In den französischen Streitkräften wird offenbar über die mögliche Nutzung einer Boden-Boden-Rakete großer Reichweite in der nahen Zukunft diskutiert. Wie aus einem vor wenigen Wochen veröffentlichten Bericht der Nationalversammlung hervorgeht, sollte die Reichweite der konventionellen Waffe nach den Vorstellungen der französischen Militärs möglichst bei mehr als 2.000 Kilometern liegen.
Dem Bericht zufolge wird gegenwärtig das Lastenheft für eine neue ballistische Rakete mit konventionellem Gefechtskopf erstellt. Begründet wird der Bedarf mit einer Lücke bei der Abschreckung unterhalb des Einsatzes von Atomwaffen. Die Berichterstatter des Parlaments können sich aufgrund der Bedrohungslage auch eine Stationierung außerhalb Frankreichs vorstellen.
Idealerweise würden sie die Entwicklung sowohl einer ballistischen Rakete als auch eines Marschflugkörpers großer Reichweite für die französischen Streitkräfte empfehlen. Sollte jedoch aus Kostengründen nur eine Technologie verfolgt werden, plädieren sie für die ballistische Rakete. Wie die Erfahrungen in der Ukraine zeigen, sei diese schwerer abzufangen.
Gegenwärtig scheint noch offen zu sein, wie sich das Vorhaben in den von Frankreich initiierten European Long Range Strike Approach (ELSA) einfügen könnte, zu dem sich Frankreich, Deutschland, Schweden, Italien Großbritannien und Polen zusammengefunden haben. Im Rahmen von ELSA sollen die beteiligten Nationen in mittlerweile 13 Pillars ihren operativen Bedarfe präzisieren und doktrinäre Überlegungen für den Einsatz der betreffenden Fähigkeiten anstellen.
Kürzlich hatten Großbritannien und Deutschland bekanntgegeben, gemeinsam eine „Deep Precision Strike“-Waffe mit einer Reichweite von mehr als 2.000 Kilometern entwickeln zu wollen. Beide Länder streben dem Vernehmen nach an, gemeinsam den ELSA-Pillar mit der größten Reichweite führen. Welche Technologie bei dem britisch-deutschen Ansatz zum Tragen kommen soll, wurde nicht erwähnt. Auch zu den Zeitlinien wurde nichts gesagt. Prinzipiell kommen als Waffen Marschflugkörper, ballistische Raketen oder Hyperschallwaffen in Frage, wobei letztere die längste Entwicklungsdauer aufweisen, da es sich um eine neue Technologie handelt.
Die Berichterstatter des französischen Parlaments hoffen, dass zwischen dem ELSA-Pillar großer Reichweite und dem bereits laufenden französischen „programme à effet majeur « Frappe longue portée terrestre » (PEM FLP-T)“ eine enge Verbindung hergestellt wird. Im Rahmen des PEM FLP-T wird die Entwicklung sowohl einer Langstrecken-Rakete als auch eines Langstrecken-Marschflugkörpers untersucht.
Vor dem Hintergrund der Annahme von Geheimdiensten und Streitkräften, dass Russland ab 2029 in der Lage sein könne, NATO-Gebiet anzugreifen, dürft eine schnelle Lösung vermutlich Priorität haben. Dem Bericht des französischen Parlamentes zufolge denken auch die französischen Beschaffer an eine Einsatzfähigkeit einer neuen ballistischen Rakete an das Jahr 2030.
Grundsätzlich verfügt Europa über die Fähigkeit ballistische Raketen mit großer Reichweite zu entwickeln. So baut die französisch-deutsche Arianegroup sowohl zivile Trägerraketen wie die Ariane 6 als auch die französische Atomrakete M51. Die Fähigkeit zum Flug in den Weltraum spielt auch für die Entwicklung von Hyperschallwaffen eine wichtige Rolle, denn eine Variante dieser neuen Systeme muss von einer Trägerrakete ins All transportiert werden, bevor sie ausgeklinkt wird. Bei Marschflugkörpern dürfte hingegen der europäische MBDA-Konzern eine herausgehobene Position einnehmen.
Lars Hoffmann