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Wesentliche Prozessfortschritte stehen bevor

Die „Digitalisierung landbasierter Operationen“ (D-LBO) nimmt zusehends Geschwindigkeit auf. Nachdem Ende vergangenen Jahres der Teilnahmewettbewerb zur Ausschreibung neuer Handfunkgeräte für die Truppe eröffnet wurde, stehen 2021 weitere wichtige Vorhaben an. Dazu zählt etwa der Start des Vergabeprozesses für digitale Führungsfunkgeräte und die Beauftragung für die Fahrzeugintegrationen.

Denn die Bundeswehr hält an ihrem Ziel fest, bis Ende 2026 die ersten beiden Kräftedispositive – gestellt im Wesentlichen von der Panzerlehrbrigade 9 –  auf einen neuen digitalen Standard zu bringen. Einzelne wichtige Entscheidungen für Kernkomponenten von D-LBO sind dabei schon gefallen. So wird Sitaware Frontline als Battle Management System (BMS) – als Führungs- und Informationssoftware –  der beiden ersten neu auszustattenden Kräftedispositive im Rahmen D-LBO verwendet. Die Beschaffung des BMS, das nach Definition des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) zum „Mission Enabling Service“ zählt, war neben der Ausstattung der für die VJTF 2023 ausgewählten Panzergrenadierbrigade 37 von Beginn an für die Weiterverwendung angelegt worden, weshalb der Bund eine Generallizenz für die Nutzung erworben hat. Das von einer dänischen Firma gelieferte Battle Management System, mit dem unter anderem Lagedaten eigener und gegnerischer Kräfte dargestellt werden, hatte sich im Vergleichstest gegen ein deutsches Produkt durchgesetzt. Bei der VJTF 2023 wird es noch in Kombination mit den veralteten analogen SEM-Sprechfunkgeräten der Bundeswehr verwendet, die um einen Router erweitert, begrenzt digitale Informationen übertragen können.

Die Kommunikation erfordert jedoch auch in digitalisierten Funknetzen ein hohes Maß an Disziplin. Durch das Bandbreitenmanagement des BMS werden moderne Führungsprinzipien wie „Need to Share“ ermöglicht.

Für die Nutzung des Sitaware-BMS im Rahmen D-LBO spricht nach Meinung von Insidern auch der Fakt, dass andere militärische Kooperationspartner in Europa –  und dabei vor allem die US-Army –  das Produkt verwenden. Damit werde die Interoperabilität auf dem Gefechtsfeld sichergestellt.

Erweiterungen für BMS vorgesehen

Außerdem bietet die Software dem Vernehmen nach offene Schnittstellen, die Erweiterungen um nicht enthaltene Fähigkeiten ermöglichen. So sollen zum Beispiel truppengattungsspezifische Anwendungen angebunden werden. Das Vorgehen erlaubt es, Sitaware als übergreifendes Führungsinformationssystem zu verwenden, das um bestimmte für die einzelnen Truppengattungen relevante Komponenten erweitert wird.

Außerdem soll die Schnittstelle zwischen dem Soldaten-BMS Tacnet, das in die 44 Schützenpanzer Puma im Rahmen der VJTF 2023 eingerüstet wird, und Sitaware programmiert werden. Denn die Schützenpanzer verfügen nicht wie alle anderen Fahrzeuge der VJTF-Brigade über Sitaware, sondern stellen quasi eine Kommunikationsinsel im Verband dar. Insgesamt werden zehn Zugsysteme Tacnet für die VJTF beschafft.

Die VJTF 2023 gehört nicht zu D-DLBO, denn neben dem BMS und neuen Routern wird wie beschrieben noch analoge Funktechnik verwendet. Während Sitaware Headquarters auf Führungsebene für die stationäre Verwendung in Stäben und Sitware Frontline auf Fahrzeugebene gesetzt sind, kommt mit D-LBO die abgesessene Ebene als neue technische Herausforderung hinzu.

