Das Säbelrasseln der chinesischen Volksrepublik gegenüber Taiwan scheint in den vergangenen Jahren zum sicherheitspolitischen Grundrauschen geworden zu sein. In der letzten Zeit mehren sich jedoch die Anzeichen, dass die Vorbereitungen für eine Eskalation in der Region in eine neue Phase treten könnten. Bei einer möglichen Invasion der Insel würden den Spezialkräften der Volksrepublik China eine Schlüsselrolle zukommen. Dieser Beitrag will daher auf Grundlage frei zugänglicher Quellen einen Blick auf Entstehung, Gliederung und möglichen Einsatz dieser Kräfte werfen.
Die chinesische Volksbefreiungsarmee (VBA) hat trotz ihrer offiziell bis 1927 zurückreichenden und auf Guerillaverbänden basierenden Traditionslinie lange Zeit keine Spezialkräfte im herkömmlichen Sinne aufgestellt. Stattdessen setzte die VBA, wie in China seit Jahrtausenden üblich, weiterhin auf die Wirkung der Masse. Dies zeigte sich sowohl bei der chinesischen Intervention im Koreakrieg, als auch in den Grenzkonflikten mit Indien und der Sowjetunion in den 1960er Jahren. Ein grundsätzliches Umdenken brauchte erst der ebenfalls kurze, jedoch überaus blutige chinesisch-vietnamesischen Grenzkrieg von 1979. In diesem Konflikt erlitten die regulären chinesischen Verbände teilweise schwere Verluste durch die agil operierenden, spezialisierten Verbände Vietnams. Die auf diesen Krieg folgende Reform der Streitkräfte erfolgte in mehreren Abschnitten bis 2005 und ging mit der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes einher. Dabei analysierten die chinesischen Fachleute genau den Einsatz von westlichen Spezialkräften, insbesondere bei amphibischen Landungsunternehmen wie auf Grenada oder den Falklandinseln. Den wirklichen Initialfunken für die Aufstellung von dezidierten Spezialkräften lieferte jedoch die Auswertung des Golfkrieges 1991 und die für die chinesischen Beobachter geradezu schockierende Unterlegenheit der irakischen Streitkräfte.[i]
Die Hinwendung zu mehr Qualität und weniger Quantität spiegelte sich auch in den gesamten Streitkräften wider. Zwischen 1979 und 2005 reduzierte sich die Gesamtanzahl der Angehörigen aller Teilstreitkräfte von knapp vier auf 2,3 Millionen, was noch immer eine gewaltige Anzahl darstellt. Aktuell befinden sich die Streitkräfte in einem dreistufigen Modernisierungsprozess, welcher seitens der Planer bis 2049 angelegt ist. In der ersten Stufe sollte eine vollständige Mechanisierung bzw. geschützte Motorisierung erzielt werden. Dieser Schritt gilt seit 2020 als abgeschlossen. Die zweite Stufe ist eher symbolischer Natur und bis zum 100. Jubiläum der Streitkräfte angesetzt, welches 2027 gefeiert wird. Bis 2049 soll die chinesische Volksbefreiungsarmee endgültig und vollumfänglich zur Weltspitze aufgeschlossen haben und in der Lage sein einen militärischen Konflikt gegen jeden Gegner siegreich für sich zu entscheiden.
Aufgaben und Gliederung der Spezialkräfte
Auch den Spezialkräften wird in diesem Kontext eine besondere Rolle zugewiesen. Die größte Umstrukturierung erfolgte 2015. Neben organisatorischen Maßnahmen wurde auch die gesetzliche Grundlage geschaffen Spezialkräfte in Zukunft und auch im Friedensbetrieb außerhalb Chinas, etwa zur Geiselbefreiung, einsetzten zu können. Den Einsatzgrundsätzen moderne Sondereinheiten folgend sind die drei Schwerpunkte gegliedert in Operationen gegen verschiedenste Hochwertziele (Direct Action), das Generieren von Hochwertinformationen für die eigene Operationsführung (Special Reconnaissance) und die Terrorabwehr mit Schwerpunkt Geiselbefreiung (Counter Terrorism).
