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2018 sollen elementare Weichenstellungen erfolgen

Das kommende Jahr wird für die Bundeswehr aller Voraussicht nach ein Schlüsseldatum für die Gestaltung der zukünftigen Luftverteidigung. Denn neben dem angestrebten Vertragsschluss für des Taktische Luftverteidigungssystem TLVS werden den augenblicklichen Planungen zufolge auch die Grundanforderungen für den Nah- und Nächstbereichsschutz (NNbS)  definiert. Dieser NNbS umfasst auch die Aufgaben, die in der Vergangenheit von der mittlerweile aufgelösten Heeresflugabwehr abgedeckt wurden. Das Heer sieht hier eine gefährliche Fähigkeitslücke, die möglichst schnell geschlossen werden soll.

Die Federführung bei beiden Vorhaben hat auf militärischer Seite jedoch die Luftwaffe inne. Denn diese ist seit dem 1. April 2012 für die gesamte Luftverteidigung in der Bundeswehr zuständig. Die damals durch die Inspekteure der beiden Teilstreitkräfte getroffene „Ziel- und Leistungsvereinbarung zwischen Heer und Luftwaffe über die Zusammenführung der Aufgaben Luftverteidigung und Flugabwehr in der Luftwaffe“  gelte unverändert als Grundlage für sämtliche Aktivitäten zum Schutz von Landstreitkräften sowie Heereskräften gegen Bedrohungen aus der Luft, teilte ein Sprecher der Luftwaffe dazu mit.

Die Gültigkeit dieser Vereinbarung sei unlängst durch die Inspekteure bestätigt worden, so der Sprecher weiter. Der Nah- und Nächstbereichsschutz soll der Luftwaffe zufolge im Rahmen eines dynamischen Raumschutzes, unter Berücksichtigung der Einsatzgrundsätze der Landstreitkräfte in allen taktischen Aktivitäten, sichergestellt werden. Wesentlicher bestimmender Faktor bei der Ausplanung eines solchen dynamischen Raumschutzes werde die tatsächliche technische Auslegung eines zukünftigen Luftverteidigungssystems NNbS (LVS NNbS) sein. Diese Entscheidung stehe jedoch noch aus, so der Sprecher.

Die  so genannte Fähigkeitslücke und Funktionale Forderung (FFF) für NNbS wird gegenwärtig erarbeitet.  Dieses Phasendokument, das den Lösungsweg offenlässt, soll bis Sommer 2018 durch den Generalinspekteur der Bundeswehr gebilligt werden. Eine Auswahlentscheidung auf Grundlage grundsätzlich mehrerer Lösungsvorschläge sei für Ende 2018 beziehungsweise Anfang 2019 vorgesehen. Erste Waffensysteme einer Erstbefähigung sollen der Truppe zu Beginn 2024 zur Verfügung stehen. Um die ambitionierten Zeitlinien einhalten zu können, werde bei der Realisierung der Erstbefähigung der Fokus weitestgehend auf marktverfügbare Lösungen gelegt, teilte die Luftwaffe mit.

Heer erarbeitet Konzept für „qualifizierte Fliegerabwehr“

Aufgrund dieser Vorgabe werden in der Erstbefähigung noch keine Effektoren wie etwa Laser vorhanden sein, die besonders zur Bekämpfung von Drohnen und Mini-Drohnen geeignet sind. Dieses Vakuum soll offenbar eine neue Initiative des Heeres ausfüllen, in der eine so genannte qualifizierte Fliegerabwehr aufgebaut wird – insbesondere um die Kampftruppe in beweglichen Operationen gegen die neuen Bedrohungen aus der Luft zu schützen.

Absicht sei es, dass Verbände des Heeres ein Wirkmittel erhalten, „mit dem sie auf nächste Entfernung Flugobjekte bekämpfen können“, sagte der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Jörg Vollmer, am Rande der diesjährigen Informationslehrübung Landoperationen Mitte Oktober auf dem Truppenübungsplatz Bergen. Er betonte, dass dies in klarer Trennung von der Verantwortlichkeit der Luftwaffe erfolgt.

Man denke dabei an Drohnenschwärme, die  die Truppe unmittelbar bedrohten, so der Inspekteur. Eine solche Bedrohung wolle man mit einem effektiven Wirkmittel bekämpfen „und eben nicht nur mit dem Maschinengewehr MG 3 und dem Fliegerabwehrvisier“, welche das Heer seit ungefähr 60 Jahren benutze.  Laut Vollmer soll die Fähigkeit zum Selbstschutz bis  2023 aufgebaut werden. In diesem Jahr stellt die Bundeswehr eine Brigade für die so genannte NATO-Speerspitze oder VJTF bereit.

Da die qualifizierte Fliegerabwehr aber zu einem späteren Zeitpunkt Bestandteil der NNbS werden soll, ist für Beschaffungsvorhaben im Rahmen der qualifizierten Fliegerabwehr keine separate FFF vorgesehen, wie es aus Bundeswehr-Kreisen heißt. Dem Vernehmen nach laufen gegenwärtig Gespräche mit der Industrie, um gemeinsame Lösungen zu finden. Dabei dürfte es dem Heer nicht nur um den Schutz von beweglichen Verbänden, sondern auch um den von festen Stützpunkten gehen. So sollen deutsche Kontingente in ihren Feldlagern im Baltikum mehrfach von unbekannten Drohnen überflogen worden sein.

Diskutiert wird in Heereskreisen unter anderem eine spezialisierte Bewaffnung auf vorhandenen Fähigkeitsträgern für die qualifizierte Fliegerabwehr. Wobei es hier Bedenken von Seiten der Luftwaffe gibt, dass ein solches Vorhaben die Umsetzung des NNbS-Projektes behindern oder verzögern könnte. Nicht zuletzt, weil die personellen Ressourcen in den Planungsbehörden angespannt sind.

