TNT. Einmal verlegt – dies kann per Boot, Schiff oder Helikopter erfolgen – kann die Seemine bis zu zwei Jahre aktiv auf dem Grund verbleiben, bis die in den Akkus verfügbare Energie für die Multi-Sensorik verbraucht ist. Die Schärfung der Mine, die mehrere Schärfungsmechanismen hat, erfolgt erst auf dem Grund.
Ausschlaggebend für die lange Einsatzdauer ist die Art und Weise der Sensornutzung. Dem Vernehmen nach ist nur der Akustiksensor der Mine dauerhaft aktiv. Nimmt dieser Geräusche eines potenziellen Ziels auf, werden weitere Sensoren – ein Druck- und ein Magnetsensor – aufgeweckt und beginnen zu arbeiten. Optional kann auch ein optischer Sensor integriert werden, der die Mine vor Vernichtung durch feindliche Minentaucher schützen soll. Die Sensorik ist zudem in der Lage, die Detonation benachbarter Minen zu erkennen und zündet nur, wenn tatsächlich ein Ziel in Wirkreichweite ist. Kettenreaktionen, bei denen die Detonation einer einzelnen Mine die Detonation weiterer Minen in der Sperre verursacht, werden mit der Blocker ausgeschlossen.
Die Sensorik der Mine kann mittels eines Handheld Device durch den Nutzer frei programmiert werden. Neue Signaturen können so noch kurz unmittelbar vor Einsatz der Seeminen auf diese aufgespielt werden, was das System besonders zukunftsfähig machen soll.
Forcit bietet neben der Gefechtsmine auch eine Übungsversion der Mine an, welche multifunktional genutzt werden kann. Neben der klassischen Aufgabe – Beübung eigener und verbündeter Kräfte im Umgang mit Seeminensperren – kann die Übversion der Blocker als Sensor zur Beschaffung neuer Signaturen genutzt werden. In diesem Fall werden die Übminen über lange Zeit ausgebracht und sammeln bis zur Aufnahme dauerhaft Signaturen des vorbeifahrenden Schiffsverkehrs.
Das System wird als besonders wirtschaftlich angepriesen, unter anderem dadurch, dass in der Mine ein von Forcit entwickelter „extrem insensitiver“ Sprengstoff zum Einsatz kommt, der besonders sicher in der Handhabung ist. Dies erlaubt es dem Hersteller zufolge, die Mine besonders kompakt zu lagern und transportieren – Mine an Mine –, was im Vergleich zu anderen Systemen auf dem Markt erhebliche Kosten in der Logistik einsparen soll. Zudem soll die Wartung der Mine sehr einfach sein, was die Lebenszeitkosten ebenfalls niedrig hält. Herstellerangaben zufolge beträgt der Wartungsaufwand pro Mine nur wenige Minuten alle zwei Jahre.
Asteria und Murena
Im Vorfeld der Kooperationsverkündung hatte zumindest die deutsche Seite dem Vernehmen nach neben der Blocker auch Grundminen des deutschen Rüstungsherstellers Rheinmetall als potenziellen Kandidaten betrachtet.
Rheinmetall hat nach eigenen Angaben über die Tochter RWM Italia S.p.A mit der Asteria und der Murena zwei moderne Seeminen im Portfolio. Die australischen Streitkräfte haben im August 2023 eines der Systeme – der genaue Typ wurde nicht veröffentlicht – im Volumen eines niedrigen dreistelligen Millionen-Euro-Betrages beschafft. In einer Pressemitteilung von Rheinmetall wurde lediglich von intelligenten Seeminen gesprochen.
Die Asteria wurde Rheinmetall zufolge in Zusammenarbeit mit der italienischen Marine konzipiert und entwickelt. Die drei Meter lange Mine wiegt rund eine Tonne, wovon bis zu 600 kg für den Sprengstoff vorgesehen sind. Die Asteria erfülle die neuesten operativen Anforderungen im Bereich der Seeminen. Die Multi-Sensor-Architektur (akustisch, seismisch, magnetisch, Druck, Underwater Electric Potential/Extremely Low Frequency Electromagnetic (UEP/ELFE) und optisch) in Verbindung mit einer intelligenten Logik machen die Asteria nach Angaben des Herstellers „extrem selektiv und effektiv gegen eine Vielzahl von Zielen und extrem widerstandsfähig gegen die modernsten Gegenmaßnahmen, einschließlich Mine Jamming, und garantieren die beste Zielabschusswahrscheinlichkeit in jedem Umgebungsszenario“. Die Einsatztiefe beträgt bis zu 300 m. Zudem ist die Mine laut Hersteller auch nach einem Jahr im Wasser sicher funktionsfähig. Die Mine kann demnach über eine spezielle bidirektionale akustische Verbindung aus sicherer Entfernung ferngesteuert werden, was die Flexibilität des Einsatzes zur Verteidigung von Häfen, Meerengen und Häfen erhöhe. Die Verlegung könne mittels Überwasserschiffen oder U-Booten erfolgen. Darüber hinaus existiert eine Trainingsvariante der Mine, die speziell entwickelt wurde, um die Fernsteuerung und die Datenerfassung während der Seeerprobung zu erleichtern.
Die Murena wird hingegen als eine „multi-influence“-Seemine angepriesen, die gegen ein breites Spektrum von Zielen wirksam sein soll. Mit rund zwei Metern Länge und einer Gesamtmasse von 780 kg – wovon 600 kg für den Gefechtskopf vorgesehen sind – ist die Mine kleiner und leichter als die Asteria. Die Verlegung erfolgt mittels Überwasserschiffen, Flugzeugen oder U-Booten. Die Minenlogik basiert Rheinmetall zufolge auf einer einzigartigen Analyse der akustischen, magnetischen und Drucksensoren des Ziels. Die Einsatztiefe soll bei 6 bis 300 Metern liegen, mit einer ununterbrochenen Einsatzdauer im Wasser von einem Jahr.
Waldemar Geiger