Trotz der sich insbesondere in Afrika zeigenden massiven Einflussnahme Chinas als Softpower auf eine ganze Reihe von Ländern ist die Zusammenarbeit und Ausbildung befreundeter Streitkräfte (Military Assistance) keines der primären Aufgaben der Spezialkräfte. Dies kann sowohl in der grundsätzlichen Ausrichtung, als auch an einer (bis jetzt) noch nicht vorhandenen Befähigung für solche Einsätze liegen. Der Schwerpunkt in einem konventionellen Krieg liegt für die Planer der Volksbefreiungsarme mit Spezialkräften das Gefechtsfeld vornehmlich in der Tiefe für die Operationsführung der eigenen regulären Einheiten vorzubereiten. Dies beinhaltet Einsätze weit im feindlichen Hinterland gegen Logistik-, Kommunikations-, Führungs- und sonstige Schlüsselziele, wobei diese teilweise auch genommen und wenigstens kurzzeitig gehalten werden sollen.[ii]
Mit der Reduktion von 18 auf 13 Armeegruppen erfuhren auch die Spezialkräfte Anfang 2016 eine Umstrukturierung. Mit der Einrichtung der fünf regionalen Kommandos (Nord-, Ost-, Süd-, West- und Zentralkommando) wurden diesen je drei Spezialkräftebrigaden unterstellt. Eine Ausnahme stellt das westliche Kommando mit einer zusätzlichen Brigade in Tibet und das Zentralkommando mit insgesamt vier Brigaden und dem Aufklärungsregiment der Raketentruppen dar. Letzterer Verband ist ein Sonderfall innerhalb der Spezialkräfte. Die primäre Aufgabe ist das Unterbinden gegnerischer nachrichtendienstlicher Maßnahmen, der Objektschutz und die Bereitstellung von Ziel-Daten für die eigenen Raketenkräfte. Die Stärke der Brigaden ist dabei im Bereich von 2.000 bis 3.000 Personen angesiedelt, die der Regimenter in der Größenordnung von 1.000 bis 2.000 Soldaten.
Wie bei einer Streitmacht in der Dimension der chinesischen Volksrepublik zu erwarten, unterhält jede Teilstreitkraft seine eigenen spezialisierten Verbände und Spezialkräfte. Nicht nur das Heer, sondern auch die Marineinfanterie, die Luftwaffe und sogar die bereits erwähnten Raketentruppen. Hierbei kommt es zu Überschneidungen von Fähigkeiten, wie der direkte Vergleich zeigt. So entwickelt das chinesische Heer sowohl Luftlande- als auch amphibische Fähigkeiten, welche sich mit den Aufgaben der Luftwaffen-Spezialkräfte und der Marineinfanterie überlappen. Grund hierfür könnte die hohe Autonomie der jeweiligen Armeegruppen-Kommandeure sein, welche ausdrücklicher Wunsch der chinesischen Parteiführung ist. Ein zentrales Spezialkräftekommando, welches nicht nur die Führung, sondern auch Fragen der Weiterentwicklung, Beschaffung und Ausbildung in sich vereint, gibt es nicht. Dieser Umstand wirkt sich neben den Ausbildungsschwerpunkten auch auf die Zusammenarbeit mit anderen Truppengattungen und Teilstreitkräften aus.
So haben die einzelnen Verbände der chinesischen Spezialkräfte immer wieder mit anderen Einheiten, zumeist innerhalb der jeweiligen Armeegruppe in medial überdurchschnittlich stark begleiteten Übungen trainiert. Ein Beispiel ist die von zahlreichen Fernsehteams begleitete Übung der Sondereinheiten der Marineinfanterie, welche im Jahr 2020 amphibische Anlandungen im Schulterschluss mit Pioniereinheiten des Heeres auf einer Insel geübt haben. Diese Manöver auf der Ebene eines Großverbandes sind jedoch die Ausnahme. Der Fokus der Ausbildung scheint bei allen Spezialkräften in der Steigerung der Fähigkeit des einzelnen Soldaten zu liegen und endet beim Einsatz auf der Gruppenebene. Im Vordergrund stehen Aufgaben wie physische Fitness, Waffen- und Geräteausbildung, Navigation, Überlebensfähigkeiten und Tarnung. Also Aufgaben die entweder durch den einzelnen Soldaten oder im Falle eines komplexeren Systems wie einer Drohne oder Kommunikationsmitteln auf Trupp-Ebene realisiert werden können.
Die Erklärung für diese Fokussierung auf die unterste taktische Ebene ist der Umstand, dass der Großteil des Personals durch Wehrpflichtige mit einer zweijährigen Dienstzeit gestellt wird. Hierdurch sind die chinesischen Spezialkräfte mit der Herausforderung konfrontiert die anspruchsvolle Einzelausbildung immer wieder durchzuführen, um eine stetige Regeneration sicherzustellen. Gleichzeitig bietet der gewaltige Personalpool die Möglichkeit bereit ausgebildete Kräfte nach Ende der Wehrdienstzeit für das eigene Offizier- und Unteroffizierkorps zu rekrutieren. Verantwortlich für den Führernachwuchs zeichnet die Spezialkräfteakademie in Guangzhou, wobei Offiziere auch nach dem Absolvieren einer anderen Militärakademie und aus anderen Truppengattungen zuversetzt werden können.