Ob die bei VJTF (L) 2023 verwendeten IT-Komponenten auch im Kontext D-LBO zum Einsatz kommen, ergibt sich aus der weiteren Realisierung von D-LBO. Mit dem Beginn von weiteren Vergabeverfahren für die Realisierung von D-LBO ist ab diesem Jahr zu rechnen.

Funkgeräteausschreibungen

Im vergangenen November hat das BAAINBw die Ausschreibung für „militärisch gehärtete UHF-Soldatenfunkgeräte in den Bauformen Handfunkgerät und Fahrzeugfunkgerät einschließlich der damit zusammenhängenden Dienstleistungen und des für den Betrieb erforderlichen Zubehörs“ mit der Eröffnung des Teilnahmewettbewerbs gestartet. Nachdem potenzielle Teilnehmer ihre Interessenbekundungen eingereicht haben, soll dem Vernehmen nach Ende April oder Anfang Mai der nächste Schritt erfolgen: Die auf der Shortlist verbleibenden drei bis fünf Unternehmen werden zu einem verbindlichen Angebot für einen Rahmenvertrag für mehrere Tausend Soldatenfunkgeräten aufgefordert.

Der Teilnahmewettbewerb für neue digitale Führungsfunkgeräte – früher als Combat Net Radios bezeichnet – soll nach heutigem Stand voraussichtlich Ende April/Anfang Mai stattfinden. Dem Vernehmen nach soll auch diese Beschaffung als Rahmenvertrag aufgesetzt werden, ebenfalls mit einigen Tausend Funkgeräten, um mehr Flexibilität beim Zulauf der Funktechnik zu haben.

Musterintegration steht bevor

Ein weiterer wichtiger Fortschritt wurde offenbar bei der Integration der zukünftigen Kommunikationsausstattung in die Fahrzeuge der Bundeswehr gemacht. So hat das BAAINBw Vorgaben für eine standardisierte Rüstsatzintegration in einer technischen Lieferbedingung (TL) A-0200 festgelegt. Hierin sind unter anderem verschiedene Baumaße und Schnittstellen für Racks vorgegeben, die Funkgeräte aufnehmen können – ähnlich den in den 80er und 90er Jahren gebräuchlichen Standard-Schächten für herausziehbare Autoradios. Diese Vorgaben gelten sowohl für die in den Fahrzeugen zu verortenden Racks, als auch für die neu zu beschaffenden IT-Komponenten.

Mit der Maßnahme soll zukünftig die Muster- und Serienintegration von neuer Funktechnik, flexibler gestaltet werden. Nur so kann die Diskrepanz zwischen dem mitunter langen Lebenszyklus eines Fahrzeugs und dem Lebenszyklus der IT-Komponenten durchbrochen werden. Schließlich bleiben Kampf- und Unterstützungsfahrzeuge Jahrzehnte im Dienst, der Schützenpanzer Marder etwa ist seit Anfang der 70er Jahre im Einsatz, während die IT- und Funkausstattung der Ketten- und Radfahrzeuge in Zukunft aufgrund der schnellen technischen Entwicklung in deutlich kürzeren Abständen ausgewechselt werden dürfte.

Wie es aus BAAINBw-Kreisen heißt, sind die Standardisierungsvorgaben in der TL A‑0200 so dimensioniert, dass die Racks einerseits in den Großteil der bereits eingeführten Fahrzeuge integriert werden können, und andererseits einen größtmöglichen Wettbewerb bei der Neubeschaffung der IT-Komponenten zulassen. Definiert sind in der TL A‑0200 neben den Maßen der Racks auch zahlreiche weitere Anforderungen wie Kabel-Konfiguration, Stecker, Stromversorgung, elektromagnetische Verträglichkeit, Rüttelfestigkeit, Spannungsbedingungen etc. Den Kreisen zufolge soll die Industrie in den kommenden Monaten mit der Musterintegration dieser standardisierten Einbausätze beauftragt werden.

Neben den Umrüstungen der Bestandsfahrzeuge im Rahmen D‑LBO sollen die Vorgaben der TL A‑0200 auch für neuzulaufende Fahrzeuge in der Bundeswehr gelten. Die Forderungen werden bundeswehrintern bereits in den entsprechenden Forderungsdokumenten berücksichtigt.

