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Ehrgeiziger Zeitplan erfordert 2018 umfassende Auswahltests

Das deutsche Heer will seine offenkundige  Fähigkeitslücke im Bereich der Abwehr tief und sehr tief fliegender Flugobjekte so schnell wie möglich schließen. Wie es aus gut informierten Kreisen heißt, sollen bei der Beteiligung Deutschlands an der übernächsten Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) im Jahr 2023 bis zu einem Dutzend Fahrzeuge – ausgerüstet für die  so genannte qualifizierte Fliegerabwehr – erstmals in den Einsatz gebracht werden.

Diese mit Rohrwaffen und womöglich auch Radarsensoren bestückten Fahrzeuge sollen die Aufgabe übernehmen, die mobilen Einheiten der Landstreitkräfte an vorderster Front gegen tieffliegende Fluggeräte wie etwa Drohnen zu schützen. Die klassische Luftverteidigung bleibt dabei weiterhin Aufgabe der Luftwaffe, wie es zwischen den Inspekteuren der beiden Teilstreitkräfte vereinbart wurde.

Zieldatum 2023

Das Zieldatum 2023 setzt die Planer der Bundeswehr unter erheblichen Druck, denn es gilt jetzt den im Rahmen der Verfahrensvorschrift CPM (nov) auf  etwa sieben Jahre ausgelegten Zeitraum von der ersten Idee bis zur Serienreife eines neuen Produktes auf vier Jahre zur drücken.

Da offenbar die so genannte Fähigkeitslücke Funktionale Forderung (FFF) für den Nah- und Nächstbereichsschutz (NNBS) der Luftverteidigung – darin ist auch die qualifizierte Fliegerabwehr enthalten – weitgehend fertiggestellt wurde,  sollen noch in diesem Jahr die Feldversuche zur Bewertung der am Markt verfügbaren Waffensysteme und Sensoren erfolgen.

Den Kreisen zufolge wird die FFF voraussichtlich Ende Februar dem Generalinspekteur der Bundeswehr zur Zeichnung vorgelegt. Die Lösungsvorschläge – abgeleitet von den anstehenden Tests im laufenden Jahr – sollen dann bis zum ersten Quartal 2019 präsentiert werden. Idealerweise könnte  dann im zweiten Quartal des kommenden Jahres eine Auswahlentscheidung getroffen werden. Dieses enge Zeitkorsett ist dem Vernehmen nach erforderlich, um im ersten Halbjahr 2022 die neue Technologie in die Truppe bringen zu können.

Kaliber der Rohrwaffe muss  noch bestimmt werden

Wie es aus Kreisen des Heeres verlautet, wird die technische Lösung für die qualifizierte Fliegerabwehr voraussichtlich aus einem Basisfahrzeug mit einer oder mehreren Maschinenwaffen bestehen, sowie weiteren Fahrzeugen als Scout- oder Führungsfahrzeug, beziehungsweise Radarträger. Hier sollen offenbar die anstehenden Testkampagnen Aufschlüsse über den idealen Mix der Rohrwaffenbewaffnung und Sensorik geben. Als Basisfahrzeug scheint der Radpanzer Boxer gesetzt zu sein, der aufgrund seiner Leistungsreserven sehr beliebt ist und logistische Vorteile bietet.

Mit der qualifizierten Fliegerabwehr soll in erster Linie der neuen Bedrohung durch Drohnen begegnet werden. Sollten jedoch klassische Gegner wie tieffliegende Kampfhubschrauber oder Erdkampfflugzeuge angreifen, müssten die eigenen Kräfte auch vor diesen geschützt werden. Dieses breite Zielspektrum könnte darauf hindeuten, dass Rohrwaffen mit hoher Kadenz im Kaliberbereich von 30mm bis 40mm in die engere Wahl kommen. Womöglich könnte eine weitere Maschinenwaffe kleineren Kalibers damit kombiniert werden, um unverhofft auftretenden Drohnenschwärmen im Nächstbereich zu begegnen. Aufgabe der qualifizierten Fliegerabwehr wird es allerdings nicht sein, den Angreifer abzuschießen. Vielmehr geht es darum, ihn zum Missionsabbruch zu zwingen, um die eigenen Operationen fortführen zu können.

