Kenner der maritimen Fähigkeiten der Bundeswehr warnen bereits seit Jahren, dass die „kleinste Marine“ der Bundeswehrgeschichte über eine unzureichende Anzahl an Schiffen und Booten verfügt, um die von der Politik an sie gestellten Aufgaben zu erfüllen. Bereits kurz nach der russischen Invasion in die Ukraine war klar, dass die Größe der deutschen Flotte nicht ausreichen wird, um die zahlreichen Missionen im Rahmen der internationalen Krisenvorsorge mit Kampfschiffen zu befüllen und gleichzeitig die Präsenz im Bündnisgebiet zu erhöhen. Immer häufiger mussten daher Unterstützungsschiffe eingesetzt werden, um international getätigte Zusagen zu erfüllen. Zuletzt konnte eine für den Einsatz im Roten Meer vorgesehene Flugabwehrfregatte nicht wie geplant dorthin in See stechen, da sie für einen potenziellen Evakuierungseinsatz im Mittelmeer verbleiben musste. Dass jedoch ein Forschungsschiff – zugehörig zur Wehrtechnischen Dienststelle 71 um beispielsweise Marinewaffen, Maritime Technologien Seeversuchen zu unterziehen – zu einer NATO-Mission entsandt wird, ist ein Novum.
Wie die Bundeswehr heute in einer Pressemitteilung mitteilt, wird das Forschungsschiff „Planet“ am 1. Oktober 2024 zur NATO-Unterstützungsmission in die Ägäis auslaufen, um dort bis Anfang 2025 als seegehende Einsatzplattform zur Verfügung zu stehen. „Mit Einnahme der neuen NATO-Kräfteorganisation (NATO Force Model) seit dem 1. Juli 2024 haben sich die Anforderungen an die Deutsche Marine im Rahmen der NATO-Verteidigungskräfte signifikant erhöht. Die bisher mit der Aufgabe betrauten Kampf- und Unterstützungseinheiten sind damit mehr als bisher gefordert“, schreibt die Bundeswehr in der Mitteilung. „Um den Handlungsspielraum der Deutschen Marine zu erhöhen, wurde in einer Organisationsbereich übergreifenden Abstimmung entschieden, die militärischen Kräfte der Deutschen Marine durch für die Aufgaben geeignete zivile Einheiten zu ersetzen“, erklärt die Bundeswehr weiter.
Den deutschen Streitkräften zufolge wurde das Forschungsschiff Planet, aufgrund seiner Fähigkeiten im Bereich der Seeausdauer, dem großen Platzanagebot und notwendigen Fernmeldemitteln, als hervorragend geeigneter Ersatz identifiziert. „Die ,Planet‘ dient primär als seegehende Einsatzplattform, der eigentliche Auftrag selbst wird aber unverändert durch das eingeschiffte militärische Personal wahrgenommen“, so die Bundeswehr. Dazu soll das Forschungsschiff für die Dauer des Einsatzes dem 3. Minensuchgeschwader als Leitverband unterstellt werden. Das 3. Minensuchgeschwader stellt bereits seit Anfang des Jahres Boote als Führungsplattformen in dem NATO-Verband in der Ägäis, um dort im Rahmen des Februar 2016 auf Antrag Deutschlands, Griechenlands und der Türkei beschlossenen Einsatzes einen Beitrag zur Bewältigung der Flüchtlings- und Migrationskrise zu leisten. „Die NATO-Kräfte unterstützen durch Seeraumüberwachung und dem Austausch von Lageinformationen, um die beteiligten Behörden bei ihrem Einsatz gegen Schlepper und deren Netzwerke zu unterstützen“, beschreibt die Bundeswehr das Aufgabenprofil der NATO-Mission.
Mit der Entsendung eines Forschungsschiffes zu einem NATO-Einsatz – egal wie gefährlich oder entscheidend dieser auch sein mag – kommuniziert die Bundeswehr in „eindrucksvollerweise“ die Auslastung oder vielmehr Überlastung der Flotte, welche international sicherlich nicht verborgen bleiben wird. Selbst wenn der Einsatz eines grauen Schiffes in der Ägäis – aufgrund des Missionscharakters – unnötig ist, und die Marine mit diesem Kunstgriff die Abmeldung eines Kriegsschiffes aus einem anderen NATO-Einsatz verhindert, darf ein solcher Ansatz keine Schule machen, selbst wenn Soldatinnen und Soldaten stets bemüht sind alle an sie gestellten Aufträge zu erfüllen.
Eine sicherheitspolitische maritime Präsenz im Indo-Pazifik kombiniert mit einem angemessenen Beitrag zur Bündnisverteidigung, internationaler Krisenvorsorge sowie Schutz der Handelsschiffahrt ist mit der kleinsten Bundeswehrflotte aller Zeiten einfach nicht machbar.
Mit der Abkommandierung der Planet zu einem NATO-Einsatz führt die Bundeswehr im Allgemeinen und die Marine im Besonderen den politischen Entscheidungsträgern in Berlin plakativ vor, wie blank die deutschen Streitkräfte tatsächlich sind. Wohlgemerkt, Deutschland ist nicht im zweiten, dritten oder vierten Kriegsjahr, wo alle Kräfte und Mittel für die Front zusammengekratzt werden müssen. Deutschland ist im tiefsten Frieden, trotzdem muss nun ein Forschungsschiff des Bundeswehr-Beschaffungsamtes BAAINBw an die „Front“. Häme und Spott werden im In- und Ausland sicherlich nicht ausbleiben, da hilft es auch wenig, dass das Schiff gänzlich zur Auftragserfüllung geeignet ist und dadurch rar gesäte maritime Fähigkeiten für andere, wichtigere Missionen freigehalten werden. Man denke nur an den Besenstiel, den Soldaten im Rahmen einer NATO-Übung Anfang 2015 an einen Gefechtsstand-Boxer montierten, um ein Maschinengewehrrohr darzustellen.
Es bleibt die Hoffnung, dass diese „Entblößung“ der Bundeswehrfähigkeiten, verbunden mit dem internationalen Reputationsschaden, nicht gänzlich umsonst bleiben und das politische Berlin, welches mit dem Verteidigungshaushalt die Rahmenbedingungen für die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte steckt, zur Einsicht gelangt, dass der Zustand so nicht mehr bleiben darf und die Bundeswehr mit entsprechenden Mitteln ausstattet, damit diese sich schnellstmöglich ertüchtigen kann. Auch im Bundestag sollte man wissen, dass man mit einem Forschungsschiff weder Piraten noch U-Boote jagen kann. Auch zum Schutz von Handelsschiffen vor Raketenangriffen oder sonstiger Abschreckung ist ein solches Schiff nicht geeignet.
Waldemar Geiger