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Verschiedene Optionen bei Tornado-Nachfolge

In seiner Regierungserklärung wenige Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hat Bundeskanzler Olaf Scholz zwei Aussagen mit weitreichenden Folgen für die Luftwaffe gemacht. Zum einen sagte er, dass für die so sogenannte nukleare Teilhabe das US-Kampfflugzeug F-35 in Frage komme, zum anderen, dass der Eurofighter für die Rolle des elektronischen Kampfes weiterentwickelt werden soll.

Kurz nach dieser Ankündigung bestätigte das Verteidigungsministerium, insgesamt 35 Maschinen des Typs F-35 in den USA beschaffen zu wollen. Weitere Informationen wurden nicht veröffentlicht. Auch nicht, ob die Flugzeuge aus dem regulären Verteidigungshaushalt oder aus dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro bezahlt werden sollen. Zu Redaktionsschluss wurde noch an der Liste für das Sondervermögen gearbeitet. Es handele sich um ein „lebendiges Dokument“, hieß es dazu aus dem Verteidigungsministerium.

Mit der Auswahl der F-35 ist die von der Vorgängerregierung präferierte Beschaffung von F/A-18 und AE-18 Growler von Boeing für den elektronischen Kampf vom Tisch. Die Bundesregierung folgt mit dem Entscheid jedoch einem Trend. Denn auch andere europäische Nationen wie die Schweiz, Belgien und Finnland haben sich zuletzt für den Kauf der F-35 von Lockheed Martin entschieden. Allerdings hatten diese Länder der Auswahlentscheidung in der Regel ein umfassendes und langwieriges Wettbewerbsverfahren vorgeschaltet. Darauf hat die Bundesregierung verzichtet. Entsprechend sind auch kaum Informationen über den anstehenden F-35-Kauf verfügbar. Wie es aus Industriekreisen heißt, dürfte es sich bei der zu beschaffenden Variante der F-35 um den Block 4 handeln, wie er auch nach Finnland geliefert werden soll.

Endmontiert werden die Maschinen womöglich in Italien. Denkbar ist allerdings auch, dass die ersten F-35, mit denen das Training der deutschen Piloten starten soll, noch direkt aus den USA kommen. Wie es heißt, könnten die ersten Exemplare Ende 2025 oder Anfang 2026 zulaufen. Luftwaffeninspekteur Generalleutnant Ingo Gerhartz wünscht sich zumindest, dass die ersten Maschinen 2025 „auf dem Hof stehen“, wie er kürzlich twitterte. Da der zu ersetzende Tornado-Kampfjet bis 2030 aus der Nutzung genommen werden soll, müssten alle F-35 bis zu diesem Zeitpunkt im Bestand der Luftwaffe sein.

Die Vertragsunterzeichnung für die Flieger, die im Rahmen des Foreign Military Sales (FMS) Verfahrens, in den USA gekauft werden, dürfte erst in einigen Monaten erfolgen, da festgelegten Prozeduren zu folgen ist.  Wie es heißt, wurde der so genannten Letter of Request bereits der US-Seite übermittelt. Bevor der so genannte Letter of Offer and Acceptance, der einem Vertrag gleichkommt, möglicherweise im September vorliegt, gilt es einige Hürden zu überwinden. So muss der US-Kongress die Lieferung, bei der das US-Militär im Auftrag Deutschlands als Käufer der Flugzeuge auftritt, noch genehmigen. Die dafür erforderliche Congressional Notification mit Angaben zu Kosten und Umfang der Beschaffung wird in Fachkreisen für den Sommer erwartet. Spätestens dann dürften auch die Preise für die Kampfflieger sowie deren Ausstattung und Waffen publik werden.

Insider verweisen jedoch darauf, dass die in der Notification aufgeführten Systeme und Waffen nicht zwangsläufig von der Bundeswehr gekauft werden müssen. Die dort genehmigten Pakete seien oftmals umfangreicher, um spätere Ergänzungen, die erneut vom Kongress gebilligt werden müssten, zu vermeiden.  Da sich Washington und Berlin grundsätzlich über das F-35-Geschäft einig sind, ist ein finaler Vertragsschluss bis Dezember nicht unrealistisch. Wie es aus Kreisen des Verteidigungsministeriums heißt, hofft man auf eine so genannte 25-Mio-Vorlage noch in diesem Jahr.

