Anzeige

Rheinmetall und Raytheon bewerben eigene Lösung

Nachdem die Angebotsabgabe für das Taktische Luftverteidigungssystem TLVS nicht wie ursprünglich erwartet bis Mitte Mai erfolgt ist,  gehen Insider von  Ende Juni als mögliches nächstes Abgabedatum aus. MBDA wollte diesen Termin jedoch nicht bestätigen.Ob die wiederholten Verzögerungen förderlich für die zeitgemäße Umsetzung des Luftverteidigungsvorhabens sind, darf wegen einer immer fragiler werden großen Koalition in Berlin bezweifelt werden. Nachdem vor einigen Monaten der Kostenrahmen für das vom Joint Venture von MBDA und Lockheed Martin entwickelte System offiziell mit rund acht Mrd EUR beziffert wurde, sehen immer mehr Beobachter Wolken über dem Projekt aufziehen. Nicht zuletzt deshalb, weil das Finanzministerium weniger Geld als ursprünglich erwartet für die Verteidigung zur Verfügung stellen will.

Rheinmetall will Systemhaus werden

Vor diesem Hintergrund haben Rheinmetall und Raytheon in einem Pressegespräch Ende April darauf hingewiesen, dass eine auf dem eingeführten Patriot-System basierende Lösung nach ihrer Einschätzung weniger als die Hälfte der für die Beschaffung von TLVS erforderlichen Summe kosten würde.  Die beiden Partner wollen dabei ein integriertes Gesamtsystem anbieten, dass ein TLVS auf Basis von Next Generation Patriot mit dem gegenwärtig in der Planungsphase befindlichen  Nah- und Nächstbereichsschutz (NNbS) verknüpfen soll. Mittels einer einheitlichen Architektur und eines durchgängigen Führungssystems soll damit ein  „ System Full Spectrum Air Defense“ aufgebaut werden. Rheinmetall will sich dabei als Systemhaus für die gesamte bodengebundene Luftverteidigung der Bundeswehr etablieren und dabei Raytheon eng einbinden.

Deutschland ist gerade dabei, seine Patriot-Systeme auf den Standard Config 3+ zu erweitern. In einem ersten Schritt wurden dazu die Konsolen in den Feuerleitzentren modernisiert. Die Digitalisierung des Radars steht offenbar noch aus.

Beschränkte Abdeckung des Patriot-Radars

Ein Schwachpunkt des gegenwärtigen Patriot-Systems ist die eingeschränkte Abdeckung seines Radars, das bei 120 Grad liegen soll.  Im Rahmen von NextGen Patriot will Raytheon sein neues 360 Grad fähiges Radar auf Basis der modernen Gallium-Nitrit-Technik anbieten. Das Unternehmen geht davon aus, dass ein Kunde rund 48 Monate nach Vertragsunterschrift das neue Radar erhalten könnte. Der Sensor verfügt über ein Hauptpaneel und zwei kleinere Paneele  weiter hinten. Dem Vernehmen nach sollen bereits diese kleinen Paneele aufgrund der modernen Technik eine größere Reichweite aufweisen als das aktuell bei der Bundeswehr genutzte Patriot-Radar.

Mit einem weitgehend gleichen Radar ist Raytheon in den USA im Wettbewerb um eine Nachfolgelösung des bei der US Army eingeführten Patriot-Radars. Hier soll offenbar eine Vergleichserprobung mit Sensoren von Raytheon, Lockheed Martin und Northrop Grumman erfolgen. Sollte sich Raytheon dabei nicht durchsetzen, könnte das Radar dennoch für den Export – etwa nach Deutschland – angeboten werden. Wobei  die Attraktivität eines Produktes jedoch oftmals sinkt, wenn die Streitkräfte des Herstellerlandes dieses nicht einführen.

