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EU will zusätzliches Entwicklungsprojekt an Konsortium um MBDA vergeben

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Für viele Beobachter kam die Entscheidung des Europäischen Verteidigungsfonds (EDF) im Juli vergangenen Jahres überraschend, das Forschungsprogramm EU HYDEF zu Entwicklung eines Flugkörpers zur Abwehr von Hyperschallwaffen an ein Konsortium unter Leitung des spanischen Unternehmens Sener Aerospacial und unter technischer Führung von Diehl Defence zu vergeben. Denn in Fachkreisen hatten viele Experten erwartet, dass ein Konsortium um den europäischen Lenkflugkörperhersteller MBDA den Zuschlag für das rund 110 Millionen Euro schwere Projekt erhalten würde. Nicht zuletzt, weil MBDA bei einigen Kernkompetenzen, wie etwa dem Antrieb, als technisch weit fortgeschritten gilt. Der europäische Lenkwaffenhersteller selbst wurde offenbar auch von der Auswahl auf dem falschen Fuß erwischt und legte nach einigen Monaten Bedenkzeit schließlich Klage gegen die Entscheidung der EU ein.

Mittlerweile ist die EU-Kommission, unter deren Führung der EDF agiert, offenbar zu dem Schluss gekommen, dass ein einziges Förderprojekt für einen Hyperschallabwehrflugkörper nicht ausreicht. Deshalb soll nun ein weiteres Vorhaben finanziert werden, wie die EU mitgeteilt hat.

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In den kürzlich veröffentlichten Calls für die nächste Runde des EDF ist deshalb eine Direktvergabe ohne Wettbewerb zur Entwicklung entsprechender Luftverteidigungssysteme vorgesehen. Das Vorhaben mit der Bezeichnung EDF-2023-AIRDEF-EATMI weist ein Budget von 80 Millionen Euro auf und hat zum Ziel, einen endoatmosphärisch wirkenden Effektor zu entwickeln, der in der Lage sein soll, aktuellen und zukünftig zu erwartenden Bedrohungen durch ballistische Raketen und Marschflugkörper zu begegnen. Dabei sollen insbesondere Fähigkeiten zur Abwehr von manövrierfähigen ballistischen Raketen, Hypersonic Cruise Missiles sowie Hypersonic Glide Vehicles entwickelt werden.

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MBDA France hat die Führung

Direkt beauftragt werden soll ein Konsortium unter Führung von MBDA France. Weitere Partner des Konsortiums sind die ArianeGroup SAS, Ge AVIO srl, AVIO S.p.A., C.I.R.A ScPA (Centro Italiano di Ricerca Aerospaziale), Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Fokker Aerostructures BV, LYNRED, MBDA Deutschland GmbH, MBDA Italia S.p.A., OHB System AG, Office National d’Etudes et de Recherches Aerospatiales, Thales Nederland B.V., und Nederlandse Organisatie Voor Toegepast Natuurwetenschappelijk Onderzoek TNO.

Ob MBDA die Klage gegen die HYDEF-Entscheidung aufgrund der angestrebten Direktvergabe an das Unternehmen zurückgezogen hat, ist gegenwärtig unklar. MBDA lehnte eine Stellungnahme dazu mit Verweis auf das laufende Verfahren zurück. Einem Bericht des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ zufolge, hat die Klage weiter Bestand.

Kritiker bemängeln, dass mit der zusätzlichen Vergabe eines Entwicklungsprojektes für einen Hyperschallabwehrflugkörper an MBDA unnötig Steuermittel vernichtet würden und die Direktvergabe die Glaubwürdigkeit des EDF aufs Spiel setze. Dem Spiegel-Bericht zufolge soll das Projekt aufgrund politischen Drucks aus Frankreich aufgesetzt worden sein.   Wobei eine Direktvergabe offenbar im Rahmen des EDF erlaubt ist. So sei für die Eurodrohne eine dreistellige Millionensumme auf diese Weise vergeben worden, wie Insider berichten.

Andere Stimmen weisen dagegen darauf hin, dass es bei einer so wichtigen Aufgabe wie der Abwehr von Hyperschallflugkörpern durchaus sinnvoll ist, im Wettbewerb an mehreren Lösungssträngen gleichzeitig zu arbeiten. Eine Methode, die in den USA, dem führenden Innovator in Sachen Rüstungstechnologie, seit Jahren erfolgreich angewendet wird. Aufgrund des Krieges in der Ukraine und der Bedrohung des NATO-Gebietes durch Russland hat sich überdies der Druck auf Europa weiter erhöht, schnell Abwehrfähigkeiten aufzubauen, die es bisher gegen diesen Waffentyp noch nicht gibt. Schließlich hat Russland nach eigenen Angaben bereits mehrfach Hyperschallwaffen gegen Ziele in der Ukraine eingesetzt.

Konsolidierung der Ergebnisse denkbar

Beobachter gehen davon aus, dass die Ergebnisse beider Projektstränge langfristig zusammengefasst werden, bevor ein Produkt fertigentwickelt wird. Für die deutsche Industrie bringt die nun angestrebte Direktvergabe den Vorteil, dass weitere heimische Firmen mit ihren Kompetenzen in den Prozess eingebunden werden und damit den Anschluss nicht verlieren.

Das nun zur Direktvergabe anstehende Vorhaben EDF-2023-AIRDEF-EATMI soll kritische Technologien, Materialien, Komponenten und Fachkenntnisse zur Entwicklung eines endoatmosphärischen Interceptors bündeln. Die Konzeptuntersuchung des Interceptors soll ein Eckpfeiler für zukünftige europäische Raketenverteidigungssysteme sein.

Die Abfanglösungen müssen sowohl von Land als auch von See aus  funktionieren und mit den Roadmaps der Mitgliedstaaten und assoziierten Ländern des EDF (Norwegen) für andere  Waffensysteme sowie Command-and-Control-Lösungen harmonieren. Dazu gehört auch die Berücksichtigung eines zukünftigen weltraumgestützten Frühwarnsystems gegen ballistische und hypersonische Raketen.
lah/31.3.2023