Eurofighter bleibt das Rückgrat

Da die F-35 nur in begrenzter Stückzahl beschafft werden soll, bleibt der Eurofighter als wesentlicher Fähigkeitsträger im Bereich der luftgestützten Luftverteidigung sowie der Luftangriffsfähigkeit das Rückgrat der Luftwaffe. In den vergangenen Jahren wurde bereits wichtige Entscheidungen hinsichtlich der weiteren Nutzung dieses Flugzeugmusters getroffen. So hat das Verteidigungsministerium die Unternehmen Hensoldt und Airbus mit der Entwicklung eines neuen ESCAN-Radars für die deutschen Eurofighter beauftragt. Überdies wird die Tranche 1 des Flugzeugs aus dem Betrieb genommen und durch eine Tranche 4 mit 38 Maschinen im Rahmen des Vorhabens Quadriga ersetzt. In dieser Tranche sind auch vier so genannte instrumenierte Eurofighter enthalten, die speziell verkabelt und ausgerüstet sind, um das Waffensystem zusammen mit der Industrie weiterzuentwickeln.

Nach Angaben eines Airbus-Sprechers befindet sich das Quadriga-Programm seit 2021 in der Ausführungsphase. Lieferkettenprobleme oder Preissteigerungen – wie sie im Augenblick andere Rüstungsunternehmen berichten – können laut Airbus durch langfristige Verträge und Partnerschaften mit einem robusten Zuliefer-Netzwerk vermieden werden. Die aktuelle Situation in der Ukraine habe keine direkten Auswirkungen auf das Programm, so das Unternehmen.

Wie es im jüngsten Rüstungsbericht von Ende vergangenen Jahres heißt, wird überdies die Realisierungsphase des in der konkreten Ausplanung befindliche Long Term Evolution Programme für den Eurofighter fortgesetzt.

Mit der Beschaffung der Tranche 4 soll eine signifikante Verlängerung der Nutzungsdauer des Eurofighters bis weit über das Jahr 2050 ermöglicht werden. Solange keine andere Eurofighter-Partnernation ebenfalls weitere Luftfahrzeuge beschaffe, sei davon auszugehen, dass der Erhalt der Einsatzreife in diesem Zeithorizont nicht mehr durch ein viernationales Projekt gewährleistet werden könne und Deutschland weitreichende eigene Kompetenzen aufbauen müsse, so das BMVg. Dazu wurde im vergangenen Jahr die Pilotphase zur Einrichtung eines nationalen Test- und Entwicklungszentrums Eurofighter (NaTE EF) erfolgreich abgeschlossen. Nach Angaben der Luftwaffe handelt es sich mit NaTE EF um einen Verbund aus Luftwaffe, Beschaffungsorganisation, Zulassung und Industrie. Die Aktivitäten zur konkreten Ausgestaltung wurden laut Rüstungsbericht bereits im September 2021 begonnen. Ziel sei es, eine erste Befähigung schon im Jahr 2023 bereitstellen zu können.

Diese soll vor allem die bereits im Aufbau befindliche eigene nationale Entwicklungs- und Betreuungskompetenz bei Airbus und Hensoldt im Bereich der Hard- und Software für das ESCAN-Radar unterstützen. Seine volle Leistungsfähigkeit soll das NaTE EF mit der Auslieferung der vier im Quadriga-Programm zu beschaffenden Erprobungsluftfahrzeuge ab 2026 erreichen.

Die Auslieferung der Eurofighter der Tranche 4 soll nach augenblicklicher Planung ab dem Jahr 2025 beginnen und ab Mitte des gleichen Jahres soll auch die Auslieferung und Nutzung der in Entwicklung befindlichen ESCAN-Radare MK1 in die deutschen Eurofighter der Tranchen 2 und 3a sowie den neuen Flugzeugen der Tranche 4 beginnen. Die Entwicklung  dieses Radars und des damit verbundenen Multi-Channel-Receivers wird in Deutschland als Schlüsseltechnologie eingestuft.

Eurofighter für elektronischen Kampf

Hinsichtlich der Weiterentwicklung des Eurofighters für die Rolle des elektronischen Kampfes – wie vom Kanzler angekündigt –  sind bislang noch keine weiteren Informationen vom BMVg veröffentlicht worden. In Fachkreisen wird davon ausgegangen, dass auch hier – ähnlich wie beim neuen Radar – Hensoldt und Airbus eine Schlüsselrolle einnehmen werden. Klar ist zumindest, dass es sich um ein sehr komplexes und kostenintensives Vorhaben handelt.