Beim Angebot von Rheinmetall und Raytheon stellt sich überdies die Frage, welche Battle-Management-Software verwendet wird. Dem Vernehmen nach ist für NNbS bereits das von Airbus Defence and Space entwickelte IBMS gesetzt. Auch die Niederländer wollen im Rahmen des Projektes Apollo ihre bodengebundene Luftverteidigung mittels IBMS mit der deutschen Luftwaffe verbinden.

Qualifizierte Fliegerabwehr vor nächstem Schritt

Offenbar würde auch Rheinmetall am liebsten IBMS für die Kopplung von NextGen Patriot mit NNbS nutzen. Allerdings untersucht Raytheon im Augenblick für das BMVg im Rahmen einer Studie die Integration von Iris-T SL in das Patriot System. Dabei soll sowohl die Option einer direkten Einbindung  der Iris-T in das Patriot-Feuerleitsystem als auch die Kopplung über IBMS  betrachtet werden.

Rheinmetall weist bei seinem Vorschlag auf die große Lücke bei Heer und Luftwaffe hinsichtlich der Aufklärung und Bekämpfung von Drohnen hin. Diese können als Aufklärer – etwa für die gegnerische Artillerie – oder als Transportplattform für Sprengmittel genutzt werden. Im Rahmen des NNbS-Vorhabens 1b sollen bis zu zehn Transportpanzer Boxer für die so genannte qualifizierte Fliegerabwehr des Heeres ausgerüstet werden. Ziel ist es, bei der von Deutschland geführten VJTF 2023 eine begrenzte Befähigung der mobilen Truppen zum Kampf  gegen Drohnen bereitzustellen. Wie es aus gut informierten Kreisen heißt, sollen dabei die Drohnen im Winkel von 360 Grad um das Fahrzeug und aus der Fahrt bekämpft werden können.

Dem Vernehmen nach sind hier Rheinmetall sowie der norwegische Kongsberg-Konzern mit einer 40mm-Granatmaschinenwaffe im Rennen. Ein australisches Unternehmen, das mit einer in die Bundeswehr als MG6 eingeführten Minigun am Vergleichstest antreten wollte, soll dagegen nicht mehr dabei sein.

Um die Drohnen überhaupt detektieren zu können, müssen die Fahrzeuge über entsprechende Sensorik verfügen.  Während Rheinmetall dem Vernehmen nach auf eine israelische Radarlösung setzt, hat sich Kongsberg offenbar mit dem deutschen Sensorhaus Hensoldt zusammengetan.

Puma mit Potenzial

Für die Zeit unmittelbar nach Umsetzung dieser qualifizierten Fliegerabwehr will  Rheinmetall seinen Flugabwehrpanzer Skyranger mit 35mm-Schnellfeuerkanone auf Boxerfahrgestell für NNbS positionieren. Neben der Kanonenlösung sollen weitere Fahrzeuge über Lenkflugkörper kurzer Reichweite verfügen, die auch aus der Fahrt verschossen werden können.  Eigentlich wäre der  Skyranger von seinen Leistungsdaten deutlich besser als eine 40mm-Granatmaschinenwaffe für die qualifizierte Fliegerabwehr der VJTF 2023 geeignet. Allerdings ist das System noch nicht fertigentwickelt.

Über eine leistungsfähige 30mm-Waffe mit tempierbarer Splittermunition verfügt auch der Schützenpanzer Puma. Um ihn gegen kleine, schnell fliegende Drohnen erfolgreich einsetzen zu können, benötigt er allerdings eine andere Sensorik und Anpassungen beim Feuerleitrechner. Sollten sich Radarpaneele statt rundsuchender Radare bei der qualifizierten Fliegerabwehr bewähren, ergäbe sich hier vielleicht auch Potenzial für den Puma.

Nachdem offenbar die Sensor- und Schießtests zur qualifizierten Fliegerabwehr mittlerweile abgeschlossen wurden, rechnen Insider mit Vertragsverhandlungen zwischen den beiden Teilnehmern und dem Bundeswehr-Beschaffungsamt noch im Juni.
lah/3.6.2019

.i.td-icon-menu-up { display: none; }