Ein Zug pro Kampftruppenbataillon

Die Überlegungen im Heer gehen offenbar dahin, pro Kampftruppenbataillon einen Zug mit Fahrzeugen zur qualifizierten Fliegerabwehr vorzuhalten. Dabei würde dann womöglich ein Panzer-, Panzergrenadier- oder Jägerzug seine Fahrzeuge in die Umlaufreserve geben und gegen die neuen „Flak-Boxer“ tauschen. Der Vorteil eines solchen Verfahrens wäre es, dass die für die qualifizierte Fliegerabwehr eingeplanten Soldaten bestens mit  den Einsatzgrundsätzen ihres Verbandes vertraut sind und sich friktionslos einfügen könnten. Sollte einmal keine Bedrohung aus der Luft zu erwarten sein, wären sie in ihrer klassischen Funktion einsetzbar.

Da gegenwärtig 22 aktive und vier nicht-aktive Kampftruppenbataillone plus zwei Fallschirmjägerregimenter sowie das KSK im Organigramm des Heeres abgebildet sind, dürfte langfristig der Bedarf an neuer Technik erheblich sein. Die Zahl der zu schützenden Kampftruppenbataillone macht gleichzeitig die Größe der aktuellen Fähigkeitslücke deutlich – besonders vor dem Hintergrund, dass mittlerweile eine große Anzahl von Drohnen bei geringen Kosten auf das Gefechtsfeld gebracht werden kann.

Um die zeitlichen Meilensteine zu erreichen, müssen die Tests zur Einführung des neuen Materials beschleunigt werden. Dem Vernehmen nach plant das Heer deshalb, von der sequentiellen Einsatzprüfung abzugehen und parallel zum Bundeswehr-Beschaffungsamt BAAINBw und der Wehrtechnischen Dienststellen, mit eigenen Test- und Versuchskräften die von der Industrie für die Evaluierung zur Verfügung gestellten Waffensystemen und Sensoren zu erproben. Dadurch soll die Feedback-Schleife verkürzt und womöglich auch neue Einsatzgrundsätze entwickelt werden.  Schließlich geht es auch darum, vor einigen Jahren aufgegebene Fähigkeiten unter neuen Rahmenbedingungen neu aufzubauen.

Um Entwicklungskosten zu sparen und den Beschaffungsprozess zu beschleunigen, setzen die Planer des Heeres auf die Nutzung von „Military oft he Shelf“ (MOTS)-Produkten. Wie es heißt, werden in Kürze Anbieter von eingeführten Waffenstationen und Fliegerabwehr-Waffen aufgefordert, ihre Systeme vorzustellen. Gut informierten Kreisen zufolge könnte es sich um drei bis fünf Anbieter handeln.

JFST könnte eingebunden werden

Die Einbindung der neuen Fliegerabwehr-Komponente in das Luftlagebild  kann wohl prinzipiell über die Joint-Fire-Support-Teams (JFST) erfolgen, die zukünftig ebenfalls in der schweren Variante mit dem Boxer ausgestattet sind. Schließlich müssen die JFST sowohl Luft-Boden- als auch Boden-Boden-Wirkmittel koordinieren, wofür ein Zugriff auf das Luftlagebild unabdingbar ist. Allerdings sollen die Flak-Boxer weder untereinander digital vernetzt werden, noch direkten Datenfunk zur Luftwaffe erhalten. Das für die qualifizierte Fliegerabwehr erforderliche Luftlagebild wird voraussichtlich durch Sprechfunk übertragen.

Während die Flak-Boxer den Kreisen zufolge mit opto-elektronischen Sensoren ausgestattet werden, muss noch geklärt werden, in welcher Form Radare zum Einsatz kommen. Dabei werden voraussichtlich hoch entwickelte Systeme benötigt, die auch wenige Zentimeter große Kleinstdrohnen detektieren können.

Wie es heißt, soll die qualifizierte Fliegerabwehr auf bewährter Technik beruhen und kein hochdigitalisiertes High-End-Produkt werden. Umso mehr wird es auf die Ausbildung der Soldaten ankommen, die ihre Ziele erkennen und bewerten müssen. Offenbar setzt das Heer auf diesen Mix aus analogen und digitalen Systemen nicht nur um Kosten und Zeit zu sparen, sondern auch um widerstandsfähig gegen Cyber-Attacken zu sein.
lah/25.01.2018