Nach Aussage des Airbus-Sprechers erarbeitet die Luftwaffe gerade die operationellen und technischen Anforderungen eines zukünftigen Eurofighters für den elektronischen Kampf. Parallel laufen seinen Worten zufolge erste Abstimmungen mit den Beschaffungsbehörden zu möglichen vertraglichen und zeitlichen Rahmenbedingungen. „Auch mit potenziellen Industriepartnern stehen wir im Austausch, um verschiedene technische Lösungen für die geplante Fähigkeitserweiterung des Eurofighters zu eruieren“, teilte der Sprecher mit. Der öffentliche Auftraggeber sollte nun entsprechende vertragliche Schritte einleiten, um seine Anforderungen zeitgerecht umsetzen zu können, so Airbus weiter.

Die Industrie beschäftigt sich bereits seit geraumer Zeit mit der Thematik und hat auch bereits Konzepte vorgelegt. Schon Ende 2019 präsentierten Airbus und weitere Partnerunternehmen einen Vorschlag für die Weiterentwicklung des Eurofighters für die so genannte Electronic Combat Role (ECR).

Die damals vorgeschlagene ECR-Konfiguration des Fliegers soll nach Angaben von Airbus und Hensoldt dazu in der Lage sein, sowohl passiv Boden-Luft-Systeme aufzuklären als diese auch zu stören. Dazu soll das Flugzeug mit einer Vielzahl an modularen Konfigurationen für Electronic Attack (EA) und die Unterdrückung/Zerstörung feindlicher Luftverteidigung ausgestattet werden können.

Im Rahmen des so genannten LuWES-Vorhabens hatten die deutschen Beschaffer offenbar daran gedacht, drei Typen von Jammern bei der Luftwaffe einzusetzen. Dabei handelt es sich um einen so genannten Stand-Off-Jammer mit großer Leistung, der außerhalb der gegnerischen Luftverteidigung fliegt, einen Escort-Jammer, wie es beispielsweise das Eurofighter-Konzept vorsieht, sowie einen „Stand-In-Jammer“. Letzterer könnte etwa in einem Remote Carrier oder einem Lenkflugkörper integriert werden und direkt in die Zone höchster Gefährdung über dem Ziel einfliegen. Das Konzept für den ECR-Eurofighter wurde seinerzeit von den deutschen Luftfahrtunternehmen Airbus, Hensoldt, MBDA, MTU, Premium Aerotec und Rolls-Royce entwickelt.

Der damalige Ansatz zielte nach Angaben der beteiligten Unternehmen auf den von der deutschen Luftwaffe geäußerten Bedarf einer luftgestützten Fähigkeit zur elektronischen Kampfführung ab. Das Konzept sah auch eine enge Abstimmung des ESCAN-Radars des Eurofighters mit der ECR-Rolle vor. Der Vorteil dabei: Beide Hardware-Komponenten würden federführend von Hensoldt entwickelt. Aufgrund der Nutzung von Pods könne der Jet neben diesen weitere vier Luft-Luft-Flugkörper, Tanks sowie bis zu sechs Spear-Raketen oder andere Waffen tragen, so Airbus seinerzeit.

Seit dem damals vorgesellten Projekt hat Hensoldt an der Weiterentwicklung seiner Produkte im elektromagnetischen Umfeld gearbeitet. Durch Kombination von Technologien der Künstlichen Intelligenz, der Digitalisierung, der elektronischen Signalsteuerung (Active Electronically Scanning Array) und des 3D-Drucks hat das Unternehmen nach eigenen Angaben unter der Bezeichnung ‚Kalaetron Attack‘ einen Multifunktions-Jammer entwickelt, der aktiv gegnerische Radare in einem extrem breiten Frequenzband stören, aber auch passiv als Aufklärungssensor eingesetzt werden kann. Kalaetron Attack sei perfekt geeignet sowohl als Selbstschutzsystem für Flugzeuge, als auch in der Rolle eines Escort Jammer, teilte das Unternehmen Ende vergangenen Jahres mit. Ob diese Technologie auch beim neuen Eurofighter zum Einsatz kommt, bleibt abzuwarten.

