Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass Drohnen nicht nur als Aufklärungsplattformen einen wertvollen Beitrag im Gefecht leisten, sondern zunehmend auch als effektives und effizientes Wirksystem – beispielsweise in Form einer Strike-Drohne oder Loitering Munition – genutzt werden können. Gleichwohl stellen die rasanten technologischen Innovationszyklen der Drohnenkriegsführung – die sich teilweise monatlich und wöchentlich grundlegend weiterentwickelt – Militärplaner und das Beschaffungswesen in den Friedenszeiten vor große Herausforderungen.
Systeme, die heute beschafft werden, können morgen dank des rasanten Entwicklungstempos schon vollkommen unbrauchbar sein, gleichzeitig werden bei Kriegsausbruch hunderttausende, wenn nicht Millionen solcher Systeme gebraucht. So hat beispielsweise allein die Ukraine angekündigt, 2025 insgesamt vier Millionen Drohnen – der Großteil davon Strike-Drohnen unterschiedlicher Ausprägung – herstellen zu wollen.
Um dieses Spannungsfeld zwischen großem Bedarf im Krieg und der Bevorratungsproblematik aufgrund schneller Innovationszyklen aufzulösen, schlägt der in Bayern ansässige Spezialist für Wirksysteme TDW eine auf das Lethal Package fokussierte Bevorratungsstrategie vor, wie Mirko Niederkofler, Mitglied der Geschäftsführung bei der TDW Gesellschaft für verteidigungstechnische Wirksysteme mbH, in einem Gespräch gegenüber hartpunkt erläuterte.
„Drohnen haben das Gefecht im Ukraine-Krieg fundamental verändert“, beschreibt Niederkofler die aktuelle Situation. „Loitering Munitions – also Systeme, die Aufklärung und Wirkung vereinen – sind zum prägenden Element moderner Kriegsführung geworden. Die Innovationszyklen solcher Systeme werden durch Komponenten getrieben, sind extrem kurzlebig – und stellen herkömmliche Beschaffungs- und Entwicklungsprozesse infrage“, erläutert er. Seiner Auffassung nach ist es daher wenig sinnvoll, Hunderttausende solcher Systeme zu beschaffen und diese über Jahre oder Jahrzehnte einzulagern, ohne zu wissen, ob diese im Bedarfsfall nutzbar wären oder durch die Entwicklung der Drohnenabwehrfähigkeit obsolet geworden sind. Gleichwohl weiß der ehemalige Fallschirmjägeroffizier genau, wie hoch der Munitionsbedarf bei Kriegsausbruch ist und wie langwierig der Aufbau entsprechender Produktionskapazitäten sein kann.
„Als strategische Antwort auf dieses Spannungsfeld entwickelt die TDW eine neue Systemlogik, die technologische Realität und militärische Anforderungen verbindet“, so Niederkofler. Die zentrale These, die dieser Strategie zugrunde liegt, besage, dass die Annahme von schnellen Innovationszyklen im Bereich der Strike-Drohnen bzw. Loitering Munition nicht pauschal zutrifft, sagte der TDW-Manager. „Die Aussage mit den rasanten Entwicklungstempo der Drohnen stimmt nur auf der Komponentenebene“, erklärt Niederkofler. „So gibt es beispielsweise Komponenten wie Kryptierung oder Sensorik mit sehr kurzen, teilweise Software-getriebenen Innvotationszyklen von wenigen Tagen, Wochen oder Monaten. Gleichzeitig haben anderen Komponenten wie das Airframe oder die Batterie deutliche längere Innovationszyklen, die eher ein oder mehr Jahre betragen. Beim Lethal Package, also dem Gefechtskopf plus Zündsystem, sind die Zeiten, nicht nur aufgrund hoher regulatorischer Anforderungen, noch viel länger“, führt er die These weiter aus. „Der Vorteil ist, dass wenn das Lethal Package einmal entwickelt und qualifiziert ist, es für viele Jahre unverändert bleiben kann.“