Arbeiten an Middleware gehen voran

Neben Führungssoftware, digitaler Funktechnik und deren Fahrzeugintegration gilt der Tactical Core – eine so genannte Middleware – als das Herz von D-LBO. Diese Software soll es quasi als „Betriebssystem“ ermöglichen, andere Programme, wie zum Beispiel ein BMS, auszuführen. Der Tactical Core ist in erster Linie für die Service-Bereitstellung (Speicherung, Verteilung und Verschlüsselung von Daten und Sprache), das Routing und das Netzmanagement zuständig. Denn bei D-LBO steht der Netzgedanke im Mittelpunkt, wobei es sich um ein selbstorganisierendes und dezentrales so genanntes mobiles Ad-hoc-Netz (MANet) handelt. Dabei fungieren die einzelnen Fahrzeuge als Knoten, über die Informationen weitergeben werden. Dies soll es möglich machen, dass die Netzintelligenz ohne Zutun der Endnutzer automatisch entscheidet, über welche Knoten eine Nachricht weitergeleitet wird – ähnlich dem Internet. Die Beschränkungen, wie sie heute aufgrund der Funkkreise gegeben sind, bestehen dann nicht mehr.

So könnte etwa ein Kompaniechef seine Botschaften über die im D-LBO-Netz verfügbare Satellitenkommunikation senden, obwohl er selbst keine Hardware dafür im Fahrzeug hat. Denn der Tactical Core sorgt dafür, die gerade nicht voll ausgelastete Satcom-Anlage eines anderen Fahrzeuges zu nutzen. Sollte der Satelliten-Terminal im Gefecht ausfallen, würde die Nachricht an einen anderen Knoten zur Übertragung weitergeleitet. Damit bleibt das Netz weiter funktionsfähig, wenn auch mit eingeschränkter Leistung.

Der Tactical Core wird im Auftrag des Bundes von einem heimischen Unternehmen entwickelt. Als Rechner für die Software sollen unter anderem die neuen leistungsfähigen Kommunikations-Server genutzt werden, wie sie aktuell für die VJTF(L) 2023 genutzt werden.

Nachdem im Frühjahr vergangenen Jahres ein Design-Freeze für das erste Lösungsinkrement des Tactical Core verfügt wurde, wird seitdem an der Serienreifmachung der Software gearbeitet. Zum Darstellen der künftigen Fähigkeiten findet regelmäßig ein so genannter Proof of Concept statt. Zudem wurde im Dezember die Software dem Heer zum Testen bereitgestellt. Diese soll pünktlich zum Roll-Out des 1. Kräftedispositives serienreif sein. Weitere D-LBO-Komponenten, für die noch im laufenden Jahr der Vergabeprozess starten soll, ist der HF-Funk, Satcom sowie mobile Zellulare Netze. Im Gegensatz zu den Zellularen Netzen verlegefähig, die Motorola liefern soll, geht es bei den mobilen Netzen darum, dass auch die Sender beweglich auf Fahrzeugen installiert sind.

Während die Bundeswehr intensiv auf das Ziel der Digitalisierung der ersten beiden Kräftedispositive hinarbeitet, steht das deutsch-niederländische Vorhaben Tactical Edge Networking (TEN) im Augenblick still. Gegenwärtig besteht kein Bedarf für eine gemeinsame Beschaffung von Funktechnik und Software – wie ursprünglich eigentlich vorgesehen.

Wie es heißt, wurden zwei Arbeitsgruppen mit Teilnehmern aus beiden Ländern eingerichtet, die „lessons identified“ herausarbeiten sollen. Daraus könne womöglich bis Mitte kommenden Jahres ein neuer Arbeitsplan entwickelt werden. Allerdings dürfte auf deutscher Seite nicht vor der Ausrüstung des dritten Kräftedispositives im Jahr 2028 die Möglichkeit einer gemeinsamen Beschaffung bestehen. Dabei wäre eine gemeinsame Kommunikationsausstattung wünschenswert. Denn die Landstreitkräfte beider Länder sind bereits eng miteinander verwoben.
lah/26.4.2021

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