Wie viele Tornados werden ersetzt?

Noch keine Klarheit besteht offenbar darüber, ob alle noch genutzten Kampfflugzeuge des Typs Tornados im Verhältnis 1:1 ersetzt werden sollen. Für das vergangene Jahr kalkulierte das Verteidigungsministerium noch mit einem Bestand von 93 Tornados. Dieser Bestand soll bis zum Jahr 2031 auf Null zurückgefahren werden. Rechnet man von diesen 93 Tornados 35 ab, die durch die F-35 ersetzt werden, und noch einmal 15, deren Rolle durch den EW-Eurofighter übernommen wird, bleiben unter dem Strich 43 Tornados, die zu ersetzen sind. Beobachter gehen jedoch davon aus, dass dies nicht vollumfänglich geschehen muss. Wie aus Parlamentskreisen zu vernehmen ist, soll das Verteidigungsministerium auf eine entsprechende Anfrage geantwortet haben, dass womöglich auch Eurofighter der Tranche 3 die Jagdbomber-Rolle des Tornados übernehmen könnten.  In Fachkreisen kursieren andererseits Zahlen, wonach die Planer der Bundeswehr von einem langfristigen Bestand von rund 180 Eurofightern ausgehen.  Allerdings scheint eine Tranche 5 des Eurofighters nicht im 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen abgebildet zu sein.

FCAS mit Zeitverzug

Der Eurofighter soll langfristig auch in das von Frankreich, Deutschland und Spanien zu entwickelnde Future Combat Air System (FCAS) eingebunden werden. Dazu wird unter anderem die Long Term Evolution des Flugzeugs konzipiert.

Bei FCAS stehen allerdings seit Monaten die Signale auf rot. Es wurde bisher keine Einigung auf Industrieseite zwischen Dassault und Airbus hinsichtlich der Arbeitspakete und Zugriffsrechte beim so genannten Pillar 1 für den New Generation Fighter erzielt.

Dennoch zeigt sich Airbus optimistisch. Wie der Konzern auf Nachfrage mitteilte, laufen die Gespräche und man rechne mit einer zeitnahen Einigung. „Sobald eine Einigung vorliegt, erfolgt ein zügiger Eintritt in die nächste FCAS-Programm-Phase, die Demonstrator-Phase 1B. In sechs von sieben FCAS-Pillars wurde bereits ein fairer und ausgewogener Setup zwischen den tri-nationalen Industriepartnern gefunden“, so Airbus.

Während es auf internationaler Ebene stockt, sollen in Deutschland erhebliche Finanzmittel für nationale Forschungs- und Entwicklungsvorhaben im Rahmen von FCAS vergeben werden.

Nach Einschätzung von Airbus bieten die künftigen nationalen F&E-Aktivitäten eine Gelegenheit für die deutsche Industrie, komplementär zum tri-nationalen Programm nationale Kompetenzen auf- und auszubauen. Ein Schwerpunkt liege hierbei auch auf der Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen den etablierten deutschen Industriepartnern sowie der Einbindung neuer Partner und Institute.

Mit Airbus, FCMS und MBDA wurden den Angaben des Luftfahrtkonzerns zufolge drei Koordinatoren nominiert, die aktuell in Abstimmung mit dem öffentlichen Auftraggeber die nationalen F&E-Aktivitäten konkretisieren. Derzeit seien sieben F&E-Projekte geplant mit inhaltlichen Schwerpunkten von Missionsplanung über Sensorik, Avionik, Kommunikation bis hin zu Bewaffnung. Zudem sei ein vorhabenübergreifendes Element zur Koordination und Sicherstellung von Konsistenz mit dem tri-nationalen Programm vorgesehen. „Ein weiteres vorhabenübergreifendes Element ist das Thema Künstliche Intelligenz welches in allen Projekten adressiert werden soll“, so Airbus.

Während Frankreich den Lead beim neuen Kampfflugzeug hat, wird Airbus für Deutschland  die Führungsrolle bei der  so genannten Combat Cloud übernehmen. Dem Konzern zufolge sind bei der Combat Cloud die Vorbereitungen für das tri-nationale Projekt mit den Partnern soweit fortgeschritten, dass bei einer Einigung in Pillar 1  umgehend mit den Arbeiten gemeinsam mit den nationalen und internationalen Partnern begonnen werden könnte.
lah/24.5.2022

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