Technisch dürften bei der qualifizierten Fliegerabwehr eine ganze Reihe von Lösungen in Frage kommen, sogar die Nutzung von Maschinengewehren. So hat die Luftwaffe zusammen mit dem Bundeswehr-Beschaffungsamt BAAINBw im Oktober ein Versuchsschießen mit Rohrwaffen bis hin zum MG3 und  MG 12,7 mm gegen Drohnen in Todendorf organisiert, wie es aus Luftwaffen-Kreisen heißt. Bekämpfen mehrere Schützen eine Drohne gleichzeitig, sei die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass diese getroffen werde, hieß es. Die aus dem Schießen gewonnen Erkenntnisse sollen in die „Taschenkarte Fliegerabwehr aller Truppen“ einfließen.

Kommando Heer blickt in die Zukunft

Sollten allerdings Drohnen im Schwarm auftreten, wird diese Art der Bekämpfung nicht ausreichen. Aus diesem Grund überlegt die Bundeswehr, Air-Burst-Munition einzusetzen, etwa mit der 40mm-Granatmaschinenwaffe. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Ansätze, mit elektromagnetischen Impulsen zu arbeiten. Als eine weitere Herausforderung gilt die Detektion von unbemannten Kleinstflugobjekten. Auch hierzu haben bereits auf dem Übungsplatz Meppen Tests mit der Industrie stattgefunden, bei denen verschiedene Sensoren getestet wurden.

Gegenwärtig befindet sich die Ausgestaltung der qualifizierten Fliegerabwehr zwar noch in der Definitionsphase, das  Kommando Heer gibt in seinem Thesenpapier „Wie kämpfen Landstreitkräfte künftig“ aber bereits einen Ausblick auf mögliche Lösungen der Zukunft. In einem fiktiven Szenario, das zeitlich nach 2026 angesiedelt ist, beschreiben die Autoren die Abwehr angreifender Drohnenschwärme:

Zunächst bekämpfen in ihren Fähigkeiten erweiterte Schützenpanzer Puma mit Air-Burst-Munition die anfliegenden UAVs, indem sie einen „Sperrvorhang“ schießen. Da die Turmwaffen, den kleinen agilen Drohnen nicht bei allen Bewegungen folgen können, werden auf Kompanieebene zusätzliche Gefechtsfahrzeuge auf Basis GTK Boxer mit einem Counter-UAV-Missionsmodul eingesetzt. Neben verschiedenen Sensoren zur UAV-Aufklärung verfügen die Fahrzeuge auch über Wirkmittel – etwa auf Basis von High-Power Electromagnetics (HPEM) oder High Energy Laser (HEL) –  um Drohnen zum Absturz zu bringen.

TLVS und NNbS mit gemeinsamen Elementen

Während es sich bei der qualifizierten Fliegerabwehr offenbar um ein Vorhaben mit begrenztem technischen Aufwand handelt und kein eigenes Luftlagebild erstellt wird, sieht dies bei TLVS und NNbS ganz anders aus. Aufgrund der Komplexität und hoher Risiken hat sich das TLVS-Vorhaben bereits um Jahre verzögert. Gut informierten Kreisen zufolge sollen die Verhandlungen zwischen MBDA und Lockheed Martin auf der Industrieseite und dem BMVg auf der Bestellerseite jedoch deutlich an Fahrt aufgenommen haben. Geplant ist offenbar, die Gespräche in den ersten Monaten des kommenden Jahres abzuschließen. Im Anschluss daran sollen die beiden Industriepartner offenbar erneut zur Angebotsabgabe aufgefordert werden. Den Kreisen zufolge ist vorgesehen, das Vorhaben noch 2018 durchs Parlament zu bringen.

Eine wesentliche Forderung der Luftwaffe als zukünftiger Nutzer  sowohl von TLVS als auch LVS NNbS ist eine weitgehende Kompatibilität beider Systeme. Dies umfasse die Möglichkeit, Komponenten wie beispielsweise Sensoren und Wirkmittel jeweils aufwandsarm integrieren sowie Daten uneingeschränkt austauschen zu können, teilte dazu der Sprecher der Luftwaffe mit. „Dazu ist eine Abstimmung beider Projekte unabdingbar, gleichwohl dürfen die zeitlichen Abläufe keine Auswirkungen auf das jeweils andere Projekt zeigen.“

Konkret könnte dies bedeuten, dass sowohl TLVS als auch NNbS idealerweise das gleiche Radarsystem einsetzen. Geht man von einem Bedarf von vier Systemen für TLVS und bis zu 14 Systemen für NNbS aus, dürfte es sich für den Lieferanten um ein mengenmäßig interessantes Geschäft handeln. Vor diesem Hintergrund wird mit Spannung erwartet, ob Saab oder Hensoldt den Zuschlag erhält. Wobei der letztere Anbieter offenbar noch kein marktverfügbares Radar im Portfolio hat.

Sollte sich die Luftwaffe mit ihrer Forderung nach Kompatibilität bei den Effektoren durchsetzen, würde dies sicherlich Diehl entgegenkommen. Denn der Diehl-Flugkörper Iris-T ist bereits als fester Bestandteil von TLVS vorgesehen. Käme noch ein Auftrag für NNbS dazu, dürfte  sich das Geschäftsvolumen deutlich erhöhen. Denn bei NNbS geht es immerhin um 14 Systeme mit jeweils 48 Raketen, aufgeteilt auf jeweils sechs oder zwölf Werfer-Einheiten.
lah/21.12.2017

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