Die Fokussierung auf die eigenen und vor allem individuellen Kernfähigkeiten und die seltene gemeinsame Ausbildung mit anderen Truppengattungen und Teilstreitkräften birgt noch eine weitere Herausforderung. Die chinesischen Spezialkräfte haben trotz ihrer Größe keine eigenen organischen Unterstützungselemente. Daher sind sie auf die Bereitstellung von Fähigkeiten wie etwa Kampf- und Führungsunterstützung, Logistik und Sanität auf die kaum geübte Zusammenarbeit mit regulären Einheiten angewiesen.
Spezialkräfte im Spiegel einer möglichen Landung auf Taiwan
Dass die chinesischen Spezialkräfte bei einer Landung auf der Insel Taiwan eine Schlüsselrolle spielen würden ist offensichtlich und unumstritten. Dabei ist eine Infiltration noch vor dem tatsächlichen Angriffsbeginn, idealerweise eng abgestimmt mit deutlich vorher auf die Insel verbrachten Angehörigen des Geheimdienstes ein wahrscheinliches Szenario. Im Falle eines amphibischen Angriffs auf Taiwan ist zudem eine bedeutende, unterstützende Rolle wahrscheinlich. Aufklärung und Zielerfassung, aber auch das Beseitigen von Sperren und nehmen von Schlüsselgelände sind die Kernelemente der Anfangsoperationen.
Eine besondere Priorität genießt zudem der Angriffe auf Hochwertziele in der Tiefe. Diese können sowohl Objekte, wie etwa Führungszentren, als auch einzelne Personen mit wichtiger politischer oder militärischer Funktion sein. Auch im Nachgang zu der Invasion sind die Spezialkräfte, insbesondere der PAP in der Rolle der Aufstandsbekämpfung gefragt, wenn sich die Lage dementsprechend entwickeln sollte. Ein Bereich, in dem die Doktrin Beobachtern zufolge der Praxis möglicherweise noch voraus ist, sind die Operationen im Informationsraum. Es ist unklar, ob die chinesischen Spezialkräfte nach einer Invasion, vorwiegend im Zusammenspiel mit anderen PLA-Einheiten für diese Rolle überhaupt geeignet sind. Eine weitere Herausforderung ist die Integration neuer Ausrüstung, sowie Führungs- und Transportmittel. So laufen neben modernen Kommunikationssystemen und Kräftemultiplikatoren wie etwa Kleinstdrohnen auch zunehmend moderne Spezialfahrzeuge zu. Diese aber auch tatsächlich zu beherrschen und in ein schlüssiges Einsatzkonzept einzugliedern ist weiterhin eine besondere Schwierigkeit für die mit Masse auf Wehrpflichtige setzenden Verbände.[iii]
Konklusion
Die chinesischen Spezialkräfte haben seit ihrer Gründung zweifelsohne eine nicht zu vernachlässigbare Entwicklung durchlaufen. Diese zeigt sich sowohl in der Ausbildung, als auch in der Ausstattung und nicht zuletzt der Doktrin. Auf der anderen Seite der Betrachtungen stehen die enormen Herausforderungen bezüglich des Erhalters von Fähigkeiten, Erfahrung und der Sicherstellung einer ständigen Einsatzbereitschaft. Zudem ist der Umstand, dass die Spezialkräfte, wie auch die restlichen Streitkräfte, seit 1979 an keinem Konflikt hoher Intensität teilgenommen haben nicht zu vernachlässigen. Tatsächliche Erfahrungen sind auf die wenigen, friedlichen Auslandsmissionen und Manöver von zweifelhafter Aussagekraft beschränkt.
In Ermangelung eines zentralen Führungsorgans ist die effiziente Verteilung und Förderung von Fähigkeiten ebenfalls nicht gewährleistet. Die hierdurch entstehenden Parallel-Strukturen sind nicht effizient. Zwar können so lokale Bedarfe gedeckt, jedoch nicht die streitkräftegemeinsamen Herausforderungen angegangen werden. Zudem stellen knappe Unterstützungselemente wie der eingeschränkte Lufttransportraum eine weitere Achillesferse dar. Es bleibt somit abzuwarten, welche zukünftigen Weichenstellungen seitens der Entscheidungsträger getroffen werden, damit die Spezialkräfte den bis Mitte des Jahrhunderts ausgerufene Weiterentwicklung hin zur Weltspitze realisieren können.
Kristóf Nagy
[i] China’s Special Operations Forces Modernization, Professionalization and Regional Implications, Darryl J. Lavender, Defense Intelligence Agency, 2013
[ii]Annual Report to Congress: Military and Security Developments Involving the People’s Republic of China, U.S. Department of Defense, 2024
[iii] Who Does What? Command and Control in a Taiwan Scenario, Joel Wuthnow, CAPSRAND-NDU, 2020