Niederkofler sieht das Lethal Package deswegen als „bevorratbare, qualifizierte Basiskomponente für zukünftige Drohnensysteme“ – ähnlich wie Artilleriemunition. „Die von uns vorgeschlagene Strategie sieht vor, dass die Streitkräfte einmal Gefechtsköpfe unterschiedlicher Kaliber festlegen und diese dann in hohen Stückzahlen beschaffen und einlagern.“ Diese Wirkungskomponenten werden der TDW-Idee zufolge bei Bedarf Herstellern von Wirkdrohnen modular und standardisiert zur Verfügung gestellt. „Selbst neue Drohnenhersteller können dann einfach „andocken“ und so neue, innovative Wirk-Drohnen schnell in großen Stückzahlen produzieren. Dann hat man eine echte Nullstartfähigkeit.“
Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Vorteile der Drohnen-Technologie, die er im Vergleich zu Flugkörpern und Raketen als „unproblematisch“ beschreibt. „Beim Flugkörperdesign steht die Leistungsfähigkeit des Flugkörpers im Fokus der Entwicklung, hier wird in der Regel ein gewisser Bauraum für das Lethal Package vorgesehen. Der Gefechtskopfhersteller muss dann die Wirkungskomponente so gestalten, dass eine größtmögliche Wirkleistung mit dem zur Verfügeng stehendem Bauraum und Nutzlastgewicht erreicht wird“, beschreibt der TDW-Manager das vorherrschende Vorgehen bei der Entwicklung neuer Flugkörper. „Die Drohnen-Technologie ist was das angeht, deutlich unproblematischer. Eine Strike-Drohne kann im Grunde einfach um einen bestehenden Gefechtskopf herum gebaut werden.“ Daraus ergibt sich auch ein ökonomischer Vorteil, wenn der Gefechtskopf nicht in ein vorbestimmtes Design „gepresst“ werden muss, kann die Kosteneffizienz bei der Entwicklung deutlich stärker berücksichtigt werden. In Kombination mit jährlichen Serienabrufen von bspw. 100.000 Gefechtsköpfen, sind die Wirkungskomponenten Niederkofler zufolge vergleichsweise günstig herstellbar. „Was sich auf den ersten Blick nach viel anhört, ist im Grunde selbst dann nichts, wenn man diese Menge an Gefechtsköpfen jährlich über einen Zeitraum von zehn Jahren hinweg kauft und anschließend einlagert.“ Hier müsste man seiner Auffassung nach nur einen Blick auf den Ukraine-Krieg werfen. „Eine Anzahl von 1.000.000 Strike-Drohnen ist dort innerhalb von wenigen Monaten verbraucht“.
Ein einmal qualifiziertes Lethal Package sei langlebig und sicher und ermögliche eine Interoperabilität mit zukünftigen Plattformen, argumentiert Niederkofler. „Das Modell erlaubt Flexibilität bei gleichzeitiger Wirkungssicherheit – eine neue Form der technologischen Resilienz.“ Diesbezüglich kündigt er an, dass TDW bereits auf der im September in London stattfinden Rüstungsmesse DSEI 2025 eine neue Produktfamilie modularer Gefechtsköpfe „ready for integration“ vorstellen werde. Den größten Bedarf an Gefechtsköpfen sieht die TDW Niederkofler zufolge in einem Kaliberbereich von 110 mm. Deswegen werde ein solcher für die Nutzung in Loitering Munition konzipierter Hohlladungsgefechtskopf mit optional überstülpbaren Splitterring in London als erstes vorgestellt. Bei einem Gewicht von rund 2 kg soll der Gefechtskopf selbst Kampfpanzer sicher bekämpfen können. Mit umgestülpten Splitterring könne der Gefechtskopf zudem auch effektiv gegen Weichziele wirken. Im Anschluss soll dann auch eine Lethal Package im Kaliber 90 mm und bei Nutzerinteresse auch ein schwerer Gefechtskopf im Kaliber 140 mm folgen.
Angesprochen auf eine Gefechtskopfvariante gegen gehärtete Strukturen, antwortet Niederkofler weniger optimistisch. „Die Penetrationsleistung eines Gefechtskopfes ist abhängig von der Geschwindigkeit, mit der er auf das Ziel trifft, und der Masse des Gefechtskopfes. Drohnen sind hier zu langsam, um die geforderte Penetrationsleistung zur Bekämpfung von gehärteten Strukturen zu erreichen.“ Gleichwohl deutet er hier eine technologische Entwicklung an, an der die TDW derzeit für ein anderes Vorhaben arbeitet. Dieser deutlich komplexere Gefechtskopf dürfte jedoch preislich in einer anderen Kategorie spielen.
Waldemar Geiger